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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Arbeiterkinder oft unter Wert beschäftigt

Ausgabe 17/2016

Ob Arbeitnehmer adäquat beschäftigt sind, hängt auch von ihrer sozialen Herkunft ab: Hochschulabsolventen aus Arbeiterfamilien sind für ihren Job häufiger überqualifiziert als diejenigen mit Akademikereltern.

Als Philosoph im Callcenter zu arbeiten oder als Physiker Pakete auszuliefern, ist in der Regel eher unerfreulich: Wer unter seinem Qualifikationsniveau arbeitet, ist Studien zufolge im Schnitt weniger zufrieden und schlechter bezahlt als Beschäftigte, deren Tätigkeit zur Ausbildung passt. Daniel Erdsiek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat herausgefunden, dass in diesem Zusammenhang der familiäre Hintergrund eine Rolle spielt: Das Risiko, zu den Überqualifizierten zu gehören, ist geringer, wenn die Eltern studiert haben.

Für seine Untersuchung hat der Volkswirt Daten einer Befragung analysiert, an der mehr als 3.700 Hochschulabsolventen des Examensjahrgangs 1997 teilgenommen haben. Ein Jahr nach ihrem Abschluss sollten die Befragten unter anderem angeben, ob für ihren Job ein Studium Voraussetzung ist. Ein Fünftel der Teilnehmer verneinte diese Frage, hält sich also für überqualifiziert. Bei den Absolventen mit mindestens einem studierten Elternteil beträgt der Anteil 16,1 Prozent, bei den „Bildungsaufsteigern“, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben, sind es dagegen 23,5 Prozent – ein Unterschied von 7,4 Prozentpunkten.

Leistungsunterschiede erklären nur einen Teil

Zum Teil dürfte diese Differenz Erdsiek zufolge mit schulischen und akademischen Leistungen zusammenhängen: Wer in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus aufwächst, erfährt mehr Förderung und schneidet bei den Noten im Schnitt besser ab als Arbeiterkinder. Gute Zensuren wiederum machen es leichter, einen angemessenen Job zu ergattern. Tatsächlich lässt sich statistisch nachweisen, dass Abschlussnoten einen Teil der Unterschiede beim Überqualifikationsrisiko erklären können. Doch auch wenn man sie herausrechnet, bleibt ein signifikanter Unterschied von 6,2 Prozentpunkten.

Wesentlich wichtiger als der Notenschnitt ist der Studie zufolge die Wahl des Studienfachs: Die Wahrscheinlichkeit, unter der Qualifikation zu arbeiten, ist bei Juristen und Medizinern 20,5 Prozentpunkte geringer als bei Sozial- und Kulturwissenschaftlern. Medizin oder Recht studieren 15 Prozent der höheren Töchter und Söhne, aber nur 8 Prozent der Kinder aus weniger privilegierten Familien. Zudem entscheidet sich der Akademikernachwuchs deutlich häufiger für eine Universität statt für eine Fachhochschule. Statistisch vermag die fachliche Ausrichtung den größten Erklärungsbeitrag zu leisten – wobei freilich auch Selbstselektion eine Rolle spielen dürfte: Schließlich sei davon auszugehen, dass die Fächerwahl ihrerseits von persönlichen Eigenschaften abhängt, so der Autor.

Ansonsten scheint sich auch „soziales Kapital“ auszuwirken: Dass Bildungsaufsteiger eher über berufliche Erfahrungen vor dem Studium an einen Arbeitsplatz kommen, trägt ebenfalls zu ihrem höheren Überqualifikationsrisiko bei.

Mehr Beratung nötig

Alles können die erwähnten Faktoren allerdings nicht erklären: Auch wenn zusätzlich finanzielle Restriktionen, Karriereorientierung, Geschlecht, Alter und Familienstand der Absolventen berücksichtigt werden, verschwindet die Differenz nur zu gut 60 Prozent. Nach Erdsieks Einschätzung könnte das zum einen an Phänomenen liegen, die der verwendete Datensatz nicht erfasst. Beispielsweise sei davon auszugehen, dass auch kulturelle Unterschiede für die Diskrepanz bei der Überqualifikation verantwortlich sind. In Akademikerhaushalten dürfte mehr Wissen über die Funktionsweise des Arbeitsmarktes für Hochqualifizierte vorhanden sein. Darüber hinaus sei denkbar, dass Arbeitgeber Arbeiterkinder diskriminieren, indem sie Bewerber „aus gutem Hause“ pauschal bevorzugen. Um die Chancen von Absolventen ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund auf eine angemessene Beschäftigung zu erhöhen, empfiehlt der Forscher gezielte Beratung: Da die Fächerwahl mit weitem Abstand den größten Einfluss auf das Überqualifikationsrisiko hat, sollten Abiturienten aus Familien ohne Hochschulbildung dazu ermutigt werden, auch vermeintlich elitäre Studiengänge an den traditionellen Universitäten in Erwägung zu ziehen.

  • Das Risiko, zu den Überqualifizierten zu gehören, ist geringer, wenn die Eltern studiert haben. Zur Grafik

Daniel Erdsiek: Overqualification of graduates: assessing the role of family background (pdf), Journal of Labour Market Research, August 2016 (online)

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