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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Ein deftiges Risiko“

Ausgabe 12/2012

Arbeitsrechtler Peter Schüren über die Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen – und woran sich Missbrauch erkennen lässt

Herr Professor Schüren, auf den ersten Blick scheinen sich Leiharbeit und die Vergabe von Aufträgen an ein Werkvertragsunternehmen zu ähneln: In beiden Fällen holen sich Unternehmen Fremdpersonal ins Haus – oft, weil es billiger ist als die Stammbelegschaft. Wo liegt da der Unterschied?
Ein Verleiher versorgt das Unternehmen mit Arbeitnehmern. Die Leiharbeitnehmer sind in den Entleiherbetrieb komplett eingegliedert. Sie werden geführt wie eigene Leute, und der Entleiher trägt das komplette Risiko. Er allein ist dafür verantwortlich, dass diese Menschen sinnvoll und effizient eingesetzt werden – und er haftet für Schäden, die sie verursachen. Beim Werkvertrag ist das anders. Da übernimmt der Werkunternehmer eine konkrete Aufgabe, deren Erfüllung er selbst organisieren muss. Und dazu setzt er dann seine eigenen Leute ein. Beim Werkvertrag entsteht also im Betrieb des Werkbestellers ein Betrieb der Fremdfirma, wo das versprochene Werk hergestellt wird.

Was kann dieses „Werk“ denn sein? Kann man, wie es in der Praxis ja häufig geschieht, auch ein eingeräumtes Regal im Supermarkt als „Werk“ definieren?

Ein Werk muss ein konkretes Ergebnis sein. Das kann durchaus auch ein eingeräumtes Regal sein. Genauso wie man das Entladen eines Lastwagens oder eines Schiffes klassisch schon immer als Werkvertrag einordnen konnte. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Tätigkeit auch tatsächlich langfristig als Werkvertrag abgewickelt wird, nicht sehr groß. Denn die Grenze zur Leiharbeit wird dabei leicht überschritten. Nämlich dann, wenn das Unternehmen, das das Werk bestellt hat, den Personaleinsatz genauso steuert wie bei den eigenen Leuten. Wenn es entscheidet, wer wo wann was macht. Wenn es Leute exakt nach Bedarf vorbestellt und sie dann eigenverantwortlich einsetzt – dann wird aus dem eigentlich als Werkvertrag geplanten Unterfangen ganz schnell verdeckte Leiharbeit.

Ist also entscheidend, wer das Weisungsrecht für das Fremdpersonal hat?
Auf dem Papier ja. Aber als Abgrenzungskriterium ist das wenig tauglich. Bei einem Werkvertrag gibt der Kunde regelmäßig Weisungen und greift in das Geschehen ein – insbesondere, wenn die Arbeiten auf seinem Gelände erfolgen. Stellen Sie sich vor, eine Kolonne von fünf Malern renoviert Ihr Haus. Sie sagen denen, welche Farbe Sie wollen und wo mit der Arbeit angefangen werden soll. Kein Mensch kann anhand dieser Weisung unterscheiden, ob Sie sich die Maler ausgeliehen haben oder ob sie Ihnen von Malermeister X als Werkvertragsarbeitnehmer geschickt worden sind. Für die rechtliche Einordnung hilft das nicht weiter.

Woran lässt sich stattdessen festmachen, dass ein Werkvertrag eigentlich als Arbeitnehmerüberlassung einzustufen ist?
Die entscheidende Frage ist: Wer hat die Verantwortung? Wenn ich mir Leute ausleihe, sind die Fehler, die diese Leute machen, meine Fehler. Wenn dagegen die Beschäftigten des Werkunternehmers etwas falsch machen, dann sind das seine Fehler, für die ausschließlich der Werkunternehmer haftet. Das heißt: Bei ernsthaften Haftungsfällen wird schnell deutlich, ob ein Werkunternehmer die Verantwortung nur auf dem Papier übernommen hat.

Und was ist, wenn es keinen Schadensfall gibt?
Wenn ein Werkunternehmer die Abläufe in seinem Bereich selbst organisiert, seine Leute einteilt, darauf achtet, dass sie ordentlich arbeiten, und sich bemüht, die Qualität zu steigern, dann ist das ein Werkvertrag. Dann ist auch sicher, dass er, wenn etwas schiefgeht, die Verantwortung übernimmt. Im laufenden Geschäft lässt sich das ganz gut erkennen. Soll aber erst im Nachhinein aufgeklärt werden, wie eine längst erledigte Tätigkeit einzustufen war, dann sind die Haftungsfälle für den Nachweis verlässlicher als die Aussagen von Zeugen.

Können sich Unternehmen absichern, indem sie einfach in den Werkvertrag schreiben: Alle Haftung liegt beim Werkunternehmer?
Keineswegs. Nach der Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, was auf dem Papier steht, sondern darauf, was tatsächlich geschieht.

Von arbeitgebernahen Juristen werden Werkverträge als Alternative zur Leiharbeit angepriesen. Wie unproblematisch lässt sich denn von einem aufs andere Modell wechseln?
Die Idee klingt wirtschaftlich attraktiv, ist in der Praxis aber schwieriger und riskanter, als es den meisten erscheint. „Werkunternehmer“ sind häufig zwar in der Lage, Personal heranzuschaffen, aber nicht dafür qualifiziert, den versprochenen Werkerfolg wirklich selbstständig zu organisieren. Der Besteller dagegen kann das mit Leichtigkeit. Er hat es früher ja auch gemacht. Also übernimmt er nicht selten selbst wieder die Organisation – und schon ist der Werkvertrag in einen Scheinwerkvertrag gekippt.

Was droht den Unternehmen, wenn ihnen die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls einen Scheinwerkvertrag nachweisen kann?
Dann greifen die sehr harten Regelungen gegen illegale Arbeitnehmerüberlassung. Die unter dem Deckmantel eines Werkvertrags verliehenen Arbeitnehmer werden, sobald sie mit ihrer Arbeit beginnen, Arbeitnehmer des Scheinwerkbestellers und haben Anspruch auf völlige Gleichbehandlung. Zusätzlich gibt es dann noch verschiedene Bußgeldtatbestände, es gibt Gewinnabschöpfung, und es gibt das Damoklesschwert der Strafbarkeit wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen. Das ist ein richtig deftiges Risiko.

Viele Werkvertragsunternehmen haben gleichzeitig auch die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Können sie sich darauf zurückziehen, wenn sie bei Verstößen erwischt werden?

Für Notfälle die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung in der Gesäßtasche zu haben ist leider immer noch ganz nützlich. Denn dann kann man nach der derzeitigen Gesetzeslage keine illegale Arbeitnehmerüberlassung begehen. Und das bedeutet: Die von Scheinwerkverträgen betroffenen Beschäftigten können dann ihren Arbeitsplatz nicht beim Entleiher einklagen. Dafür greift jedoch der gesetzliche Anspruch auf Gleichbehandlung gegen den Verleiher: Mindestens der Tariflohn für Leiharbeit ist nachzuzahlen. Und da es sich um vorsätzliches Vorenthalten von Vergütung handelt, muss man auch hier an den Straftatbestand der Beitragshinterziehung denken. Gleichwohl sollte das Gesetz dringend geändert werden: Es ist nicht nachvollziehbar, warum Scheinwerkverträge, die mit einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis in der Hinterhand abgeschlossen werden, derart privilegiert werden.

Was können Betriebsräte tun gegen Scheinwerkverträge?
Wenn der Betriebsrat sicher ist, dass es sich um einen Scheinwerkvertrag handelt, hat er ein Vetorecht gegen den Fremdpersonaleinsatz, weil die Beschäftigung gesetzwidrig ist. Ansonsten kann er sich bei Werkverträgen nur auf sein allgemeines Informationsrecht berufen. Er kann beispielsweise Auskunft darüber verlangen, in welchem Umfang der Arbeitgeber Werkverträge einsetzen will und ob das eventuell eine Betriebsänderung bedeutet. Es gibt aber kein Mitbestimmungsrecht beim bloßen Tätigwerden von Werkvertragsunternehmen auf dem Betriebsgelände. Hier müsste der Gesetzgeber über Korrekturen nachdenken, weil die Zusammenarbeit der Arbeitnehmer auch bei echten Werkverträgen so eng sein kann, dass ein schützenswertes Interesse der Stammbelegschaft besteht. Wie groß etwa das Risiko von Arbeitsunfällen ist, hängt ja auch davon ab, was für Beschäftigte ins Unternehmen kommen und wie sie qualifiziert sind.

Die Fragen stellte Joachim F. Tornau, Journalist in Kassel 

Zur Person

Peter Schüren, 59, leitet das Institut für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster. Er gehört zu den führenden Experten für Leiharbeit und Fremdpersonaleinsatz in Deutschland. Im kommenden Jahr erscheint die fünfte Auflage des von ihm herausgegebenen Kommentars zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. 

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