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HBS Böckler Impuls

Löhne: Krisenpolitik: Kürzen hilft nicht

Ausgabe 19/2013

Die aktuelle europäische Krisenpolitik setzt auf sinkende Löhne, um die Gewinne steigen zu lassen. So entsteht kein Aufschwung.

Auch wenn die Umverteilung zugunsten der Kapitaleinkommen in Deutschland vorerst gestoppt ist: In der EU insgesamt bleibt die Verteilungsbilanz negativ. Das heißt, die Lohnquote geht weiter zurück. Der europaweite Druck auf das Lohnniveau entspricht dem WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten zufolge einer bewussten politischen Strategie der EU-Staaten, der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Nach dem Vorbild Deutschlands sollten Lohnmoderation und Reallohnverluste zu neuer Wettbewerbsfähigkeit führen und dadurch einen Weg aus der Krise ebnen. Aussicht auf Erfolg habe diese Strategie aber nicht. Der Wissenschaftler erinnert daran, dass die EU-Kommission ihre „stets zu optimistischen Prognosen“ in den vergangenen Jahren immer wieder nach unten korrigieren musste. „Dies deutet daraufhin, dass die derzeit vorherrschende Krisenpolitik in Europa die ökonomische Lage keineswegs verbessert, sondern im Gegenteil verschärft hat“.

Im Rahmen der neuen europäischen „Economic Governance“ komme es zu massiven staatlichen Eingriffen in die Lohnpolitik – vor allem Lohnstopps und Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor und Einschnitte beim Mindestlohn. Zudem habe vielerorts ein Umbau der Tarifsysteme begonnen, der „einer Strategie der radikalen Dezentralisierung“ folge, so Schulten. Besonders in Griechenland, Portugal und Irland, die unter dem Einfluss der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF stehen, habe dies zu einer „weitreichenden Zerstörung von Flächentarifvertragsstrukturen“ geführt. Der Tarifexperte befürchtet, dass die Lohnpolitik in vielen europäischen Ländern unter internationalem Druck weiter auf Deflationskurs bleibt. Um ein Gegengewicht zu schaffen, sei es umso wichtiger, dass Deutschland und andere nordeuropäische Staaten mit Leistungsbilanzüberschüssen eine expansive Lohnpolitik betreiben.

 


Mindestlohn

Ältere Studien, die Mindestlöhnen Arbeitsplatz vernichtende Wirkungen zuschreiben, erweisen sich im Lichte aktueller Forschung häufig als unzutreffend. Denn oft war das Instrumentarium zu grob: Stellenverluste, die ganz andere Ursachen hatten, wurden fälschlicherweise dem Mindestlohn oder seiner Anhebung zugeschrieben. Neuere Studien, in denen Untersuchungsgruppe und Kontrollgruppe – zum Beispiel Kellner in einer amerikanischen Region mit und einer ohne Mindestlohnerhöhung – präziser bestimmt sind, finden in der Regel keine negativen Beschäftigungseffekte. Darauf weisen Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) hin. Meist lassen sich keine oder nur sehr geringe Auswirkungen auf die Beschäftigung nachweisen; einige Untersuchungen machen sogar positive Effekte aus, weil höhere Mindestlöhne Produktivitätssteigerungen auslösen, was am Ende zu neuen Stellen führen kann. In Deutschland, bemängeln Bosch und Weinkopf, werde der aktuelle Stand der Forschung jedoch häufig ignoriert – unter anderem von der Mehrheit der so genannten Wirtschaftsweisen.

IAQ, November 2013

 

Thorsten Schulten: Europäischer Tarifbericht des WSI 2012/2013, in: WSI-Mitteilungen 8/2013

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