Forschungsprojekt: Zugangssteuerung in Erwerbsminderungsrenten

Projektziel

Die Sicherung gegen Erwerbsminderung gehört zu den zentralen Leistungen des Sozialstaats. Im Projekt wurde untersucht, wie sozialstaatliche Organisationen bei der Feststellung einer Erwerbsminderung vorgehen. Die Zugangssteuerung in Erwerbsminderungsrente ist nicht nur sozialrechtlich institutionalisiert, sondern auch durch bürokratische Organisation und professionsbezogene Kommunikation geprägt.

Veröffentlichungen

Aurich-Beerheide, Patrizia, Martin Brussig und Manuela Schwarzkopf, 2018. Zugangssteuerung in Erwerbsminderungsrenten, Study 377, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, 342 Seiten.

Brussig, Martin, 2018. Zur Organisation sozialmedizinischer Gutachten im Erwerbsminderungsrentenverfahren, [online] https://www.reha-recht.de/fachbeitraege/beitrag/artikel/beitrag-c4-2018/, zuletzt abgerufen am 24.09.2018, Heidelberg: Deutsche Vereinigung für Rehabilitation, 7 Seiten.

Brussig, Martin, 2018. Die aktivierenden Elemente der Erwerbsminderungsrente: Umsetzung und Weiterentwicklung, SozialRecht aktuell, 22, S. 12-13.

Aurich-Beerheide, Patrizia und Martin Brussig, 2017. Assessment of work ability in competing strands of social insurance: the German case, Journal of Poverty and Social Justice, 25(2), S. 163-176.

Brussig, Martin und Manuela Schwarzkopf, 2014. Ökonomische Aspekte eingeschränkten Erwerbsvermögens: Beispiel Erwerbsminderungsrente, In: Andreas Weber, Ludger Peschkes und Wout de Boer (Hrsg.), Return to Work - Arbeit für alle. Grundlagen der beruflichen Reintegration, Stuttgart: Gentner, S. 41-47.

Projektbeschreibung

Kontext

Die Diskussion um Erwerbsminderungsrenten hatte sich in den letzten Jahren auf die Ursachen und das Ausmaß durchschnittlich sinkender Rentenzahlbeträge konzentriert. Angesichts wachsender Anforderungen in der Arbeitswelt bei nachhinkender Prävention, verbunden mit einer steigenden Altersgrenze für die Regelaltersrente ist ein zunehmender Druck auf die Erwerbsminderungsrente zu erwarten. Es stellt sich daher die Frage, wie die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit organisiert ist. Bereits in den letzten Jahren war ein sozialstruktureller Wandel unter den Neuzugängen in Erwerbsminderungsrente zu beobachten (mehr Frauen, Zunahme psychischer Diagnosen, mehr Zugänge aus Beschäftigungslosigkeit sowie aus ALG II-Bezug). Anhaltend hohe Ablehnungsquoten unter den Rentenanträgen zeigen eine hohe Unsicherheit bei den Betroffenen über die Maßstäbe der Erwerbsminderung, und die regionale Varianz in der Häufigkeit von Rentenzugängen lässt Unterschiede in der Bewilligungspraxis vermuten.

Fragestellung

Das Projekt untersuchte die Zugangssteuerung in Erwerbsminderungsrenten: Wie entsteht die Vermutung einer geminderten Leistungsfähigkeit, wer beurteilt die Leistungsfähigkeit der antragstellenden Versicherten, wer entscheidet letztlich über die Rentenleistung, und in welche organisatorischen Abläufe sind diese Prozesse eingebettet? Besonderes Augenmerk lag auf der Zusammenarbeit zwischen der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit. Der Zugang in Erwerbsminderungsrenten wurde als ein mehrstufiger Prozess verstanden, an dem mehrere Akteure - Ärzte und Gutachter unterschiedlicher Kostenträger, Arbeitsmarktexperten und Fachkräfte aus den Verwaltungen in den Sozialversicherungen - als Gatekeeper beteiligt sind. Hierfür wurden das Entscheidungsfeld der beteiligten Akteure identifiziert und das Selbstverständnis, die Handlungsrationalitäten und Ressourcen der Gatekeeper erfasst sowie das Zusammenwirken der unterschiedlichen Gatekeeper rekonstruiert.

Untersuchungsmethoden

Die Untersuchung war in einen organisationssoziologischen und netzwerktheoretischen Rahmen eingebettet und nutzte verschiedene Methoden. Um Unterschiede in der Zugangssteuerung in Erwerbsminderungsrenten auch unterhalb der gesetzlichen Ebene zu identifizieren, fand die Untersuchung in zwei Regionen innerhalb Deutschlands statt. Es wurden ca. 70 leitfadengestützte Interviews mit Personen durchgeführt, die in Antrags- und Bewilligungsverfahren für EM-Renten beteiligt sind oder beratend hinzugezogen werden. Mit Dokumentenanalysen wurden die Rahmenbedingungen für die Zugangssteuerung erschlossen. Interviews und Dokumente wurden inhaltsanalytisch ausgewertet.

Darstellung der Ergebnisse

Die rechtlichen Regelungen sind ausschlaggebend für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Im historischen Vergleich hat sich das gesicherte Risiko verändert. Versichert ist heute eine abstrakte Arbeitsfähigkeit und nicht die Fähigkeit, ein Erwerbseinkommen zu erzielen.

Die Zugangssteuerung vollzieht sich oft unter Mitwirkung mehrerer Sozialleistungsträger. Dem sozialmedizinischen Gutachten kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Damit werden die Gutachter zu den faktischen Entscheidern. Ihre Arbeit ist durch eine hohe Autonomie gekennzeichnet. Bewertungsunterschiede von Gutachtern werden meist einvernehmlich gelöst, wobei sich der Träger durchsetzt, der mehr Ressourcen (besser begründete Gutachten) mobilisieren kann.

Die Rentenversicherungsträger weisen eine erhebliche Varianz untereinander auf. In der Begutachtung und Bewilligung von Erwerbsminderungsrenten wird nicht nach Budgets gesteuert. Die Steuerung erfolgt direkt über professionsbezogene Mechanismen und indirekt über die Organisation des Begutachtungsprozesses. Die aktivierenden Elemente des neuen Erwerbsminderungsrentenrechts kommen kaum unterstützend für die Betroffenen zum Tragen.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Martin Brussig
Universität Duisburg-Essen Institut Arbeit und Qualifikation IAQ
martin.brussig@uni-due.de

Bearbeitung

Manuela Schwarzkopf
Universität Duisburg Essen Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ)
Gebäude LE
manuela.schwarzkopf@uni-due.de

Dr. Patrizia Aurich-Beerheide
Universität Duisburg Essen Institut Arbeit und Qualifikation
Gebäude LE
patrizia.aurich-beerheide@uni-due.de

Kontakt

Dr. Eike Windscheid-Profeta
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung
eike-windscheid@boeckler.de

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen