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HBS Böckler Impuls

Verteilung: Warum Deutschland ungleicher wurde

Ausgabe 13/2013

In den vergangenen 20 Jahren haben höhere Kapitaleinkommen und mehr atypische Beschäftigung die Einkommen in Deutschland ungleicher werden lassen. Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt der jüngsten Zeit hat diesen Trend aufgehalten, aber nicht umgekehrt.

Seit dem Beginn der 1990er-Jahre haben sich die Einkommen hierzulande deutlich auseinanderentwickelt, zeigt eine neue Auswertung des IMK. Die Datenbasis bildet das Sozio-oekonomische Panel, eine jährliche Befragung von 12.000 Haushalten. Gemessen am so genannten Gini-Koeffizienten vergrößerte sich die Ungleichheit der bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen in Deutschland von 1991 bis 2010 um 12,7 Prozent, haben die IMK-Forscher Ulrike Stein und Kai Daniel Schmid berechnet.

Der Gini-Koeffizient gilt als wichtiger Indikator zur Messung von Ungleichheit. Er kann Werte zwischen Null und Eins annehmen, wobei Null für eine vollständig egalitäre Verteilung steht und Eins für maximale Ungleichheit. Allein von der Jahrtausendwende bis 2005 stieg der Gini-Koeffizient um 13,4 Prozent auf 0,29. Im Anschluss ging er nur leicht zurück, um 2 Prozent.

„Stabile Einkommensverteilung ist wirtschaftliche Notwendigkeit“

„Eine zunehmende Ungleichheit der Einkommen kann bedeuten, dass die Bezieher niedriger Einkommen sich stark verschulden und spätestens im Alter staatliche Unterstützung brauchen“, warnen die Wissenschaftler. Auf längere Sicht sei eine Stabilisierung der Einkommensverteilung nicht nur eine soziale, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Schmid und Stein haben sich daher auf die Suche nach den Gründen für die steigende Ungleichheit begeben. Neben den Auswirkungen konjunkturell verursachter Schwankungen im Beschäftigungsniveau fanden sie als wichtigste Gründe:

Steigende Kapitaleinkommen. Der Anteil der Kapitaleinkünfte am Gesamteinkommen stieg in Deutschland von 29,2 Prozent im Jahr 1991 auf 33,8 Prozent 2010. Vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2007 betrug er sogar 36,8 Prozent. Da Kapitaleinkommen vor allem an Personen mit höheren Erwerbseinkommen fließen, wird auch deshalb die Verteilung der Markteinkommen insgesamt ungleicher.

Zunehmende atypische Beschäftigung. Bis 2006 hat die Zahl der Beschäftigten in befristeten Jobs, Teilzeit oder Minijobs stetig zugenommen. Das hatte auch Auswirkungen auf die Ungleichheit, zeigen die Forscher: Sie stieg parallel erst kräftig an, seitdem hat sich das Wachstum verlangsamt. Während der guten wirtschaftlichen Entwicklung seit 2005 stieg die Zahl der so genannten Normalarbeitsverhältnisse im gleichen Ausmaß wie die der atypischen Jobs. Das ist ein Grund, weshalb sich die Einkommen nicht noch weiter auseinanderentwickelten.

Sinkende Umverteilung. Im Zeitverlauf machen die Wissenschaftler drei Phasen aus:

  • Bis Ende der 1990er-Jahre wurden die Markteinkommen zwar ungleicher, Steuern und Sozialleistungen glichen dies jedoch aus.
  • Zwischen 2000 und 2005 entwickelten sich die Haushaltseinkommen weiter auseinander; daran änderte nun auch die staatliche Umverteilung nichts mehr.
  • Danach nahm die Spreizung der Markteinkommen zwar ab, die Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen veränderte sich jedoch kaum.

Schmid und Stein machen eine Vielzahl von Faktoren für die abnehmende Effektivität der Umverteilung verantwortlich: So sank der Spitzensteuersatz zwischen 1991 und 2010 um elf Prozentpunkte, der niedrigste Einkommensteuersatz lediglich um fünf Punkte. Die Vermögensteuer wurde 1997 abgeschafft, die steuerliche Belastung von Kapitalgewinnen ging ebenfalls zurück. Insgesamt nahm die Bedeutung der Verbrauchssteuern zu, die einkommensschwächere Haushalte relativ stärker belasten als reichere. Hinzu kam: Die Arbeitsmarktreformen in den 2000er-Jahren ließen mehr atypische Jobs entstehen – und reduzierten die staatlichen Leistungen für Arbeitslose massiv.

  • Für die abnehmende Effektivität der Umverteilung sind viele Faktoren verantwortlich. So nahm die Bedeutung der Verbrauchssteuern zu, die Einkommensschwache relativ stärker belasten als Reiche. Zur Grafik

Kai Daniel Schmid, Ulrike Stein: Explaining Rising Income Inequality in Germany (pdf), 1991-2010, IMK Study, September 2013

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