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Magazin Mitbestimmung

: Pfadabhängige Erfolgsstrategie

Ausgabe 05/2007

AUTO 5000 Wie man den Werkzeugkasten von Toyota plündern und trotzdem eigene Akzente setzen kann: Das Wolfsburger Modellprojekt zeigt, dass Industriearbeit in Deutschland konkurrenzfähig bleiben kann.



Von MICHAEL SCHUMANN, MARTIN KUHLMANN UND HANS JOACHIM SPERLING. Die Autoren sind Industriesoziologen am Soziologischen Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI). Unter anderem im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung haben sie die Startphase von Auto 5000 wissenschaftlich begleitet.


Als Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre der über Jahrzehnte gültige "one best way" der Arbeits- und Betriebsgestaltung, das tayloristisch-fordistische Produktionskonzept, sich insbesondere in der Automobilindustrie als bestenfalls noch suboptimale Rationalisierungsstrategie herausstellte, schien die neue Lösung schon gefunden: Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) präsentierte 1991 in seiner Studie "Die zweite Revolution in der Automobilindustrie" den neuen Königsweg - mit der an den japanischen Prinzipien von Toyota orientier­ten Lean Production. Doch diese Hoff­nung hatte keinen Bestand.

Schauen wir uns die Fertigungsgestaltung in den letzten 15 Jahren genauer an, so kann von einem sich weltweit durchset­zenden Produktionskonzept nicht die Rede sein. Auf die neuen Herausforderungen einer finanzmarktgesteuerten Globalisierung, die zunehmend auch zum Diktat der Produktions- und Dienstleistungsgestaltung geworden ist, wird durchaus uneinheitlich reagiert. Der enorm gesteigerte Druck auf Profitabilität, noch dazu immer häufiger ohne Rücksicht auf die Realbedingungen der Wertschöpfung aufgebaut und in bisher unbekannter Kurzfristigkeit eingeklagt, begründet eine vielfältige Suche nach er­folgversprechenden Lösungsstrategien.

VIELFÄLTIGE STRATEGIEN_ Nicht wenige suchen ihr Heil in der Weiterführung oder Reaktivierung jener taylo­ristisch-fordistischen Konzepte, die zwar vor Jahren als unzureichend erkannt worden waren, aber gleichwohl aus Mangel an probaten Alternativstrate­gien vielerorts überwintern konnten. Diese Unternehmen schreiben die Tren­nung von Planung und Ausführung weiter fest, belassen es bei einer hochar­beitsteiligen bürokratischen Steuerung und Kontrolle und forcieren erneut die Standardi­sierung der Arbeit. Es geht um nichts anderes als die hinreichend be­kannte Low-Road-Kostendumpingstrategie - mit niedrig qualifizierten, entspre­chend gering vergüteten, leicht austauschbaren Beschäftigten. Das eröffnet Optionen für hochflexible prekäre Beschäftigungsverhältnisse und bereitet damit weiteres Outsour­cing vor. Dass diese Strategie an einem Standort wie Deutschland, der perspektivisch nur eine Zukunft auf der "high-road" hat, wenig Nachhaltigkeit verspricht, wird in Kauf genommen.

Andere Suchstrategien nehmen das Konzept von Lean Production auf. Schließlich deckte die Debatte über die tayloristisch-fordistische Betriebsgestaltung auch unabweisbare Schwä­chen auf, die mit dem Toyota-Konzept überwunden werden sollten. Und auch der überwältigende ökonomische Er­folg von Toyota im weltweiten Automobilwettbewerb beflügelte die Nachahmer, sich an Lean Production zu versuchen. Wenn selbst der King der deutschen Automobilszene, Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, jüngst in einem Spiegel-Interview formuliert: "An Toyota muss man sich messen. Das ist der Maßstab. Wer sich nicht daran orientiert, hat schon verloren", ist damit für viele zumindest die Suchrichtung vorgegeben.

BENCHMARK TOYOTA_ So gilt Toyota besonders in der Automobilindustrie weltweit nach wie vor als Maßstab hin­sichtlich Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Doch Nachahmer waren nur in Ausnahmefällen erfolgreich. In den nordamerika­nischen und stärker noch in den europäischen Automobilstandorten ist eine unmittelbare Übertragung des Toyota-Modells zumeist fehlgeschlagen - mehr dazu auch im Interview mit Tommaso Pardi, Seite 20. 

Viele Unternehmen suchten den Erfolg von Toyota zu erreichen, indem sie das Toyota-Konzept als Baukasten nutzten und einzelne Instrumente mehr oder weniger beliebig einsetzten. Eine solche Herangehensweise verfehlt die Ganzheitlichkeit dieses Kon­zepts, die mittlerweile von vielen Experten als zentrales Element des Toyota-Erfolges eingeschätzt wird. Die Bedeutung der Kohärenz von Unternehmenskonzepten für die Wirksam­keit auch ihrer Einzelelemente ist lange Zeit unterschätzt worden.

Als noch gravierendere Schwäche haben sich die Beharrungskräfte bestehender Betriebsstrukturen und Unternehmenskulturen erwiesen. An ihnen scheiterten viele Versuche, To­yota-Methoden zu übertragen, als auch generell Ansätze, neue Wege zu erproben. Die gerade in der Automobilindustrie tief eingegrabenen Praktiken tayloristischer Betriebsgestaltung sowie die Traditionen ausgeprägter Funktionsteilung, die zudem über berufliche Identitäten verfestigt sind, haben die Übertragung von Toyota-Prinzipien erkennbar erschwert - und erleichtern es den Traditionalisten heute, nach Jahren der Experimente zum vermeintlich si­cheren Weg tayloristischer Gestaltung zurückzukehren.

Sowohl in den Traditionsstandorten der Automobilindustrie in Nordamerika als auch im europäischen Umfeld lässt sich die begrenzte Wirksamkeit von Versuchen, toyotistische Methoden zu übertragen, schließlich vor allem daran festmachen, dass es bisher nicht gelungen ist, die Merk­male industrieller Arbeitsbeziehungen, die für Toyota in Japan typisch und für die besondere Performance dieses Modells konstitutiv sind, auch an diesen Standorten zu etablieren. Die charakteristische Kombination aus materiellen Rewards und betrieblicher Vereinnahmung über kulturelle Traditionen, die auf eine Harmonisie­rung unterschiedlicher Interessen in einer Leistungsgemeinschaft setzt, erscheint insbesondere im europäischen Kontext kaum praktikabel - und angesichts etablier­ter sozio-kultureller Standards letztlich auch nicht akzeptabel. Gerade in Deutsch­land darauf setzen zu wollen, hieße ein Spiel gegen die Gewerkschaften und das Arbeitnehmerselbstverständnis eröffnen. 

KOHÄRENTE INNOVATION IN EIGENER TRADITION_ Ansätze für eine alternative Antwort auf die weltweiten Herausforderungen entwickelte das Projekt Auto 5000. Es steht in der Tradition der High-Road-Strategie - und vermeidet die benannten Adaptionsschwächen des Toyota-Konzepts.

Bei Auto 5000 ist es gelungen, ein weitgehend kohärentes Gestaltungskonzept zu entwickeln, in das viele einzelne Methoden aus dem Werkzeugkasten von Toyota - optimierte logistische Abläufe, integrierte Qualitätssicherung, vorbeugende War­tung und Instandhaltung, systematische, beteiligungsbasierte Problemlösetechniken - eingehen, und das trotzdem eigene Akzente setzt. Auf der Ebene der Arbeitsorganisation wird bei Auto 5000 beispielsweise auf Teamarbeitsstrukturen mit einem hohen Maß an Gruppenselbstorganisation auf der Basis gewählter Teamsprecher und regelmäßiger Teamgespräche gesetzt. Auch bei Auto 5000 spielen standardisierte Abläufe eine zen­trale Rolle, in die Erarbeitung und Optimierung der Standards sind die Teams jedoch stark eingebunden. Ins­besondere die Montagearbeit bleibt in weiten Teilen zwar repetitiv, wo immer möglich wird jedoch auf Aufgabenintegration gesetzt.

Dabei spielen Rota­tion und ergänzende Zusatztätigkeiten eine große Rolle, in den technisierten Bereichen wurde insbesondere über eine weitreichende Übernahme von Wartungs- und Instand­haltungsarbeiten ein hohes Maß an Integration erreicht. Ent­scheidend ist nicht, dass bei Auto 5000 Elemente von Toyota genutzt werden, wichtiger für den Erfolg von Auto 5000 ist vielmehr, wie diese mit Blick auf eigene Traditionen weiterentwickelt wurden und dass zugleich Innovationen in weiteren Gestaltungsfeldern begon­nen wurden: beim Entgeltsystem, durch neue, horizontale Steuerungsformen, eine prozessnahe Integration von Fachfunktionen und eine integrierte Geschäftsführung, um nur einige zu nennen. Wichtiger noch: Bei Auto 5000 wurden die Einzelelemente ineinander verzahnt zu einem sich gegenseitig stützenden Ganzen.

Beharrungskräfte spielen aufgrund des Umfeldes auch bei Auto 5000 zwar eine gewisse Rolle, angesichts der besonderen Projektbedingungen (neues Produkt, neue Fertigung, neue Belegschaft, neues Organisationskonzept), auf­grund der von sämtlichen Akteuren (Management, Betriebsrat, Gewerkschaft) von Be­ginn an gemeinsam formulierten Zielsetzung der Erprobung neuer Organisationskon­zepte sowie vor dem Hintergrund der vergleichsweise hohen Eigenständigkeit der Ge­schäftsführung wurde der direkte Einfluss traditioneller Strukturen und Praktiken jedoch stark begrenzt.

Gerade weil die betrieblichen Akteure bei Auto 5000 bewusst auf eine neue betriebliche Rollenverteilung gesetzt haben, die nicht nur rhetorisch die Beschäftigten aufwertet, und weil in sämtlichen Dimensionen der Gestaltung be­trieblicher Strukturen auf neue Strukturen gesetzt wurde, spielen Phänomene des Rollback in traditionelle, tayloristische Praktiken bei Auto 5000 bisher kaum eine Rolle. Dies schließt nicht aus, dass bei der Suche nach einem höheren Maß an Selbstorganisation, aufgabenintegrierten Tätigkeitszu­schnitten und flacheren Hierarchien auch Fehler gemacht und zunächst gefundene Lösungen überdacht und modifi­ziert werden.

Die arbeitspolitische Innovation von Auto 5000 hat den für die deutsche Automobilindustrie bislang stabilen Sozialkompromiss nicht aufgekündigt, sondern dessen Stärken genutzt für eine Weiterentwicklung der industriellen Beziehungen. Die Be­reitschaft beider Tarifvertrags- und Betriebsparteien, neue Wege zu gehen, die dem Pfad einer ko­operativen Konfliktbewältigung folgen, ihn jedoch noch konsequenter als bisher auch bei der Suche nach arbeitspolitischen Innovationen und der Gestaltung betrieblicher Strukturen zu nutzen, stellt die Geburtsstunde von Auto 5000 dar und wurde in der be­trieblichen Praxis von Auto 5000 noch weiterentwickelt.

LEISTUNGS- UND KONLIKTBEREITE ARBEITNEHMER_ Die Interessenvertretung bleibt konstitutiv in ihrer institutionellen Form, wird aber er­weitert und neu justiert mit stärkerer Selbstvertretung der Arbeitsteams. Das Mit­bestimmungs- und Partizipationskonzept von Auto 5000 ist gerade nicht betriebsharmo­nistischen Vorstellungen gefolgt, wie sie vom Toyota-Weg angestrebt werden, sondern bleibt orientiert an gesicherten Beteiligungen an betrieblichen Informationen und Ent­scheidungen. Auto 5000 hat betriebspolitisch einen Rahmen geschaffen und ausgebaut, der auf ein hohes Maß an Beteiligung der Belegschaft zielt, das der intendierten anti-tayloristischen Arbeits- und Fabrikgestaltung entspricht und dabei auf tarifliche Regelungen, gesetzliche Normen der Betriebsverfassung und Selbstorganisationspotenziale der Beschäftigten setzt. Auto 5000 demonstriert, wie eine leistungsfähige Balance zwischen den Interessen von Unternehmen und Beschäftigten aussehen kann.

Die Beteiligung an Optimierungsaufgaben und die größere Selbstverpflichtung der Be­schäftigten erweitern das betriebliche Leistungsprofil - das setzt ein faires Austarieren der unterschiedlichen Interessen voraus und erleichtert konsenuale Entscheidungsfin­dungen. Denn für die Belegschaft von Auto 5000 ist es selbstverständlich, mit ihrem Arbeitseinsatz zum wirtschaftlichen Erfolg des Werks und damit auch der eigenen Be­schäftigungssicherheit aktiv beizutragen.

Und ebenso selbstverständlich ist es für diese modernen Arbeitnehmer, auf der Artikulation ihrer Interessen zu insistieren und konfliktbereit zu sein, wenn es darum geht, Ansprüche auf Anerkennung ihrer Leistung geltend zu machen. Die Verknüpfung eines eigenen tarifpolitischen Gestaltungsrahmens mit betrieblicher Mitbestimmung hat bei Auto 5000 ein Niveau der Mitwirkung und Mit­verantwortung geschaffen, das Engagement und Motivation der Belegschaft mit wirk­samen Produktivitätsvorteilen verbindet.

Aus der Sicht der Beschäftigten und der Interessenvertretung stellt Auto 5000 ein er­folgreiches arbeitspolitisches Innovationsprojekt dar, das auch betriebswirtschaftlich er­folgreich ist. Auch wenn es nicht einfach übertragbar ist, ist das Orientierungswissen, das Auto 5000 anbietet, doch produktiver nutzbar als eine Fixierung auf den "one best way", als der Toyota in der Management- und Beraterliteratur fungiert.



INTERVIEW "Erfolgreiche Anpassung"  
Thomas Ulbrich, der technische Geschäftsführer der Auto 5000 GmbH, auf der Abschlusskonferenz der SOFI-Begleitforschung im Sommer 2006

Hat Auto 5000 Modellcharakter?
Ja - doch entscheidend ist nicht das ob, sondern wie das Konzept transferiert wird. 

Kann man Teile des Konzepts übernehmen?
Das ist nahezu unmöglich.

Ist Auto 5000 eine Alternative zum Toyota-Konzept?
Aus heutiger Sicht und nach jetzigem Stand der Entwicklung: Ja! Die zeitliche Einschränkung ist allein der Tatsache geschuldet, dass Auto 5000 ganze vier Jahre jung ist, während Toyota an seinem Unternehmenskonzept seit Jahrzehnten arbeitet. Auto 5000 ist nicht fertig. Wir sind bei weitem nicht auf dem betriebswirtschaftlichen Niveau von Toyota. Aber wir haben einen Trainingsstand erreicht, der es uns ermöglichen kann, mit der Schrittgeschwindigkeit von Toyota mitzuhalten. 

Was kann Auto 5000 besser als Toyota?
Das Unternehmenskonzept von Auto 5000 ist weniger eine Alternative zum Toyota-Konzept, sondern vielmehr eine Antwort. Es ist ja nicht so, dass wir etwas ganz anders machen als Toyota - nicht wenige Detailelemente sind gleich. Wir kopieren nicht, was andere versuchen, sondern versuchen, erfolgreiche Konzepte dem kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld, wie wir es hierzulande vorfinden, anzupassen.

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