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Magazin Mitbestimmung

: Ein Vorbild für Deutschland?

Ausgabe 12/2010

UNTERNEHMENSPOLITIK Mondragon, die größte Industriegenossenschaft der Welt, gewinnt Bedeutung als Modell für solidarisches Wirtschaften. Von Dieter Eich, Dietmar Hexel und Rainald Thannisch


DIETER EICH ist Geschäftsführer des DGB Bildungswerks, DIETMAR HEXEL, Mitglied des DGB-Bundesvorstands und RAINALD THANNISCH politischer Referent beim DGB-Bundesvorstand. Die Autoren besuchten im September 2010 die Mondragon-Gruppe im Baskenland.

Gefragt nach dem Geheimnis des Erfolgs der größten Industriegenossenschaft der Welt, ist Mikel Lezamiz, der Direktor für Öffentlichkeitsarbeit der Mondragon-Gruppe, nicht um eine Antwort verlegen: "Es gilt, ein Gleichgewicht zwischen sozialer Entwicklung und Rentabilität zu finden", betont er mit Nachdruck in der Firmenzentrale im gleichnamigen baskischen Städtchen. "Im Mittelpunkt unserer Unternehmenspolitik steht die Verpflichtung auf unsere Werte." Sie lauten: Zusammenarbeit aller, Beteiligung, Teilhabe, soziale Verantwortung und Innovation. Dann fährt Lezamiz fort: "Gewinne sind ein Muss, eine andere Frage ist, was man mit den Gewinnen anstellt." Die Antworten, die Mondragon auf diese Frage gefunden hat, überzeugen: 45 Prozent des Gewinns fließen in den Kapitalstock der Kooperative, 10 Prozent in Bildung und soziale Zwecke der Kommune, 45 Prozent werden an die Beschäftigten ausgeschüttet. Davon erhalten die Genossenschaftsmitglieder 75 Prozent.

Auch das Lohngefüge ist beispielhaft. Es gibt keine Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern. Das Niveau liegt etwas über den Tarifverträgen. In den einzelnen Genossenschaften gibt es eine vorgeschriebene Verdienstspanne von 1:4,5 zwischen der einfachsten und der anspruchsvollsten Tätigkeit. Lediglich die Chefs sehr großer Kooperativen erhalten das Sechsfache. Der Chef der gesamten Mondragon-Gruppe erhält das Neunfache der einfachsten Tätigkeit, die mit rund 1000 Euro beziffert wird. Es gibt kaum Personalfluktuation, auch nicht im Management. Die durchschnittliche Verweildauer der Mitarbeiter, sagt Lezamiz lächelnd, sei "lebenslänglich". Mondragon versteht sich nicht als eine Alternative zum kapitalistischen Produktionssystem, sondern als eine "menschlichere Unternehmensform im Kapitalismus", die mehr Beteiligung zulässt.

PRAGMATISCHES KRISENMANAGEMENT_ Gleichwohl hat die Wirtschaftskrise ihre Schatten auch auf die Genossenschaften geworfen. Die Industrieunternehmen genauso wie der Einzelhandel waren von der zurückgehenden Nachfrage in Spanien betroffen. Die Rezepte in der Krise waren überaus pragmatisch. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von Produktionsausfällen betroffen waren, wurden auf andere Arbeitsplätze innerhalb der Gruppe versetzt, die Zeitarbeitnehmer hingegen wurden entlassen. Außerdem verordneten sich die Genossenschaftsmitglieder eine vorübergehende Gehaltsreduktion.

Doch insgesamt hat die Mondragon-Gruppe die Krise gut überstanden. Eine wichtige Rolle dabei spielte die gute Eigenkapitalausstattung der Unternehmen und das Halten der gesamten Stammbelegschaft. "Der Schutz der Arbeitsplätze hatte für uns allerhöchste Priorität", sagt Mikel Lezamiz. Als die Nachfrage wieder anzog, konnte sofort produziert werden. Nur eine kleine, bereits vor der Krise angeschlagene Genossenschaft musste geschlossen werden. Deren 35 Beschäftigte wurden von anderen Genossenschaften übernommen. Im Gegensatz dazu haben viele Konkurrenzunternehmen die Krise nicht überlebt, und die Arbeitslosenquote in Spanien stieg von 8,2 Prozent (2007) auf über 20 Prozent im Jahr 2010, unterstreicht Lezamiz.

Doch der wirtschaftliche Erfolg hat auch seine Schattenseiten. Die schnelle Expansion, so Mikel Lezamiz, habe in den letzten Jahren zwei Typen von Belegschaft produziert: diejenigen mit - vor allem im Baskenland - und diejenigen ohne Genossenschaftsanteile. Um die Spaltung der Belegschaft zu überwinden, sei es nun eine vorrangige Aufgabe, die spanischen und die weltweit verstreuten Unternehmen in Genossenschaften umzuwandeln. Ziel ist der demokratische Aufbau aller Unternehmen der Gruppe.

DEMOKRATIE IM UNTERNEHMEN_ Im Mittelpunkt der Unternehmensverfassung steht die Generalversammlung jeder einzelnen Genossenschaft als das oberste Entscheidungsorgan. Jedes Genossenschaftsmitglied hat die gleichen Rechte und eine Stimme. Die Generalversammlung wiederum wählt die Mitglieder des "Governing Council" ("consejo rector") - des Gremiums, das die strategischen Entscheidungen trifft, die operative Geschäftsführung ernennt und überwacht. Alle Manager sind gewählt. Ein Sozialrat ist für die Vertretung der sozialen Interessen der Beschäftigten gegenüber den Organen der Genossenschaft zuständig und dient in der Praxis auch als Qualifizierungsinstanz für künftige Führungsfunktionen in der Genossenschaft.

Der demokratische Aufbau der einzelnen Genossenschaften findet sein Pendant auf der Sektorebene. Hier legt eine Delegiertenversammlung die Strategie der gesamten Gruppe fest und wählt einen ständigen Ausschuss, der die Umsetzung der Strategie kontrolliert und den Generalvorstand überwacht.

Der Beitritt zur Genossenschaft ist grundsätzlich jedem Beschäftigten mit festem Arbeitsplatz möglich, ausgenommen sind Zeitarbeitnehmer. Es muss ein Genossenschaftsanteil von rund 14.000 Euro eingezahlt werden. Er wird bei Gewinn mit maximal 7,5 Prozent verzinst, in schlechten Jahren kann er auch schrumpfen. Zur Finanzierung kann über mehrere Jahre ein Anteil des Gehalts einbehalten werden. Für kinderreiche Familien gelten günstigere Konditionen.

UNGEKLÄRTES VERHÄLTNIS_ Die Beziehungen zwischen der Mondragon-Gruppe und den Gewerkschaften in Spanien sind nicht spannungsfrei. Die Erfolge der Genossenschaft werden anerkannt, doch mit ihrem eigenen Einfluss sind die Gewerkschaften nicht zufrieden. So können sie zum Sozialrat nicht als Organisation, sondern nur als einzelne Mitglieder kandieren. Außerdem sehen die Comisiones Obreras (CC.OO) die geforderte hohe Flexibilität der Arbeitnehmer mit Besorgnis. So erhielten die innerhalb der Gruppe versetzten Arbeitnehmer nicht immer eine Kompensation für teilweise drastisch gestiegene Fahrzeiten und -kosten. Auch habe die Lohnsenkung in der Krise das Lohnniveau teilweise unter das spanische Durchschnittseinkommen gedrückt.

"Bei den Mondragon-Genossenschaften einen Fuß in die Tür zu bekommen ist sehr schwer, weil sie so ganz anders aufgebaut sind und auch anders funktionieren", erklärt Elisa Piedra von der baskischen CC.OO Euskadi, die uns zum Unternehmenssitz der Gruppe begleitet, "aber wir wollen den Dialog mit der Gruppe." Bei Mondragon gibt es Gewerkschaftsmitglieder, aber keine traditionelle gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitnehmer. Lezamiz betont, dass Mondragon nicht gegen die Gewerkschaften sei, "aber sie haben eine andere Funktion in unserem Unternehmen. Bei uns sind die Arbeitnehmer gleichzeitig Eigentümer und Mitentscheider im Unternehmen. Die Funktion, die den Gewerkschaften in konventionellen Unternehmen zukommt, trifft für uns nicht zu. Alle anderen Aktivitäten, für die sich Gewerkschaften im Betrieb einsetzen, übt bei Mondragon der Sozialrat aus."

Dabei gibt es auch in der Unternehmensverfassung von Mondragon Anknüpfungspunkte für Gewerkschaften, sei es in der Qualifikation und Beratung der Mitglieder im Sozialrat, in der Kontrolle des Topmanagements oder bei den Lohnverhandlungen in den einzelnen Genossenschaften. Bei den Schwierigkeiten scheint es sich mithin um die typischen Probleme von Gewerkschaften zu handeln, Mitglieder in einer bislang nicht organisierten, gut ausgebildeten und gewerkschaftsskeptischen Umgebung zu gewinnen.

IMPULSE FÜR DIE DEUTSCHE DISKUSSION_ Die Erfahrungen von Mondragon bieten wichtige Impulse für die gewerkschaftliche Debatte zur Weiterentwicklung der Unternehmensverfassung, zur Mitbestimmung und zur Stärkung von Belegschaftskapital auch in Deutschland. Wie können Unternehmen in Zukunft stabiler werden? Wie werden sie krisenfester und innovativer? Wie werden eigenverantwortliche Arbeitnehmer aktiv und demokratisch im Arbeitsleben beteiligt? Wie wird der Gewinn eines Unternehmens sozial gerecht aufgeteilt? Welches Wachstum wird angestrebt? Welche Form von Gemeinschaft und Sicherheit brauchen wir im Arbeitsleben? Mondragon ist ein wichtiges Vorbild und eine sozialökonomische Alternative in unserer krisengeschüttelten Welt.

Der Erfolg und die besonderen Vorzüge von Mondragon liegen im unternehmerischen Konzept. Es richtet das Unternehmen konsequent am Ziel der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit aus. Gleichzeitig hat Mondragon erfolgreich den Irrwegen des Shareholder-Value widerstanden und auch kein exzessives Outsourcing betrieben. Im Baskenland wurde der praktische Beweis angetreten, dass eine an den Beschäftigten ausgerichtete Unternehmenspolitik zukunftstauglich zu Wohlstand und Zufriedenheit führen kann. Sogar mit einer gedeckelten Vorstandsvergütung. Status und Zufriedenheit ergeben sich hier nicht aus möglichst viel Geld, sondern aus der Tatsache, bei einer technologisch und sozial führenden Unternehmung zu arbeiten und zu einer stabilen Gemeinschaft zu gehören. Das macht wirklich Sinn.


Mehr Informationen 

MONDRAGON Erfolgreich in Arbeitnehmerhand - Daten und Fakten (pdf)

Mondragon-Website http://www.mondragon-corporation.com/

Rudolf Sturmberger: Halb Markt, halb Sozialismus. In: Magazin Mitbestimmung 4/2002

Herbert Klemisch/Burghard Flieger: Genossenschaften und ihre Potentiale. In: KNI Bericht 1/2007

Sven Giegold/Dagmar Embshoff (Hrsg.): Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus. Hamburg, VSA-Verlag 2008

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