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HBS Böckler Impuls

Weltwirtschaft: Was gegen Ungleichgewichte hilft

Ausgabe 08/2017

Die deutschen Exportüberschüsse haben ein gefährliches Ausmaß erreicht. Das Gegenmittel: Höhere Löhne und eine expansive Finanzpolitik.

Mit einer Kombination aus stärker steigenden Löhnen und höheren öffentlichen Ausgaben ließe sich die Binnenwirtschaft stärken, die Abhängigkeit von Exporten verringern und der hohe Leistungsbilanzüberschuss abbauen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des IMK.

Seit Jahren exportiert die deutsche Wirtschaft deutlich mehr Waren und Dienstleistungen als sie importiert, so entstehen hohe Überschüsse in der Leistungsbilanz. Im vergangenen Jahr betrug der Überschuss 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – so viel wie noch nie und mehr als in allen anderen großen Industriestaaten. Zwar ist die weltweit große Nachfrage nach „Made in Germany“ erfreulich. Experten sind jedoch zunehmend besorgt: Erstens entstehen Überschüsse nur dann, wenn andere Länder Defizite eingehen – dies funktioniert nicht auf Dauer, wie sich in der Eurokrise gezeigt hat. Zweitens gefährdet die einseitige Ausrichtung auch die eigene Stabilität. Sollten sich die Exporte abschwächen, droht ein drastischer Rückgang der Wirtschaftsleistung. Ein Problem, das schnell aktuell werden könnte – immerhin könnte einer der wichtigsten Handelspartner künftig weniger in Deutschland einkaufen oder sogar Strafzölle auf deutsche Produkte erheben: „Die von US-Präsident Donald Trump angestrebte Verschärfung der Handelspolitik ist explizit darauf ausgerichtet, das Handelsdefizit der USA auch gegenüber Deutschland zu verringern“, heißt es in der Analyse.

Nach einer weit verbreiteten Meinung hängen die deutschen Überschüsse eng mit der Lohnpolitik in den 2000er-Jahren zusammen: Geringe Zuwächse hätten entscheidend dazu beigetragen, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern. Durch „Lohndumping“ hätten die Unternehmen ihre Produkte günstiger absetzen und die Exporte steigern können. Richtig ist: Die Nominallöhne in Deutschland sind in den vergangenen 15 Jahren insgesamt nur schwach gestiegen, im Jahresdurchschnitt um 1,7 Prozent. Erst nach der Finanzkrise 2008/2009 haben sie etwas stärker zugelegt.

Hätten also höhere Löhne die ungesunden Überschüsse verringern können? Um diese Frage zu beantworten, haben die IMK-Forscher eine Simulation durchgeführt. Sie haben berechnet, wie sich die deutsche Handels- und Leistungsbilanz von 2001 bis 2015 entwickelt hätte, wenn die Löhne stärker gestiegen wären als in der Realität. Das Ergebnis: Wenn die Löhne im Gleichschritt mit der Trendproduktivität und der
Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank gestiegen wären – und damit in jedem Jahr im Durchschnitt um einen Prozentpunkt höher als in der Realität – hätte sich am Leistungsbilanz­überschuss zunächst wenig geändert. Das liegt daran, dass Lohnveränderungen zu vielen unterschiedlichen und sich teilweise kompensierenden Effekten sowohl bei den Exporten als auch den Importen führen. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit spiele eine viel geringere Rolle als häufig vermutet, schreiben die Wissenschaftler.

Dennoch hätten Lohnerhöhungen in dieser Größenordnung positive Effekte gehabt: Nicht nur die Beschäftigten hätten profitiert, der Staat und die Sozialkassen hätten zusätzliche Einnahmen in Höhe von 17,6 Milliarden Euro verzeichnet. Diese Mehreinnahmen hätten genutzt werden können, um höhere öffentliche Ausgaben für Straßen, Breitbandnetze, Stromnetze und erneuerbare Energien zu finanzieren, aber auch für Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenversorgung und Wohnungsbau. Dies hätte die Binnenwirtschaft gestärkt und die Importe gesteigert – und damit zu einer ausgewogeneren Handelsbilanz beigetragen. Selbst im konservativen Szenario des IMK, bei dem der Staat lediglich die zusätzlichen Steuereinnahmen investiert, wäre der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz immerhin rund 35 Milliarden Euro niedriger als aktuell. Wachstum und Beschäftigung wären in diesem Szenario stärker ausgefallen. „Allein das Ausnutzen der finanzpolitischen Spielräume, die eine andere Lohnpolitik ermöglichen würden, hätte die Wirtschaftsleistung zwischen 2001 und 2015 um 3,7 Prozent und die Beschäftigung um drei Prozent erhöht“, schreiben die Wissenschaftler.

Das Fazit der IMK-Ökonomen: Um Leistungsbilanzüberschüsse nennenswert zu reduzieren, braucht es „eine Kombination aus makroökonomisch orientierten Lohnerhöhungen und unterstützender Finanzpolitik“. Zudem sorgten höhere Löhne für eine gerechtere Verteilung zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen.

Gustav Horn u. a.: Zur Rolle der Nominallöhne für Leistungs- und Handelsbilanz (pdf), IMK-Report Nr. 125, April 2017
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