zurück
Magazin Mitbestimmung

: Kämpfer, Widerborste, Funktionäre

Ausgabe 01+02/2005

Welches Bild zeichnet die deutsche Presse von den Gewerkschaften? Auf den ersten Blick ergibt sich ein ausgeglichenes Bild. Einige Stereotype allerdings beeinflussen das Image besonders negativ.

Von Holger Ihle, Dipl.-Sozw. Annette Lamprecht und Daniel Lorenz
Die Autoren sind Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte am Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft der Universität Göttingen.
inhaltsanalyse@gmx.net

Obwohl die Gewerkschaften in Deutschland eine wichtige politische Kraft darstellen, scheinen sie in den Medien oft nur dann aufzutauchen, wenn Tarifverhandlungen anstehen oder Arbeitsplätze gefährdet sind. Dann wird mobilisiert, gestreikt, verhandelt, und am Ende steht ein Kompromiss. Gewerkschaftsarbeit besteht aus mehr als Tarifverhandlungen und Streiks. Dass das Bild der Gewerkschaften aber maßgeblich durch diese Ereignisse geprägt wird, ist Grund genug, einmal genauer zu fragen, wie sie in den Medien dargestellt werden.

Skeptische Organisationen

Beherrscht ein unattraktives Bild vom ideologisch verhärteten Klassenkämpfer die Presse, oder sind Gewerkschaften moderne Interessenvertretungen der Arbeitnehmer? Machen die Gewerkschaften Angebote, die sich im politischen Alltag bewähren, oder verzetteln sie sich in bürokratischen Strukturen? Wenig überraschend erscheinen die Gewerkschaften in den Medien hauptsächlich als Akteure mit einer kritischen Grundhaltung. Tarifpolitische Themen überwiegen die Berichterstattung. Doch auch in den aktuellen Reformdiskussionen in Deutschland reden die Gewerkschaften ein deutliches Wort mit. Gleichzeitig kommen in der Berichterstattung darüber aber auch die wenigsten konstruktiven Gegenvorschläge der Gewerkschaften vor.

Durch das geringe Maß an konstruktiver Kritik, mit dem sie in den Medien präsent sind, entsteht das Bild von Blockierern, die zu Lasten notwendiger Veränderungen an Überkommenem und Altem festhalten. So finden sich Überschriften wie "Verdi gibt Contra" (FR vom 6. Oktober 2004, S. 1, alle folgenden Zitate ebenfalls aus dem Jahr 2004), "Arbeitnehmer kontern Sparvorschläge" (FR vom 6. Oktober, S. 9) - oder die Gewerkschaften werden insgesamt als "notorische Widerborste" bezeichnet (Spiegel vom 13. September, S. 33). Das sind Formulierungen, die die kritische Haltung hervorheben - und zwar unabhängig von der Berechtigung der Kritik. Im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Debatten - etwa zum Thema soziale Gerechtigkeit - scheint das den Gewerkschaften allerdings kaum zu schaden. Denn hier wird ihnen noch die höchste Glaubwürdigkeit zugesprochen.

Tarifrituale und Kampfrhetorik

Ein ganz anderes Bild ergibt sich für die Tarifpolitik. Auch hier wird hauptsächlich kritisiert und gefordert. Jedoch ist im Vergleich zu anderen Themenbereichen die konstruktive Kritik noch am häufigsten vertreten. Die Positionierung zwischen Forderungen und Kompromissen folgt in der Tarifpolitik den zu erwartenden Mustern eines "Tarifrituals" (FR vom 14. Oktober, S. 15). Bilder von Konfrontation und Einlenken sind in diesem Themenbereich am deutlichsten ausgeprägt. Sie unterscheiden sich aber kaum in der Gesamtzahl: In dem Maße, in dem hohe Forderungen gestellt werden, müssen auch Kompromisse gefunden werden.

Die üblichen stereotypen Bilder von Tarifverhandlungen schlagen sich hierin nieder. So lautet eine Überschrift: "Die Fronten im VW-Tarifstreit verhärten sich" (FAZ vom 6. Oktober, S. 18), zwei Wochen später heißt es: "IG Metall bei VW kompromissbereit" (FAZ vom 22. Oktober, S. 16). Insgesamt unterscheiden sich die negativen und positiven Bilder aber wenig, mit Ausnahme der erwähnten Unterschiede zwischen bloßer Ablehnung und konstruktiver Kritik.

In welch eingefahrenen Bahnen sich die Berichterstattung der Medien über Gewerkschaften bewegen kann, wird am Beispiel der Tarifverhandlungen bei VW deutlich. Wie nicht anders zu erwarten, werden vor allem Vorschläge der Verhandlungspartner zurückgewiesen und Forderungen aufgestellt. Eine konfrontative Positionierung überwiegt, gleichzeitig ist aber auch im Vergleich mit anderen Themen das Einlenken hier am stärksten vertreten.

Bis es zu einem Kompromiss kommt, muss das ganze Drohpotenzial der Gewerkschaften aufgefahren werden. Da gibt es nach Ablauf einer "Friedenspflicht" (FR vom 30. Oktober, S. 1) ein "allgemeines Kampfgetöse" (FR vom 30. Oktober, S. 3), "harte Fronten" (FR vom 06. Oktober, S. 11) und "prall gefüllte Kampfkassen", mit deren Hilfe die Gewerkschaften ihre "Schlagkraft" (FR vom 30. Oktober, S. 3) beweisen wollen.

Derlei Kampfrhetorik ist für die Darstellung von Gewerkschaften bei den Journalisten ohnehin beliebt. Auch im Zusammenhang mit innergewerkschaftlichen "Machtkämpfen" ist die Rede von "Attacken" (FAZ vom 11. September, S. 10), und gegen die Ein-Euro-Jobs wird "Sturm gelaufen" (FAZ vom 2. August, S. 9). Überraschend scheint, dass die Gewerkschaften sogar eher als modern dargestellt werden - gerade auch in der Tarifpolitik. Doch sind auch hier die Unterschiede zu gering, als dass eine eindeutige Tendenz abzulesen wäre. Vielmehr könnten die Themen, die im Untersuchungszeitraum verhandelt worden sind, sich hierin niederschlagen.

Zur Illustrierung von Arbeitskämpfen wird durchaus auf vertraute Bilder zurückgegriffen. Es überwiegen Bilder von Menschenansammlungen mit Plakaten und Fahnen der Gewerkschaften oder Ausschnitte daraus, um den Blick auf bestimmte Plakate zu lenken. Zu Recht stellt der Publizist und Kommunikationsberater Hans-Jürgen Arlt in einem Zeitungsbeitrag fest: "Ihren realen Machtverlust kann Arbeiterpolitik durch lautstarke Kampfrhetorik zu kompensieren versuchen. Das klappt ein paar Jahre, Jahrzehnte nicht." (FR vom 28. September, S. 7) Allerdings muss man dabei auch die Rolle der Medien bei der Konstruktion dieses Bildes berücksichtigen: Wenn der Begriffsvorrat der Medienmacher bezüglich der Gewerkschaften derart beschränkt ist, beschränkt sich zuletzt auch die Macht in öffentlich geführten Debatten auf ein solches Drohpotenzial.

Das Problem der "Geschlossenheit"

Am ehesten zeichnet sich noch für den Bereich gewerkschaftlicher Geschlossenheit eine eindeutige Richtung in der Darstellung ab: Hier geben die Gewerkschaften ein trauriges Bild ab. Sie erscheinen als ausgesprochen uneinig. Das hängt mit den Selektionskriterien der Massenmedien zusammen: Ein Streit innerhalb der Gewerkschaften wird von den Journalisten eher thematisiert als Einigkeit. Und ebenso wird eine Position als eine gemeinsame Position nur dann vorkommen, wenn sie aus einem Streit hervorgegangen ist.

Meinungsverschiedenheiten und Prozesse der Meinungsfindung zwischen den Gewerkschaften oder auch zwischen einzelnen Gewerkschaftsfunktionären beeinflussen das Bild besonders negativ, weil sie meist als interner Zank und als Ringen um Macht und Einfluss dargestellt werden. Die Gewerkschaften erscheinen hier weit entfernt von der Basis und von gesamtgesellschaftlichen Interessen. Eine ähnliche Wirkung haben Beiträge mit dem Tenor, die Gewerkschaften hätten hauptsächlich "ihr eigenes Wohlergehen" (SZ vom 28. September, S. 21) im Sinn.

Die prägenden Themen des untersuchten Zeitraumes waren die Diskussion um Hartz VI, die Krisen bei Opel und Karstadt, die Tarifverhandlungen bei VW und die Debatte um gesetzliche Mindestlöhne. Insbesondere die letztgenannte Debatte zeigte die Gewerkschaften als uneins und zerstritten. Damit einher geht auch ein deutliches Maß an Unglaubwürdigkeit.

"Bei kaum einem zweiten Thema präsentiert sich der Deutsche Gewerkschaftsbund so verwirrt, so unsicher und unentschlossen", heißt es in einem Kommentar (FR vom 28. September, S. 3), in einem anderen wird eine "Hilflosigkeit im Kampf gegen Niedriglöhne" (SZ vom 28. September, S. 21) konstatiert, die ein "Eingeständnis der Schwäche" (SZ vom 28. September, S. 21) sei. Wenn zu den Positionen aus den eigenen Reihen beständig Gegenpositionen formuliert werden, geht in einem solchen Stimmengewirr unter, welche davon die "richtige" ist.

Ein Blick auf die Vorsitzenden

Lohnend erscheint auch ein Blick auf einige prominente Köpfe der Gewerkschaften, denn kaum ein Zeitungsartikel mit gewerkschaftsnahem Thema steht nicht in Zusammenhang mit Kritik und Forderungen der Vorsitzenden. Obwohl nicht über alle führenden Gewerkschafter in der gleichen Weise berichtet wird, gibt es doch gewisse Parallelen: Entscheidend ist, dass sie überwiegend als machtpolitisch orientierte Gewerkschaftsbosse dargestellt werden.

Jürgen Peters wird etwa eine "Doppelstrategie" unterstellt, mit der er sich "bewusst die Möglichkeit offen halte, dass die Gewerkschaft die Linksalternative unterstützen könnte, um ‚auf der politischen Klarinette mitspielen zu können‘" (FR vom 26. August, S. 5).
Die Folge ist, dass die Spitzengewerkschafter in den Medien immer weniger als Interessenvertreter der Arbeitnehmer in Erscheinung treten. Oft wird der Eindruck erweckt, ihre Ansichten der Gewerkschafter äußerten sich lediglich in permanentem Fordern und Dauerkritik bis hin zur Blockade.

Diese Tendenz ist vor allem bei der Vize-Vorsitzenden des DGB, Ursula Engelen-Kefer, deutlich, die, wie es in einer Zeitung heißt, "mit ähnlicher Frequenz Gegenforderungen erhebt", wie Vorschläge von anderer Seite gemacht werden (FAZ vom 3. September, S. 5). Statt als Interessenvertreter der Arbeitnehmer treten die Promis als Funktionäre auf: "DGB-Chef Sommer und die beiden nicht minder mächtigen Vorsitzenden Peters und Bsirske rüsteten zum Machtkampf" (FAZ vom 11. September, S. 10).

Das Image der Vorsitzenden als Funktionäre setzt sich auf der Bildebene fort. Fotos der Vorsitzenden kommen verglichen mit anderem Bildmaterial am häufigsten vor. Dabei tauchen sie auf kaum einem der Fotos gemeinsam mit Vertretern der Basis auf. Vielmehr sind sie nur mit anderen hochrangigen Gewerkschaftern oder Politikern zu sehen. Die durchgehende Darstellung in Politikerpose lässt die Gewerkschaftsvorsitzenden einerseits als politische Kraft von einigem Einfluss erscheinen, evoziert aber auf der anderen Seite eine große Distanz zur eigenen Basis.

Als bestes Beispiel dieses Befundes kann die Illustrierung eines Spiegel-Interviews mit dem IG-Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters gesehen werden (Spiegel vom 16. August, S. 90). Hier wird ein großes Bild von Peters gezeigt. Er lehnt an seinem Sessel, Haltung und offener Blick in die Kamera wirken sympathisch. Doch wird unter diesem Bild seitlich versetzt ein deutlich kleineres Foto einer Demonstration gezeigt, auf dem die Demonstranten Fahnen der IG Metall schwenken, IG-Metall-Mützen tragen sowie selbst geschriebene Transparente mit sich führen. Die Distanz, die hier durch das Missverhältnis der beiden Bilder entsteht, sowohl in der Größe als auch vom Habitus der dargestellten Personen her,  könnte nicht größer sein.

Unter diesem Eindruck von Distanz leidet nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit. Das Engagement für soziale Gerechtigkeit tritt hinter die Machtpolitik zurück. Das ist für die Gewerkschaften, die sich aus sozialen Bewegungen heraus entwickelt haben, besonders verheerend. Ähnlich schädlich für das Image sind Pressestimmen, nach denen die Gewerkschaften hauptsächlich "ihr eigenes Wohlergehen" (SZ, 28. September, S. 21) im Sinn haben. Positive Konnotationen wie Modernität oder konstruktive Kritik finden nur selten Eingang in die Berichterstattung und werden vom Image des Funktionärs und Dauerkritikers überlagert.

Ein derart ungünstiges Image ist aber kein Naturgesetz. Zwar können die Gewerkschaften die Funktionsweise der Medien und die beruflichen Vorprägungen der Journalisten nicht verändern - sie können aber dem Stereotyp des Blockierers dadurch begegnen, dass sie nicht aufhören, mit eigenen, konstruktiven Vorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten, und zwar nicht nur in Reaktion auf andere Vorschläge. In dem Maße, in dem es den Gewerkschaften gelingt, mit ihrem Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Arbeitnehmerinteressen eigene Themen zu setzen, können sie Glaubwürdigkeit zurückerlangen und dadurch ihr Image verbessern.

Zum Weiterlesen

Jürgen Prott: Öffentlichkeit und Gewerkschaften. Theoretische Ansätze und empirische Erkenntnisse. Münster, Verlag Westfälisches Dampfboot, 2003

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen