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Destruktive Minijobs Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Destruktive Minijobs

Ausgabe 18/2021

Geringfügige Beschäftigung verdrängt allein in kleinen Betrieben bis zu 500 000 sozialversicherungspflichtige Stellen. Zudem dient sie nur selten als Brücke in einen regulären Job.

Bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin stand auch das Thema Minijobs auf der Tagesordnung. In ihrem Sondierungspapier kündigen die Ampel-Parteien unter anderem an, die Verdienstgrenze von 450 auf 520 Euro anzuheben. Gleichzeitig wollen sie verhindern, dass geringfügige Beschäftigung „zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen“ und „als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht“ wird. Das ist laut einer Studie von Matthias Collischon, Kamila Cygan-Rehm und Regina Riphahn tatsächlich dringend nötig: Die Ökonominnen und der Ökonom von der Universität Erlangen-Nürnberg zeigen, dass Minijobs sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in erheblichem Umfang verdrängen. 

Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse seien weit verbreitet, schreiben die Forscher. Ihre Zahl habe 2019 bei mehr als sieben Millionen gelegen, im Juni 2020 infolge der Coronakrise bei etwa sechs Millionen. Vor allem Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern machen weidlich Gebrauch von dieser Beschäftigungsform: Fast 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Kleinbetrieben waren geringfügig beschäftigt.  

Die Auswirkungen der geringfügigen auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung empirisch nachzuweisen, sei knifflig, heißt es in der Studie. Wenn erfolgreiche Unternehmen sowohl mehr Minijobs als auch mehr reguläre Stellen schaffen, könnte der Eindruck entstehen, dass es einen positiven Zusammenhang gibt, auch wenn der Effekt eigentlich negativ ist. Um solche Fehlschlüsse zu vermeiden, haben die Forschenden sich den Umstand zunutze gemacht, dass sich zwischen 1999 und 2013 durch Gesetzesreformen mehrfach die Arbeitgeberbeiträge für Minijobs erhöht haben, sodass diese unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen etwas unattraktiver geworden sind. Indem man misst, wie sich der Wegfall von Minijobs infolge der Kostensteigerungen auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgewirkt hat, lässt sich der gesuchte Zusammenhang statistisch herausfiltern. 

Für ihre Untersuchung haben die Wirtschaftswissenschaftler Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für den Zeitraum von 1999 bis 2014 ausgewertet. Berücksichtigt wurden ausschließlich Angaben von Kleinbetrieben, da diese auf die Neuregelungen bei den Arbeitgeberbeiträgen besonders stark reagiert haben. Den Berechnungen zufolge ersetzt ein zusätzlicher Minijob im Schnitt eine halbe reguläre Stelle. „Hochgerechnet dürften Minijobs in kleinen Betrieben etwa 500 000 sozialversicherungspflichtige Jobs ersetzt haben“, so die Schlussfolgerung.

Abschließend weisen die Forschenden auf weitere Nachteile von Minijobs hin: Der Nutzen als Brücke in reguläre Arbeitsverhältnisse sei kleiner als erhofft. Geringfügig Beschäftigte blieben oft im Niedriglohnsektor und müssten unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten. Ihnen würden häufiger Arbeitnehmerrechte vorenthalten, zum Beispiel auf bezahlten Urlaub. Da die wenigsten freiwillig Rentenbeiträge entrichten, dürften sich die Einnahmeausfälle der Sozialversicherungen allein für das Jahr 2014 auf über drei Milliarden Euro summieren.

Matthias Collischon, Kamila Cygan-Rehm, Regina Riphahn: Minijobs in Kleinbetrieben: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird verdrängt, IAB-Forum, Oktober 2021

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