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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: „Europa braucht die Stimme der Arbeit“

Ausgabe 04/2016

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss entscheiden, ob die deutsche Unternehmensmitbestimmung mit EU-Recht vereinbar ist. Ein TUI-Aktionär hatte gegen die Regeln zur Aufsichtsratswahl geklagt. Dass Europäisierung und Mitbestimmung gut zusammengehen, erklärt der Mitbestimmungsexperte Norbert Kluge.

Der Kläger argumentiert unter anderem, Beschäftigte könnten­ ­zögern, einen Job in einer Auslandsfiliale anzunehmen, weil sie dann ihr Wahlrecht für den Aufsichtsrat verlieren. Das klingt ziemlich konstruiert. Was steckt wirklich hinter der Klage?

Es muss klar sein: Den Klägern geht es nicht um eine besser legitimierte deutsche Mitbestimmung. Es geht ihnen um ihre Abschaffung – sie wären bestimmt nicht böse, wenn dies auch auf die Arbeitnehmerrechte in anderen europäischen Ländern zurückwirkt; also auf die 18 der 28 EU-Staaten und Norwegen, wo das Recht der Beschäftigten auf Beteiligung in Aufsichts- oder Verwaltungsräten zur gesetzlichen Grundausstattung gehört. Die Klage ist der x-te Versuch von Gegnern der Mitbestimmung, die Rechte der Arbeitnehmer in Deutschland via Europa auszuhebeln. Anders als das häufig vernehmbare Lob der Mitbestimmung aus Wirtschaftskreisen vermuten lässt, haben Teile der Wirtschaftselite und ihre Rechtsgehilfen in Deutschland offenbar bis heute keinen Frieden mit ihr gemacht.

Die Mitgliedsstaaten können gegenüber dem EuGH Stellungnehmen. Wie haben sie sich positioniert?

Die deutsche Bundesregierung hat ihre Stellungnahme gegenüber dem EuGH abgegeben. Folgt man ihren bisherigen Aussagen über die Mitbestimmung als hohes Rechtsgut, schätzt sie die Klage als unbegründet ein. Uns ist weiterhin bekannt, dass Österreich eine Erklärung zum Verfahren mit ähnlichem Tenor abgegeben hat. Sie unterstützt die Position, dass nationale Regelungen wie im deutschen Mitbestimmungsgesetz dem Diskriminierungsverbot und dem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa nicht im Wege stehen.

Gibt es weitere einflussreiche Kräfte, auf die Arbeitnehmer bauen können, wenn es um die Verteidigung ihrer Mitbestimmungsrechte geht?

Da sind zuerst die Gewerkschaften unter dem Dach des Europäischen Gewerkschaftsbunds. Auch im Europäischen Parlament gibt es Abgeordnete, die vom Vorteil der Mitbestimmung überzeugt sind und eine gesellschaftlich verantwortliche, bessere Unternehmensführung mit rechtlich starker ‚Workers Voice‘ regeln wollen.

Welche konkreten Maßnahmen würden die Mitbestimmung in Europa stärken?

In ihrer Resolution vom Oktober 2014 haben sich die europäischen Gewerkschaften einmütig für eine neue integrierte Architektur der Arbeitnehmerbeteiligung auf europäischer Ebene ausgesprochen. Sie fordern darin eine EU-Richtlinie, die Mindeststandards für Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung auf Unternehmensebene für den Fall regelt, dass europäisches Gesellschaftsrecht angewendet wird. Damit das aber nicht als Einladung verstanden wird, bessere nationale Mitbestimmungsrechte mit Hinweis auf Europa in Frage zu stellen, müssen vor einer solchen EU-Mindeststandardrichtlinie die gesetzlichen Schlupflöcher national wie europäisch geschlossen werden.

Zum Beispiel?

Bei der Registrierung einer Europäischen Aktiengesellschaft, der SE, sieht das Gesetz vor, dass eine Vereinbarung zur Beteiligung der Arbeitnehmer an der transnationalen Spitze des Unternehmens vorliegt. Aber die Praxis zeigt, dass vor allem kleinere mittelständische Unternehmen aus Deutschland die SE in der Praxis missbräuchlich nutzen, um der deutschen Mitbestimmung kurz vor Erreichen von nationalen gesetzlichen Schwellenwerten unwiderruflich Goodbye zu sagen oder die Arbeitnehmerbeteiligung zumindest auf einem niedrigen Status quo einzufrieren Diesem Missstand gehört gesetzlich ein Riegel vorgeschoben.

Funktioniert die Mitbestimmung trotz unterschiedlicher ­nationaler Regeln in grenzüberschreitend tätigen Konzernen?

In transnational agierenden Unternehmen lassen sich Arbeitnehmer bei Umstrukturierungen und Verlagerung offensichtlich immer weniger gegeneinander ausspielen. Hier zeigt sich die Wirkung von rund 20 Jahren Praxiserfahrung mit Europäischen Betriebsräten. Um herauszufinden, wie sich generell der Einfluss der Arbeitnehmervertretung auf transnationale Unternehmen – bei allen nach wie vor bestehenden nationalen Unterschieden – im Einzelnen auswirkt, haben wir im Herbst 2015 die europäische Expertengruppe ‚Workers Voice in Corporate Governance‘ ins Leben gerufen. Gefragt sind wissenschaftlich und durch Praxiserfahrung unterlegte Vorschläge, mit denen auf europäischer Ebene Regeln für eine bessere Unternehmensführung mit starken Mitwirkungsrechten für Arbeitnehmer begründet werden können.

Norbert Kluge leitet die Abteilung Mitbestimmungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung.

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