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Magazin Mitbestimmung

Böckler-Studie: Freundliche Übernahme

Ausgabe 06/2015

Wenn Investoren aus China, Indien, Russland oder Brasilien alteingesessene Firmen übernehmen, sind die Mitarbeiter oft verunsichert. Dabei verfolgen die Investoren aus den BRIC-Ländern eher langfristige Ziele und respektieren auch die Mitbestimmung. Von Carmen Molitor

Als vor gut drei Jahren bekannt wurde, dass der chinesische Konzern SANY den führenden deutschen Betonpumpenhersteller Putzmeister übernehmen würde, ging die Belegschaft spontan auf die Barrikaden und demonstrierte gegen den Verkauf. Viele befürchteten, dass SANY schnell Kapital und technisches Know-how des einverleibten Konkurrenten aussaugen und Teile der Produktion nach China verlagern könnte. Was würde aus den 800 Beschäftigten am Stammsitz in Aichtal bei Stuttgart und den weiteren 400 am Standort Gründau werden? Niemand kannte die Absichten von SANY; Betriebsrat und Beschäftigte hatten von dem Deal aus der Zeitung erfahren. Die überrumpelte Belegschaft war äußerst besorgt über den chinesischen Investor. 

Heute zeigt sich, dass SANY womöglich genau das ist: ein normaler Investor. Nach dem anfänglichen Kommunikationsdesaster bemühte sich das Unternehmen um einen guten Draht zu Betriebsrat und Gewerkschaft und um vertrauensbildende Maßnahmen. Mit der IG Metall handelte der neue Eigentümer den Schutz vor verkaufsbedingten Kündigungen und eine Standortgarantie bis 2020 aus und ließ sich tarifvertraglich verpflichten, Montage und Fertigung von Betonpumpen in Deutschland zu belassen.

BRIC-INVESTMENTS UNTER DER LUPE

Das Beispiel Putzmeister ist typisch für die Erfahrungen mit Investoren aus Brasilien, Russland, Indien oder China in Deutschland. Gängigen Ressentiments gegenüber Unternehmern aus den BRIC-Staaten zum Trotz verlaufen die meisten Investments im Alltag ohne gravierende Probleme, fand ein Team von Wissenschaftlern der Philipps-Universität Marburg, des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig und der Project Consult GmbH (PCG) heraus. Sie untersuchten in dem von der Hans-Böckler-­Stiftung finanzierten Forschungsprojekt BRICINVEST, wie sich BRIC-Investitionen auf Unternehmensstrategie und Mitbestimmung auswirken. Dafür interviewten sie 136 Unternehmen und führten zusätzlich 34 Tiefeninterviews, unter anderem mit Gewerkschaftsvertretern, Branchenexperten und Wirtschaftsfördereinrichtungen. Seit Ende April 2015 liegen ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vor.

„Die Ziele der Unternehmen, die hier investieren, sind oft langfristiger als angenommen. Es geht nicht darum, kurzfristig Wissen abzuziehen und Unternehmen auszusaugen“, betont Professor Martin Franz, der seit Kurzem an der Universität Osnabrück lehrt und einer der Projektleiter von BRICINVEST ist. Im Normalfall hätten BRIC-Investoren, die sich in deutsche Unternehmen einkaufen oder sie übernehmen, langfristige Ziele mit dem Standort Deutschland oder mit dem Standort Europa. 

„Wenn man irgendwo etwas langfristig erreichen will, verhält man sich nicht wie der Elefant im Porzellanladen, sondern geht vorsichtig mit dem um, was da ist, versucht, vom Bestehenden zu lernen“, beschreibt der Wirtschaftsgeograf. Die Mehrzahl der BRIC-Investoren verhalte sich so. „Das führt dazu, dass es gar nicht so negativ läuft, wie oft angenommen.“

ANGST VOR „IMPERATOREN AUF BEUTEZUG“

Einen Grund für das Misstrauen gegenüber den BRIC-Investoren sehen die Wissenschaftler in einer medialen Berichterstattung, die oft nationale (russische Firmen als „Imperatoren“) oder gar rassistische Klischees („gelbe Spione“) bedient und sich auf spektakuläre Übernahmen fokussiert, obwohl der Löwenanteil der BRIC-Investitionen durch Neugründungen ins Land kommt. Dazu kommt, dass man in Deutschland über BRIC-Investoren meist weit weniger weiß und in Erfahrung bringen kann als etwa über amerikanische oder französische Firmen. Sie sind oft die sprichwörtlichen großen Unbekannten, und das löst Ängste aus. 

In aller Regel planen BRIC-Investoren aber keinen rücksichtslosen „Beutezug“. Vielmehr haben sie ein Problem: Sie wollen mit ihren Produkten dauerhaft in den deutschen und europäischen Markt einsteigen, können aber die hier gefragte Qualität nicht liefern. Also kaufen sie lokales Know-how hinzu – inklusive der Fachkräfte, die die Produkte auf hohem Niveau fertigen können. Insgesamt 42 500 Beschäftigte arbeiten hierzulande in Unternehmen, deren Besitzer aus den BRIC-Staaten kommen. „Die gut qualifizierte­ Belegschaft ist ein ganz zentrales Investitionsargument“, betont Sebas­tian Henn von der Universität Jena, ebenfalls im Leitungsteam von BRICINVEST. Vergleichsweise hohe Lohnkosten seien nicht abschreckend, es ziehe die BRIC-Investoren bei Neugründungen nicht in erster Linie an (lohn-)günstige Standorte innerhalb Deutschlands. Qualität ist das entscheidende Argument. „Beim Kauf deutscher Unternehmen geht es um Wissen, es geht um die gut ausgebildete Belegschaft“, berichtet Martin Franz. Auch an den Netzwerken der eingesessenen Firmen zu Abnehmern und Zulieferern sind die Investoren interessiert. „Die sind schwer aufzubauen, wenn man als neuer Spieler in einen Markt kommt.“

GENERELLE AKZEPTANZ DER MITBESTIMMUNG

Mit deutschen Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung kennen sich BRIC-Investoren mehrheitlich nicht aus, und sie erfahren häufig auch während der Übernahme kaum etwas darüber. Wenn ihnen klar wird, wie die rechtliche Lage ist, fänden sie sich jedoch schnell damit ab, beschreibt Martin Franz: „Es wird als etwas akzeptiert, das hier dazugehört.“ Dabei gebe es positive und negative Ausreißer. Während sich ein brasilianischer Unternehmer strikt weigerte, Mitbestimmung anzuerkennen, fanden die Forscher auch einen indischen Investor, der so begeistert von der Idee war, dass er sie in Indien propagieren will. Unerwartet stieß man auch auf Fälle, wo die Mitbestimmung durch den Investor besser lief. „Wir haben ein Feindbild verloren“, äußerte ein Betriebsrat in der Befragung. Mit dem früheren deutschen Besitzer hatten Gewerkschaft und Betriebsrat keine Basis gefunden, aber mit der ausländischen Leitung gebe es einen „Paradigmenwechsel um 180 Grad vom klassischen Feinbildmanager hin zum Miteinander“.

Um einer Verunsicherung der Belegschaft und Kommunikationsproblemen bei einer Übernahme wirksam entgegenzutreten, sollte das Management Betriebsräte besser einbinden, raten die Forscher. Das nutze allen Seiten. „Es gab Fälle, da haben Angestellte bei den ersten Gerüchten der Übernahme gekündigt, weil sie verunsichert waren“, berichtet Jörg Weingarten, der für die Project Consult GmbH (PCG) im BRICINVEST-Leitungsteam arbeitete. „Es ist immer vorteilhafter, wenn man mit den Betriebsräten frühzeitig kommuniziert, ein Wording findet und eine gemeinsame Vision für die Zukunft des Unternehmens hat.“ 

Rund ein Drittel der Investitionen erfolgten, als das Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage war. „Das Investment soll dann ja dazu führen, dass es positiv weitergeht“, so Weingarten. „Deshalb muss die Verunsicherung der Belegschaft abgebaut werden, damit man erkennt, dass man wieder an einem Strang zieht.“ Der Betriebsrat müsse seinerseits frühzeitig das geplante Investment hinterfragen und schnell den Kontakt zum Investor suchen, um nicht vor einer informationellen „Nebelwand“ zu stehen.

Im Alltag schlagen sich Investoren und Beschäftigte mit vielerlei kulturellen und sprachlichen Verständnisproblemen herum. „Manche konnten sich im Produktionsablauf nicht verständigen“, berichtet Sebastian Henn. „Es gab Unterschiede im Verhalten, Reaktionsweisen, die man nicht abschätzen konnte. Man konnte mit Mimik, Gestik oder bestimmten Formulierungen nicht umgehen, weil man deren Bedeutung nicht kannte“, sagt der Wissenschaftler. Mehr interkulturelle Bildung tue not.

INTERKULTURELLES WISSEN FEHLT

In praktischen Fragen der Mitbestimmung, beim Umgang mit Gewerkschaften, bei den Strategien der Unternehmen, in den Betriebsabläufen und beim Arbeitsklima habe sich in den meisten deutschen Firmen durch die neuen Eigentümer aus Brasilien, Russland, Indien oder China nicht so sehr viel geändert, konstatiert BRICINVEST. „In den Unternehmen, die vorher in finanzieller Schieflage waren, ist das Klima entspannter geworden, weil es wieder eine Zukunftsperspektive gibt“, fasst Franz zusammen. In anderen Unternehmen waren die Beschäftigten zunächst teilweise verunsichert, nach anfänglicher Skepsis ist die Haltung zum neuen Eigentümer aber neutral bis sachlich. „Große Veränderungen wurden meist gar nicht festgestellt.“ 

Doch ein drängendes Problem identifizierten die Forscher: Die Unwissenheit der Investoren über die Rahmenbedingungen – inklusive der Arbeitnehmerrechte, des sozialen Modells und der Sozialpartnerschaft in Deutschland. „Es müsste Ziel von Gewerkschaften und Betriebsräten sein, möglichst früh Informationen an die Investoren über die Situation in Deutschland zu transportieren – oder transportieren zu lassen“, fordert Franz. Wenn neutrale oder staatliche Wirtschaftsförderungsstellen mehr darüber informierten, könnten viele Konflikte von vornherein vermieden werden, glaubt er. Eine Clearingstelle, die sich bundesweit der Fragen der BRIC-Investoren annehme, halten Franz und seine Kollegen für eine gute Idee. Man sollte die Investoren auch motivieren, die deutsche Öffentlichkeit besser über ihre Pläne zu informieren, ergänzt Sebastian Henn. Fazit: Mehr Information auf beiden Seiten ist für die Wissenschaftler der zentrale Schlüssel zum guten Miteinander bei BRIC-Investitionen: „Das Problem ist Unwissenheit“, fasst Martin Franz zusammen. „Da, wo das Wissen vorhanden ist, gibt es relativ wenig Konflikte.“

MEHR INFORMATIONEN

Weitere Infos auf der Projektwebseite, wobei der Ergebnisbericht noch nicht vorliegt.

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