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Magazin Mitbestimmung

Digitalisierung: Weil Teilen so sympathisch ist?

Ausgabe 06/2015

Die Share Economy verspricht ein anderes Wirtschaften. Doch die Idee des Teilens bleibt oft auf der Strecke. Kleine Start-ups konkurrieren mit neuen Monopolisten, die schon prächtig verdienen. Von Wilhelm Pauli

Wie selbstlos muss Teilen sein? Nehmen wir Sankt Martin, den Prototeiler. Er, ein Soldat, trifft am Stadttor von Amiens einen frierenden Armen, zerteilt ohne Zögern seinen weißen Überwurf und gibt dem Armen ein Teil. Wunderbar. Beispielhaft. Dennoch könnten wir bei tieferer Betrachtung auch sagen: Da hat sich das Teilen mal wirklich gelohnt. Gott kam mit Martin ins Geschäft, am Ende wurde er gar heilig. Eine Rendite, die sich sehen lassen kann.

Heute wird im Stile der globalisierten Zeit zunehmend übers Teilen diskutiert, gar Systemstürzendes von der Sharing Economy erhofft. Freilich: Nach einer Erhebung von Spiegel Online im Oktober 2014 konnten rund 85 Prozent unserer Landsleute mit dem Begriff „Share Economy“ nichts anfangen. Das mag damit zusammenhängen, dass was Sharing ist, wo Economy beginnt, etwa so leicht festzumachen ist wie der bekannte Pudding mit dem Nagel. Hat einer ordentlich was, denkt er gar nicht dran, jedenfalls in Deutschland nicht, sagen Untersuchungen, das den fremden Händen irgendwelcher Loser zu überlassen. Hat einer das, was alle haben, was gibt es da zu teilen? Hat der neue Nachbar keine Bohrmaschine, das klassische Beispiel niederen Sharings, leiht er sich nebenan eine für die Dübellöcher. Geteilt wird da wenig. Nur geliehen. Und der gute Nachbar wird auch keine Leihgebühren erheben. Wenn er Wert legt auf eine gute Nachbarschaft.

Aber könnte nicht aus der Verwandlung nachbarschaftlicher, zwischenmenschlicher Aktionen guten Willens und praktischen Verstandes ein listiges Start-up ein Geschäftsmodell machen? Andreas Arnold, 31, stellt gerade eine elektronisch gesteuerte Mehrfachbox, die „Leihbar“, in einem Berliner Kiez auf, der noch von nicht gänzlich baumarktgesättigten Studenten durchzogen wird. Die „Leihbar“ wird allerlei nützliche Dinge für den Studenten enthalten, die er gegen ein Stundengeld entleihen kann. Arnolds Vision: vier Boxen, handgebaut, in der Entwicklungsstufe, 100 bis 400, mit Sponsorengeldern finanziert und angepasst an die verschiedenen Bedürfnisse der Wohnbevölkerung, über die Stadt verteilt. Dann Börse? Dann Verkauf?

Andere Dienste professionalisieren ihre einstige nette Mitfahrgelegenheit, mit ordentlichen Gebühren, versteht sich. Wozu gibt es denn das Netz? Wieder andere, Normalverbraucher, Normalbenutzer, haben gar nichts außer sich selbst. Nichts als ihre Privatheit, die sie verflüssigen könnten. Also der beinahe schon klassische und mehrfach verbriefte Fall: Studentin ist öfter bei Mami oder Freund in einer anderen Stadt, da ist die Bude leer. Da könnte eine Auswärtige einwohnen und die Miete anteilig zahlen. Eine gute Sache. Aber dann merkt die clevere Studentin, dass sie dieses Modell über die Kontakte, die sie hat, expandieren lassen kann und dass das auch Arbeit macht, die sie nicht selbst machen will. Sie schafft einen Arbeitsplatz für eine Putzkraft und verlangt unterdessen 70 Euro pro Nacht. „Die Grundidee war ja aus dem heraus, dass man andere Leute kennenlernt und privat ist“, erzählt Katharina im TV-Politmagazin Panorama Anfang des Jahres, „und jetzt hat sich das auf jeden Fall in Richtung Geld verschoben, weil man eben auch den kommerziellen Aspekt darin gefunden und gesehen hat.“ Ihr Vorbild ist der Onlineübernachtungsdienst AirBnB („Luftmatratze und Frühstück“), der in den USA und Europa netzgeschwind Übernachtungs- und Zugewinnstreben organisiert. Das Unternehmen ist derzeit 13 Milliarden Dollar wert.

Wann immer du dem Teilen hinterherschaust, siehst du eine bezahlte Dienstleistung davonstöckeln. Ist doch gut! Erleichtert mein Leben! Ressourcen werden gespart, nachhaltig, versteht sich! Nur bei der eingesprungenen Putzkraft sieht es fragwürdig aus. Das bisschen Studentendreck wegmachen reicht nicht zum Leben. Aber sie kann ja noch Hunde ausführen, Privatpost austragen und nachts auf Anruf Pizzas ausliefern. Wird schon! Und weil sie nun keine Zeit mehr hat, sich um die Jobs zu kümmern, wäre es gut, wenn es einen großen Jobkümmerer und -verteiler gäbe. Gibt es schon! Zumindest in den USA. TaskRabbit heißt die Dienstleistungsplattform nicht ganz ironiefrei. In den vergangenen 20 Jahren sind Teilzeit, Befristung, Minijobs um 70 Prozent gestiegen, sagt gerade die Agentur für Arbeit. Und das ist erst der Anfang, betrachtet man die Wunder der Sharing Economy

PLATTFORM-KAPITALISMUS

Sascha Lobo, der Blogger, Netzexperte und Festredner, der vor zehn Jahren mit dem Buch „Wir nennen es Arbeit“ in die Arena trat, steht heute dem Netztreiben etwas skeptischer gegenüber. Er wirft sich in die Debatten um die neue Ökonomie schon deswegen, „weil die meisten Menschen nicht wissen, dass Sharing ein reiner PR-Begriff ist, von Unternehmern geschaffen, um ihr Geschäftsmodell in gutem Licht erscheinen zu lassen“, sagt er. „Wenn wir das alle jetzt so benutzen, entwickelt sich das ziemlich unkritisch. Ich habe dafür einen anderen Begriff gefunden: Plattform-Kapitalismus.“ 

Lobo ist, das ist ihm wichtig, kein Sozialist. Eine soziale, einigermaßen geregelte Marktwirtschaft scheint ihm die menschlichen Bedürfnisse und Freiheiten lebbar zu garantieren. Wenn Politik und Gesellschaft ihre Rolle spielen. Auch will ihm eine moralische Grenzziehung zwischen dem, was gut und böse ist im Sharing-Topf, nicht recht gefallen. „Die Moral hat immer auch etwas Interessengeleitetes. Bei jedem.“ Kritisch verfolgt er, was die Netzökonomie mit der Arbeit und den Märkten macht. Es ist doch klasse, wenn ein Arbeitnehmer über Wochen seine Behausung verlassen kann und ein anderer in der Zwischenzeit seine Miete zahlt. Anders sieht es aus, wenn der Monopolist AirBnB mit dem ausschließlichen und rücksichtslosen Drang zum Profit auf den Wohnungstauschmarkt tritt. In Berlin soll er inzwischen 14 000 Wohnungen als Ferienwohnungen anbieten und damit dem Wohnungsmarkt entziehen.

Bei den kleinen, selbst gestrickten Plattformen oder Start-ups sieht Sascha Lobo ein viel zu wenig diskutiertes Problem: Die jungen, die Mikro-Entrepreneure werden von Anfang an in aller Mobilitäts- und Kreativitätspropaganda auf das „Börsenversprechen“ geeicht. Da könnten, so seine Sorge, die ursprünglich vielleicht gedachten Ambitionen für ein neues soziales Leben untergehen.

DIE MITWIRKUNGS-ÖKONOMIE

Die Privatdozentin Michaela Haase vom „Marketing Department“ der FU Berlin findet die Sharing Economy richtig erfrischend. Ihr reicht der Zuwachs an zeitgemäßen Beschäftigungsformen längst nicht. In ihrem Department erforscht und entwickelt man Strategien für das Business-to-Business-, hauptsächlich für das Business-to-Consumer-Marketing. Im liberalen Aufschwung muss der Muff und die Stagnation aus den Arbeitsverhältnissen geblasen werden. „Teilen ist gut“, war ihre Position in einem Beitrag des „Tagesspiegels“ im Februar überschrieben. Und: „In der Sharing Economy nehmen die Beteiligten ihre Anliegen selbst in die Hand.“ Überhaupt enthüllt sich im Gespräch, dass der ganze ökonomische Prozess rechteigentlich ein Teilen ist. Ein besonders schönes, ins Sankt-Martinhafte spielendes Beispiel ist ihr die heimische Küche, „wo die Familienmitglieder Zugang zum gemeinsamen Kühlschrank haben – nicht anders als bei marktlichem Handeln“.

Jetzt würde man auf der Ebene des marktlichen Handelns glauben, dass mit dem Austausch von Vaters Geld gegen die Wurst der Handel, das Teilen sein Ende hat. Aber im Department wird weiter gedacht: Bringt der Vater gute, gesunde Ware nach Hause, entwickelt sich das Kind prächtig, wird später mal was aus ihm, und wir haben ein exquisites Beispiel von Mehrwert plus Nachhaltigkeit. Wenn jetzt aber der Vater sauer ist und den Schrank verplombt? Dann haben wir ein Machtproblem. Und Macht, gar Machtmissbrauch muss eingehegt werden. In der großartigen „Pelzig hält sich“-Folge im März, in der der fränkische Kabarettist Pelzig sich im ZDF rücksichtslos über die Macht der Kapitalisten und ihrer Lobbyisten ausließ, war auch der Ökonom Max Otte geladen. Der hatte sich 2006 einen Namen gemacht, da er – so wird kolportiert – als einziger Ökonom den folgenden Finanzkrach warnend vorhergesagt hatte. Pelzig rief Otte zu seiner Erfahrung des Kräfteverhältnisses von Kapital zu Politik auf und ob denn noch Hoffnung sei. Otte antwortete: „91 Prozent Kapital“. Da fiel selbst Pelzig, der wohl gemeinverträgliche 50 : 50 erwartet hatte, die Bowle aus dem Gesicht.

Sascha Lobo sieht so schwarz nicht. Er erinnert an die technologischen Revolutionen von Dampf und Band und sagt, dass solche die Gesellschaft stets tiefgründig umwälzen. „Es wird Zeiten großer Unsicherheiten geben, bis sich neue, angemessene Lebens- und Arbeitsformen herausgebildet haben. Und in einer solchen Zeit stecken wir“, sagt er. Was heißt „herausgebildet haben“? Sie müssen von der Gesellschaft, von der Politik herausgekämpft werden. Ein immerwährender Prozess. „In 20, 30 Jahren“, so möchte er wetten, „gibt es einen regulierten netzbetriebenen Umschlag von Dienstleistungen und Waren, wie wir ihn heute kaum erahnen können, und ordentliche Arbeitsbedingungen.“ Lobo setzt da durchaus Vertrauen in die Jugend.

In dieser Spannweite der unaufhaltsamen technologischen Revolution taumeln gegenwärtig alle und warten, wie es weitergeht: Ist das abflauende Interesse jüngerer Menschen am freiheitsstiftenden Prestigeobjekt Auto eine Modeerscheinung oder wirklich ein Umbruch? Haben die Carsharer ein bedeutendes Gewicht, oder gefährden sie nur den öffentlichen Nahverkehr in den Städten? Agenten und Propheten finden Fakten für alles.

WAS WIRD AUS DEN GESETZEN?

Nadine Müller vom ver.di-Bereich „Innovation und Gute Arbeit“ zitiert Lobos Begriff vom Plattform-Kapitalismus zustimmend. „Es ist halt nicht so einfach, wie Jeremy Rifkin und andere sich das vorstellen“, sagt sie. „Vorrangig haben sich aggressiv agierende Monopole der Szenerie bemächtigt, die sich einen Dreck um die Gesetze scheren. Uber, dahinter Goldman Sachs.“ Uber – das ist das Unternehmen, das unlizensierte und unversicherte Autobesitzer gegen die Taxler mithilfe von Netz und Handy zu prekären Arbeitsbedingungen in den Kampf schickt. Nadine Müller: „Wir haben ja allerlei Gesetze um die Arbeitswelt gestellt. Aber mit der Digitalisierung und den daraus erwachsenden Geschäftsmodellen müssen wir über sie neu nachdenken.“ 

Und sie stellt die Fragen, deren Beantwortung überlebenswichtig ist: Was ist ein „Betrieb“ unter den Bedingungen der Plattformaufträge? Was taugt das alte Betriebsverfassungsgesetz? Was geschieht mit den Sozialversicherungen, nicht nur für die prekären Existenzen, sondern fürs gesamte System, wenn die zunehmen? Was ist mit den Steuern? Und wie könnte die Mitbestimmung aussehen? Ach, technologische Revolution macht viel Arbeit.

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