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Bergauf mit Hindernissen Böckler Impuls

Fahrradindustrie: Bergauf mit Hindernissen

Ausgabe 09/2025

Die Fahrradproduktion in Deutschland wächst. Fachkräfte sind auch wegen des vergleichsweise geringen Lohnniveaus knapp.

Hierzulande gibt es mittlerweile mehr Fahrräder als Einwohnerinnen und Einwohner: Laut dem Zweirad-Industrie-Verband belief sich der Bestand Ende 2024 inklusive E-Bikes auf rund 89 Millionen. Dass von der steigenden Nachfrage auch die deutschen Produzenten profitieren, zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Branchenanalyse, die Anna Butzin und Lukas Zaghow vom Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen gemeinsam mit Frederic Rudolph vom T3 Transportation Think Tank vorgelegt haben. Die Fachleute haben für ihre Untersuchung amtliche Statistiken, Datenbanken und Geschäftsberichte ausgewertet sowie Interviews mit Expertinnen und Experten geführt. Sie halten Digitalisierung und Automatisierung für unumgänglich, damit die Hersteller im Wettbewerb auch künftig mithalten und über attraktive Löhne Fachkräfte binden können.

Laut Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, zeigt die Studie, dass Fahrrad und Auto nicht im Gegensatz zueinander stehen. „Im Gegenteil, sie müssen mehr und mehr zusammengedacht werden. Eine wachsende Fahrradbranche kann neue Aufträge für Automobilhersteller erzeugen. Eine Voraussetzung für das Wachstum der Branche sind gute politische Rahmenbedingungen wie das Vorantreiben der Verkehrswende in Deutschland.“

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Die Zahl der Beschäftigten in der Fahrradproduktion in Deutschland ist zwischen 2019 und 2023 von 12600 auf 13900 gestiegen, der Umsatz von 4,6 auf 6,8 Milliarden Euro.
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Der Fahrrad-Boom habe bereits in den 2010er-Jahren eingesetzt, schreiben die Fachleute. Verantwortlich dafür seien innovative Produkte wie E-Bikes, zunehmendes Umweltbewusstsein und staatliche Unterstützung unter anderem in Form von mehr Radwegen und steuerlichen Anreizen beim Dienstrad-Leasing gewesen. Der Umsatz der Fahr­radindustrie ist zwischen 2019 und 2023 jährlich im Schnitt um zehn Prozent gestiegen, auf zuletzt 6,8 Milliarden Euro. Parallel dazu hat die Zahl der Beschäftigten von 12 600 auf 13 900 Personen zugelegt.

Die Lockdowns während der Coronakrise hätten der Nachfrage zusätzlichen Schub verliehen, heißt es in der Studie. 2023 seien Umsätze und Beschäftigung allerdings zurückgegangen. Der Grund: Während 2022 trotz sinkender Nachfrage das Abarbeiten von Bestellungen, deren Auslieferung sich durch die Pandemie verzögert hatte, die Geschäfte am Laufen hielt, schlug 2023 die allgemeine Kaufzurückhaltung zu Buche. Dennoch seien die Aussichten weiterhin gut. Denn es sei davon auszugehen, dass die Fahrradindustrie künftig noch stärker von der Verkehrswende profitiert. Insbesondere bei E-Bikes gebe es noch viel Potenzial: Momentan besitzt in Deutschland lediglich jeder Zehnte ein solches Fahrzeug.

Auch international sind die hiesigen Hersteller erfolgreich: Nach China ist Deutschland der zweitgrößte Exporteur von montierten Fahrrädern. Das Exportvolumen ist seit 2018 um 58 Prozent gewachsen und lag 2023 bei 960 Millionen Euro.

Die Unternehmenslandschaft ist laut der Analyse klein- und mittelständisch geprägt. Es dominieren Produzenten im hochwertigen Massenmarkt sowie Hersteller von Komponenten wie Carbon-Rahmen, Motoren für E-Bikes oder Gangschaltungen. Daneben gibt es noch diverse Hersteller mit Produktion im Ausland, „Tüftler und Spezialhersteller“, die Kleinserien oder individuell zusammenstellbare Fahrräder anbieten, sowie Hersteller von Zubehör wie Schlössern oder Trinkflaschen.

Die gesamte Branche habe mit Fachkräftemangel zu kämpfen, so Butzin, Rudolph und Zaghow. Die Bundesagentur für Arbeit stufe Berufe in der Zweiradtechnik deutschlandweit als Engpassberufe ein. Im Jahr 2022 seien insgesamt nur 885 neue Ausbildungsverträge für Zweiradmechatronikerinnen und -mechatroniker der Fachrichtung Fahrradtechnik abgeschlossen worden, 252 für Fahrradmonteurinnen und -monteure. Die befragten Fachleute hätten dafür unter anderem das Lohnniveau verantwortlich gemacht: 40 Jahre lang als Fahrradmonteur zu arbeiten, reiche zurzeit nicht für eine angemessene Altersversorgung aus.

Umso problematischer erscheine vor diesem Hintergrund der geringe Automatisierungsgrad der deutschen Fahrradindustrie, erklären die Autoren und die Autorin. Digitalisierung und Automatisierung hätten das Potenzial, Umsatz und Rentabilität zu steigern. So ließe sich das Lohnniveau erhöhen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen. Prozess­innovationen könnten zudem Quereinstiege erleichtern und auf diese Weise den Fachkräftemangel lindern.

Anna Butzin, Frederic Rudolph, Lukas Zaghow: Branchenanalyse Fahrradproduktion, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 370,April 2025

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