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Magazin Mitbestimmung

Von ERIC BONSE: "Säule sozialer Rechte": zwingende Reparaturen notwendig

Ausgabe 11/2018

Thema Die EU-Kommission hat eine neue „Säule sozialer Rechte“ versprochen. Doch bei der Reform des Gesellschaftsrechts denkt sie kaum an die Arbeitnehmer. Nun versuchen die Gewerkschaften, Nachbesserungen zu erreichen – es geht auch um die Mitbestimmung.

Von ERIC BONSE

Die Europäische Kommission will die grenzüberschreitende Verlagerung von Unternehmen erleichtern – und könnte dabei die Arbeitnehmer und ihre Mitbestimmungsrechte vergessen. Diese Sorge wurde bei einer Fachkonferenz zum so genannten „Company law package“ im Europaparlament in Brüssel laut. „Mit diesem Vorschlag wird es nicht mehr, sondern weniger Arbeitnehmerbeteiligung geben“, warnte Peter Scherrer vom Europäischen Gewerkschaftsbund.

Die Kommission hatte im April zwei Vorschläge vorgelegt: Einen Gesetzentwurf zur grenzüberschreitenden Mobilität und einen weiteren zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. Beide Vorschläge werden derzeit im Parlament beraten und könnten noch vor der Europawahl im Mai 2019 verabschiedet werden. Allerdings hat sich der österreichische EU-Vorsitz auf die Digitalisierung konzentriert. Bei der Mobilität gibt es dagegen bisher kaum Fortschritte.

Dies weckt bei den Gewerkschaften und ihnen nahestehenden Europaabgeordneten die Sorge, dass das Gesetzespaket aufgespalten werden könnte – und die Arbeitnehmerrechte auf der Strecke bleiben. „Die Digitalisierung und die Mobilität gehören zusammen“, betonte die österreichische Europaparlamentarierin Evelyn Regner. „Wir sind konstruktiv und wollen beide Dossiers durchbringen“, sagte sie. Ähnlich äußerte sich IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis.

Kein „Rosinenpicken“ von Arbeitgebern

„Als Gewerkschafter habe ich nichts gegen Wettbewerb und Flexibilität der Unternehmen“, erklärte er in Brüssel. Auch die Verlagerung von einem EU-Land in ein anderes solle nicht behindert werden. Entschieden würden sich die Gewerkschaften jedoch dagegen wenden, dass die Novelle von den Arbeitgebern zum „Rosinenpicken“ genutzt wird. Verlagerungen und Umwandlungen von Unternehmen dürften nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden.

Dass diese Sorge durchaus begründet ist, zeigt das so genannten Polbud-Urteil. Darin stellten die höchsten EU-Richter in Luxemburg Ende 2017 fest, dass die Niederlassungsfreiheit der Unternehmen im Zweifel schwerer wiegt als soziale Rechte. Dass eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen EU-Staat verlege, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen, stelle für sich allein keinen Missbrauch dar, urteilten die Richter.

„Dieses Regime-Shopping ist das Schlimmste“, warnt dagegen EGB-Experte Scherrer. Er forderte das Europaparlament auf, gegen die willkürliche Verlagerung von Unternehmen in Staaten mit niedrigen Standards neue Sicherungen einzuziehen. Auch könne man die geplante Reform des Gesellschaftsrechts nutzen, Mindeststandards für die Arbeitnehmerbeteiligung zu schaffen. Die EU-Kommission habe diese Chance verpasst, so Scherrer, doch die Abgeordneten könnten noch nachbessern.

Ähnlich äußerte sich Norbert Kluge vom I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung. „Wir müssen die Mitbestimmung wieder auf die Tagesordnung setzen“, forderte er. Und Regner gab zu bedenken: „Dafür brauchen wir aber auch wirklich laute Gewerkschaften.“ Bisher habe die geplante EU-Reform nicht genug Beachtung gefunden, auch nicht im Europaparlament. Die Abgeordneten seien zwar aufgeschlossen für die Anliegen der Gewerkschaften, doch bisher bewege sich zu wenig.

Immerhin wurden im Laufe der Beratungen einige  Klarstellungen erreicht. So stimmte der Wirtschaftsausschuss des Parlaments im Oktober für Änderungsanträge, die Verlagerungen an „künstliche“ Unternehmenssitze (zum Beispiel durch Briefkastenfirmen) verhindern sollen. Demnach soll künftig das Recht jenes EU-Landes gelten, in dem eine Firma ihren Hauptsitz hat und auch wirtschaftlich tätig ist.

Die wichtigsten Ausschusssitzungen und Abstimmungen finden aber erst im November statt. Besonders gespannt blickt der EGB auf den Rechtsausschuss. Denn nur die Änderungen, die hier durchgehen, dürften es später auch zur entscheidenden Abstimmung im Plenum schaffen. Als „Wackelkandidaten“ gelten die Europaabgeordneten der Konservativen und der Liberalen, in Deutschland also von CDU/CSU und FDP.

Parallel zur Debatte um das „Company law package“ hat der EGB eine Offensive für mehr Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer gestartet. Offenbar mit Erfolg: Mehr als 900 prominente Persönlichkeiten – darunter der französische Ökonom Thomas Piketty, die früheren Premierminister Enrico Letta and Poul Nyrup Rasmussen und der ehemalige grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit – haben einen Appell unter dem Titel „More Democracy at Work“ unterzeichnet.

Darin fordern die Gewerkschaften unter anderem, den Vorrang des „Shareholder Value“ zu beenden und die Schaffung von Briefkastenfirmen zu erschweren. Im Vordergrund der EU-Gesetzgebung müssten wieder die Realwirtschaft und ihre Beschäftigen stehen. Die Arbeitnehmer sollten das Recht erhalten, eigene Vertreter in den Board zu wählen, wie dies bereits in 18 der 28 EU-Ländern der Fall sei – und in 44 Prozent der größten europäischen Unternehmen.

Bisher zeichnet sich jedoch noch kein Umdenken ab – im Gegenteil. Das Programm der EU-Kommission für ihr letztes Arbeitsjahr 2019 sei eine Enttäuschung, urteilt der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. In den Plänen fehlten vor allem Vorhaben für eine „Säule sozialer Rechte“, wie sie Kommissionschef Jean-Claude Juncker versprochen hatte.

„Dass das Arbeitsprogramm die Säule sozialer Rechte nicht weiter in konkrete Gesetzesinitiativen umsetzt, ist fatal“, so Geier. Damit mache sich die Kommission unglaubwürdig – und das in einer Zeit, in der der Handlungsbedarf größer denn je sei. Es gehe um ein „soziales Europa, das stärkere betriebliche Mitbestimmung garantiert, prekären Jobs eine Absage erteilt und Kinderarmut mit konkreten Maßnahmen bekämpft.“

Vor einem Jahr sah es noch so aus, als würde sich die EU tatsächlich in diese Richtung bewegen. Auf einem Sondergipfel in Göteborg haben sich die Staats- und Regierungschef feierlich zu sozialen Grundprinzipien  bekannt. Doch wenn es konkret wird, fällt die Union schnell wieder in ihren alten Trott zurück, wie das Beispiel des Gesellschaftsrechts zeigt.

Aufmacherfoto: Westend61/dpa/Wilfried Wirth

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