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Barrieren in Behörden Böckler Impuls

: Barrieren in Behörden

Ausgabe 03/2023

Bundesbehörden sind häufig nicht barrierefrei und die gesetzlichen Vorgaben für Gleichstellung wenig bekannt. Das zeigt eine Analyse unter Beteiligung des HSI.

Im Kontakt mit Behörden werden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung häufig nicht ausreichend berücksichtigt – obwohl das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (BGG) der Bundesverwaltung schon seit 2002 vorschreibt, Teilhabe und Gleichberechtigung sicherzustellen. Bei vielen Beschäftigten in Behörden sind seine Anforderungen wenig bekannt und wichtige Hilfsmittel oft nicht verfügbar. Auch in der Rechtsprechung spielt das BGG bislang kaum eine Rolle. Das ergibt die Evaluation des Gesetzes, an der Johanna Wenckebach und Antonia Seeland vom HSI sowie Daniel Hlava von der Frankfurt University of Applied Sciences mitgewirkt haben.

Für den Bericht wurden die juristische Fachliteratur, Gesetze und die Rechtsprechung ausgewertet und mehr als 3000 Menschen befragt: gut 2200 Beschäftigte in der Bundesverwaltung, etwa 600 Menschen mit Behinderungen, gut 440 in Schwerbehindertenvertretungen sowie knapp 140 Expertinnen und Experten aus Rechtsschutzvertretungen von Sozialverbänden und dem DGB. 

Die Untersuchung zeigt, dass das Bewusstsein für das BGG in den Bundesbehörden ausbaufähig ist. Es sei nicht nur weniger bekannt als andere Verwaltungsvorschriften des Bundes, auch in gerichtlichen Verfahren werde kaum Bezug darauf genommen. Für die Zukunft müsse deshalb ein Fokus innerhalb der Verwaltungen auf Informationen und Schulungen über das BGG gelegt werden.

Die befragten Menschen mit Behinderung attestieren ebenfalls Defizite in der Barrierefreiheit aufseiten der Behörden. Noch viel häufiger gaben sie aber an, dass sie in privaten Rechtsverhältnissen diskriminiert werden, etwa im Beruf, im öffentlichen Personenverkehr oder beim Zugang zu Gebäuden und zum Gesundheitswesen. Die Fachleute bemängeln in diesem Zusammenhang, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das den zivilen Bereich regelt, das Sozialrecht, das Vorschriften für Sozialleistungsträger enthält, und das BGG nahezu unvermittelt nebeneinanderstehen. Dabei könnten sie nur im Zusammenspiel die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung gewährleisten. Hinzu komme, dass bei den Rechtsbeziehungen vor allem im Gesundheitswesen oft sowohl Private als auch Behörden eine Rolle spielen. Das erfordere eine systematische Bearbeitung der rechtlichen Schnittstellen.

Großen Handlungsbedarf identifiziert die Evaluation zudem im Hinblick auf barrierefreie Kommunikation. Konkrete Hilfen wie Leichte Sprache oder Audio-Dateien und die dazu ergangenen Verordnungen seien in den Behörden oft unbekannt oder nicht verfügbar. Wichtig sei es, die Anwendung der jeweiligen Hilfen nicht auf bestimmte Behinderungsarten zu beschränken und Schulungsangebote auszubauen. Zudem brauche es klare Zuständigkeiten bei der Beschaffung und bei der Vergütung, etwa von Dolmetscherinnen und Dolmetschern für Gebärdensprache.

Eine bedeutende Stellung haben dem Bericht zufolge die Schwerbehindertenvertretungen in den Behörden. Insbesondere sie würden intern und extern als zuständig gesehen, Barrierefreiheit herzustellen. Zudem hätten sie die besten Kenntnisse über das BGG und ein zeitgemäßes Behinderungsverständnis. Ihre Stellung und Kompetenzen sollten daher gezielt genutzt werden. Sie könnten die Einhaltung des BGG durch den Arbeitgeber überwachen oder die Möglichkeit eines eigenen zivilrechtlichen Klagerechts eingeräumt bekommen.

Das BGG hält mit einem Verbandsklagerecht und der Möglichkeit, ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren durchzuführen, wichtige Instrumente der Rechtsdurchsetzung bereit. Das Schlichtungsverfahren hat sich der Analyse zufolge der Forschenden in der Praxis bewährt, auch wenn seine Bekanntheit gesteigert und der Anwendungsbereich erweitert werden sollten. Die Verbandsklage hingegen werde kaum genutzt und sollte reformiert werden. Allgemein habe das BGG in Gerichtsverfahren bislang kaum Eingang gefunden.

Insgesamt lasse die Evaluation sowohl Schwierigkeiten als auch Chancen deutlich werden, resümieren die Forschenden. Entscheidend werde sein, die Schnittstellen zum Zivil- und Sozialrecht systematisch zu bearbeiten, die Abstimmung mit den Länder-BGG zu verstärken, Verpflichtete weiter zu sensibilisieren und klare Zuständigkeiten für die Umsetzung des BGG zu schaffen.

Evaluierung des novellierten Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) (PDF), erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, November 2022

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