zurück
HBS Böckler Impuls

Digitalisierung: Pionierarbeit für Betriebsräte

Ausgabe 11/2018

Umfassende Betriebsvereinbarungen zur Digitalisierung fehlen bislang. Interviews mit Betriebsräten zeigen, warum es so schwierig ist, allgemeine Regeln aufzustellen.

Die Digitalisierung bestimmt die Arbeitswelt von morgen. Deshalb sollten Arbeitnehmer und ihre Vertreter versuchen, sie von Anfang an in ihrem Sinne mitzugestalten. Tatsächlich beschäftigen sich Betriebsräte intensiv mit Digitalisierungsthemen in ihrem Unternehmen. Doch oft erinnert die Arbeit für faire Regeln an das Rennen zwischen Hase und Igel. Das geht aus einer Studie der Soziologen Ingo Matuschek und Frank Kleemann von der Universität Duisburg-Essen hervor. Die Forscher haben Betriebsräte in der Industrie danach befragt, wie sie mit dem zunehmenden Einsatz von Computertechnik umgehen. Es zeigt sich: Umfassende Betriebsvereinbarungen zur Digitalisierung liegen kaum vor. 

Chipgesteuerte Prozesse gibt es in Betrieben auf allen Ebenen. Seien es neue Sensoren oder Kameras am Fließband, die automatische Vergabe von Arbeitsaufträgen an Beschäftigte oder der Einsatz digitaler Kommunikationsmittel. Für dies alles übergreifende Regelungen zu vereinbaren, erscheine aus Sicht der Betriebsräte als „fast überkomplexe Aufgabe“, stellen Matuschek und Kleemann fest. Es sei zwar nicht unmöglich, den Umgang mit der Technik in geregelte Bahnen zu lenken. So gibt es in vielen Unternehmen Betriebsvereinbarungen zur Nutzung von E-Mail, Internet oder Diensthandys. Umfassende Vereinbarungen seien aber schwer zu formulieren. Typische Fragen sind:

Was genau soll geregelt werden? Betriebsvereinbarungen müssen präzise sein und sich auf einen klar abgegrenzten Gegenstand beziehen, damit Beschäftigte sich in Auseinandersetzungen mit Erfolg darauf beziehen können. Häufig fehlt es jedoch an dieser Klarheit. Wenn einzelne Techniken in Pilotprojekten erprobt werden, ist für den Betriebsrat schwer erkennbar, worauf die Entwicklungen am Ende hinauslaufen. Je komplexer Digitalprojekte sind, desto eher fehlt es Arbeitnehmervertretern auch an technischer Expertise – und oft an Informationen durch den Arbeitgeber. 

Wer hat Erfahrung damit? Gerade bei wirklich neuen Technologien fehlen Präzedenzfälle, Erfahrungswerte und Blaupausen für mögliche Betriebsvereinbarungen. Arbeitnehmervertreter bemühen sich zwar, Informationen aufzutreiben, und suchen nach vergleichbaren Projekten im eigenen Konzern, in anderen Unternehmen – etwa durch Nachfragen bei deren Betriebsräten – oder in Fachveröffentlichungen. Passgenaues ist jedoch oft nicht zu finden. 

Was will das Management? Wo potenzielle Gefahren für die Beschäftigten lauern, können Betriebsräte oft nicht sicher einschätzen, weil die Strategien des Managements im Dunkeln bleiben. Geht es zum Beispiel bei der digitalen Steuerung von Produktionsabläufen nur darum, die Fehlerquote zu reduzieren, oder ist das eigentliche Ziel, die Arbeit in möglichst simple Mini-Schritte zu zerlegen, die niedriger qualifizierte und geringer bezahlte Kollegen übernehmen können? Es ist allerdings nicht gesagt, dass überhaupt eine Strategie erkennbar ist. Vielfach existiert über das ganze Unternehmen verstreut eine Reihe von technischen Pilotprojekten, die mal mit großer Energie vorangetrieben, dann aber auch schnell wieder fallen gelassen werden. Es gibt oft keinen einheitlichen Ansprechpartner und der Betriebsrat sieht sich einer „Art Kleinstaaterei mit einer Vielzahl von Projekt- und Teilprojektleitern“ gegenüber. Die Informationspolitik des Managements ist häufig sehr zurückhaltend. Dies kann, so die Forscher, daran liegen, dass die Manager selbst noch unsicher sind und Projekte erst öffentlich machen wollen, wenn sie „wasserdicht aufgestellt sind“. Dahinter kann aber auch eine bewusste Verschleierungstaktik stecken. In jedem Fall stehe dieses Verhalten dem „Wissenserwerb der Betriebsräte im Weg“.  

Im ungünstigsten Fall erkennen Arbeitnehmervertreter erst im Nachhinein, „dass die Einzelprojekte sich zu einem Gesamtkomplex verdichten“ und ihnen selbst eine übergreifende Handlungsstrategie fehlt. Ein erster Schritt, um solche Situationen zu vermeiden, könnte für Betriebsräte darin bestehen, einen besseren Informationsfluss einzufordern. Die Forscher verweisen als Beispiel auf einen Betrieb aus der Autobranche, in dem die Arbeitnehmervertreter einen Steuerkreis mit Vertretern der Geschäftsführung ins Leben gerufen haben, um den anstehenden Regelungsbedarf neuer Projekte bereits im Vorfeld besser abschätzen zu können. Dies dürfte auch im Interesse des Managements liegen, weil es sich letztlich meist auszahlt, von Anfang an im Konsens zu arbeiten, statt sich später gegenseitig auszubremsen. Eine wichtige Rolle spielen außerdem die Gewerkschaften. Von ihnen erwarten Betriebsräte, „als Transmissionsriemen für Wissensvermittlung und den Aufbau von Expertise der Interessenvertreter zu wirken“. 

  • Arbeitnehmervertreter werden nicht in allen Unternehmen einbezogen. Zur Grafik

Ingo Matuschek, Frank Kleemann: „Was man nicht kennt, kann man nicht regeln“, WSI-Mitteilungen 3/2018 

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen