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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Ich will Mindeststandards für Mitbestimmung"

Ausgabe 04/2016

Anfang 2016 kündigte EU-Kommissionspräsident Juncker einen neuen „Pfeiler sozialer Rechte“ an. Diese Rechte will im Europaparlament der Vorsitzende des Beschäftigungsausschusses Thomas Händel vorantreiben – mit einer Initiative zur Unternehmensmitbestimmung. Die Fragen stellte Eric Bonse.

Thomas Händel, bisher war die Arbeitnehmermitbestimmung im Europaparlament kaum ein Thema. Nun haben Sie dazu einen Bericht vorgelegt. Warum ausgerechnet jetzt?

Es ist höchste Zeit für mehr Demokratie in der Wirtschaft. Denn erstens sind Volkswirtschaften mit Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene besser durch die Krise gekommen. Zweitens funktioniert erfolgreiches Wirtschaften heute nur dann, wenn die Beschäftigten mit ihrem Wissen nicht nur einbezogen werden, sondern auch mitentscheiden können. Außerdem wird sich mit der Digitalisierung jeder Bereich des Arbeitens verändern. Wir stehen also vor gewaltigen Umbrüchen, die mit den Beschäftigten gestaltet werden müssen und nicht über ihre Köpfe hinweg oder gegen deren Interessen. 

Wie lautet Ihre Kernforderung? 

Mit der Initiative will ich die EU-Kommission veranlassen, Mindeststandards zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene vorzulegen. Außerdem müssen Schlupflöcher im europäischen Unternehmensrecht geschlossen werden, die für die Umgehung oder Vermeidung von Mitbestimmung genutzt werden. 

Bisher wurden 280 Änderungsanträge und 62 Löschungsanträge zu Ihrem Entwurf eingereicht. Was ist da los? 

Nun, auch im Beschäftigungsausschuss des Europaparlaments sind die Kenntnisse in Sachen Mitbestimmung nicht gerade ausgeprägt. Einige sehen das nur durch die ideologische Brille. Andere verteidigen ihr nationales Arbeitnehmerbeteiligungssystem mit Zähnen und Klauen. Aber es geht ja nicht darum, deren Systeme abzulösen, sondern darum, Mindeststandards zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene in Europa zu schaffen. Diese könnten dann universell auf alle Rechtsakte des Unternehmensrechts angewendet werden. Damit hätten wir ein effektives Mittel, um Schlupflöcher zu stopfen und Missbrauch zu verhindern.

Von wem wird der Entwurf unterstützt? Was sagen Ihre Gewerkschaftskollegen aus Frankreich oder die im EGB? 

Meine Initiative ist auf breite Unterstützung gestoßen. Sozialdemokraten, Linke und Grüne bis hin zu einzelnen Sozialkonservativen unterstützen sie. Schwierigkeiten haben noch Kolleginnen und Kollegen aus Ländern ohne Mitbestimmung auf Unternehmensebene und jene, die befürchten, wir wollten ihnen das deutsche Modell aufzwingen. Dass das nicht gewollt ist, versuche ich in vielen Gesprächen klarzumachen.

Wie verhält sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker? Ist Mitbestimmung Teil der „sozialen Säule“, die die Kommission vorgeschlagen hat? 

Jean-Claude Juncker und auch Martin Schulz haben sich mehrfach für eine Stärkung der Mitbestimmung auf europäischer Ebene ausgesprochen. Im vorgelegten Entwurf der Kommission für eine Säule sozialer Rechte findet sich das allerdings nicht wieder. Zwar soll da sichergestellt werden, so wörtlich, die „rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung aller Beschäftigten, einschließlich digital und/oder in anderen Ländern tätiger Personen (...), insbesondere im Falle von Massenentlassungen sowie des Übergangs, der Umstrukturierung und der Fusion von Unternehmen“. Aber ein konkreter Vorschlag für eine stärkere Mitbestimmung fehlt. Das muss jetzt in den Konsultationen für die soziale Säule, die noch bis in den Herbst hinein laufen, massiv gefordert werden.

Bisher hat sich die Kommission im Sozialbereich ja vor allem um den Bürokratieabbau und die Deregulierung gekümmert. Stehen diese Ziele nicht der Mitbestimmungsinitiative entgegen? 

Immer wenn es um Arbeitnehmerrechte geht, wird die überbordende Bürokratie beklagt, die das „freie Unternehmertum“ an der Entfaltung hindere und Deregulierung erfordere. Ich rechne folglich mit einigen Hürden. Während man in anderen Politikbereichen die Verfahren zur Folgeabschätzung kleinredet – hier wird man sie ganz massiv fordern.

Ist die Mitbestimmung nicht auch durch EU-Recht, etwa bei der SE, unter Druck gekommen? 

Manche europäischen Richtlinien im Unternehmensrecht können dazu genutzt werden, nationale Arbeitnehmermitbestimmung zu umgehen oder zu unterlaufen. Zum Beispiel mit der Europäischen Aktiengesellschaft, SE. Unternehmen werden dann „ganz zufällig“ in eine SE umgewandelt, wenn sie knapp vor der Schwelle der Arbeitnehmerbeteiligung stehen. Damit gibt es keinerlei Arbeitnehmerbeteiligung – und dieser Zustand wird quasi eingefroren, auch wenn das Unternehmen wächst. Diese Flucht in die SE muss verhindert werden.

Wie auch bei der Einpersonengesellschaft? 

Auch bei der geplanten Einpersonengesellschaft SUP könnte eine Aufspaltung des Unternehmenssitzes dazu genutzt werden, nationale Systeme der Arbeitnehmerbeteiligung zu unterlaufen. Wenn der Firmensitz zum Beispiel auf Guernsey wäre – das gehört zu Großbritannien, das keine Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat hat – und der tatsächliche Betrieb in Deutschland oder Österreich verbliebe, dann wäre die Arbeitnehmerbeteiligung ausgehebelt.

Wie geht es weiter? 

Wir verhandeln über tragfähige Kompromisse für die Abstimmung im über 100-köpfigen Beschäftigungsausschuss. Dabei geht es vor allem darum, Vorbehalte zu entkräften, wir wollten mit unserer Initiative die deutsche Mitbestimmung nach Europa exportieren. Ich will die Vorteile einer besseren Arbeitnehmerbeteiligung klarmachen. Für die Abstimmung im September und später im Plenum brauchen wir allerdings noch mehr Unterstützung von außerhalb des Parlaments. Etwa durch Interventionen bei allen deutschen Europaabgeordneten. Letztlich wollen wir doch den Abbau demokratischer und sozialer Rechte wieder umkehren und das viel gerühmte „europäische Sozialmodell“ ausbauen. 

Mehr Informationen

Thomas Händel, 62, ist Gründungsmitglied der Partei Die Linke und IG-Metall-Gewerkschafter. Bei der Europawahl 2009 wurde Händel in das Europäische Parlament gewählt und 2014 wiedergewählt. Er ist Vorsitzender des Beschäftigungsausschusses. 

Im ersten Entwurf forderte der Händel-Bericht, die Hälfte der Sitze in Aufsichtsräten für Arbeitnehmer oder ihre Vertreter zu reservieren. Dafür gibt es im Europaparlament jedoch keine Mehrheit. In der aktuellen Fassung heißt es daher, dass die EU-Kommission die Auffassung der Sozialpartner berücksichtigen und einen Mitbestimmungs-„Aufzug“ installieren soll. Er läuft darauf hinaus, umso mehr Arbeitnehmer zu beteiligen, je größer ein Unternehmen ist.

Das Europaparlament kann zu jedem Thema Initiativberichte erarbeiten und Entschließungen annehmen, um Diskussionen in Europa anzustoßen. Einige Berichte, etwa zur Gleichstellung der Frau oder zur Unternehmensbesteuerung, haben zu einem Umdenken in der EU geführt. Allerdings ist die EU-Kommission nicht verpflichtet, die Initiativen aufzugreifen. Oft vergehen Jahre, bevor ein Bericht in einen Gesetzentwurf mündet.

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