Projektbeschreibung
Kontext
In der Vergangenheit standen die Industrieangestellten kaum im Fokus der kollektiven Interessenvertretungen, deren Kernklientel die qualifizierten Facharbeiter waren. Allerdings nehmen die Angestellten wegen fortschreitender Rationalisierungen im Produktionsbereich und Ausbau beispielsweise der Entwicklungsbereiche an Zahl und Bedeutung kontinuierlich zu; inzwischen stellen sie bereits die Hälfte aller Beschäftigten in den Industriebranchen. Damit werden sie für Betriebsräte und Gewerkschaften immer wichtiger, und zwar sowohl als Wähler als auch als Mitglieder und Träger von Qualifikationen, Kompetenzen und struktureller Macht. Allerdings lassen sich die Industrieangestellten nicht ohne weiteres in traditionelle Formen der kollektiven Interessenvertretung integrieren, denn sie sind beitragsorientiert und weisen Muster des Interessenhandelns auf, die sich durch individuelle Interessenverfolgung und eine geringe Organisationsneigung auszeichnen.
Fragestellung
Im Forschungsprojekt wurden drei zentrale Fragestellungen verfolgt. Die erste Frage betrifft die arbeitsbezogenen Interessen der Industrieangestellten. Hierzu untersuchte die Studie, welche Interessen die Angestellten äußern und ob und welche Gestaltungsthemen im Vordergrund der Interessenvertretungsarbeit stehen. Die zweite Frage bezieht sich auf die Formen der Einbindung der Industrieangestellten in die Interessenvertretungspolitik durch betriebliche Angestellteninitiativen von Betriebsräten und Gewerkschaften. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf neue Beteiligungsformen gelegt, welche die Autonomietendenzen, das Expertenwissen und die Gerechtigkeitsvorstellungen der Angestellten einzubeziehen versuchen. Die dritte Frage beschäftigt sich mit dem Interessenhandeln der Industrieangestellten: Führen die betrieblichen Initiativen zu einer zunehmenden Inanspruchnahme kollektiver Interessenvertretung oder wird weiterhin die individuelle Aushandlung von Interessen bevorzugt?
Untersuchungsmethoden
In der Studie wurden angestelltenpolitische Initiativen der Betriebsräte und Gewerkschaften in der Chemischen Industrie und auch in der Metall- und Elektroindustrie in Form triangulärer Fallstudien analysiert: Erstens wurden Experteninterviews mit Betriebsräten durchgeführt, zweitens qualitative Interviews mit Beschäftigten und drittens Onlinebefragungen der Industrieangestellten zu ihren Interessen und ihrem Interessenvertretungshandeln. Zusätzlich zu den insgesamt 17 Fallstudien wurden Experteninterviews mit Gewerkschaftsvertretern der IG Metall und der IG BCE hinsichtlich ihrer Einschätzung der Interessenlagen der Angestellten und hinsichtlich ihrer Vertretungsstrategien durchgeführt. Des Weiteren wurden Daten des SOEP und des Mikrozensus deskriptiv ausgewertet, um (den Wandel in den) Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Industrieangestellten und ihre quantitative Entwicklung abbilden zu können.
Darstellung der Ergebnisse
Der erste Befund ist die Ambivalenz von Arbeitsbedingungen und Interessen der Industrieangestellten. Zum einen genießen sie hohe Beschäftigungssicherheit, gute Entlohnung, Autonomie und Arbeitszeitflexibilität. Zum anderen nimmt ihre Arbeitsintensität unter den Vorzeichen von Restrukturierungen, finanzwirtschaftlichen Zielen und knappen Ressourcen kontinuierlich zu. Die daraus resultierenden Auswirkungen wie lange Arbeitszeiten oder Stress werden allerdings kaum von ihnen problematisiert. Der zweite Befund lautet, dass die angestelltenpolitischen Initiativen verschiedenen Gelegenheiten entsprungen sind und unterschiedliche thematische Schwerpunkte aufweisen. Sie sind zudem Laboratorien neuer Beteiligungsformen von Beschäftigten, sei es in Form von der Integration der Angestellten in Betriebsratsgremien, ihre strukturierte und punktuelle Einbeziehung oder die Mitgliedergewinnung. Drittens schließlich ist festzuhalten, dass trotz der Initiativen individuelles Interessenhandeln bei den Angestellten weiterhin dominiert. Allerdings hat sich ihr Interessenhandeln dahingehend verändert, dass sie sich aktiv an den Initiativen beteiligen und sie nun häufiger Rat beim Betriebsrat einholen.