Projektbeschreibung
Kontext
Divergierende Prozesse gesellschaftlichen Wandels haben verstärkt Anstöße zu biographischen und beruflichen Umorientierungen gegeben und dazu geführt, dass Weiterbildung in den letzten Jahrzehnten erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Phasen gesellschaftlicher und beruflicher Umorientierung können jedoch, ebenso wie Weiterbildung, als Chance oder als Zumutung erfahren werden. Die Weiterbildungsteilnahme hängt dabei mit vorhandenen Vorstellungen zusammen, die eigene soziale Lage und Stellung durch Bildung verändern zu können. Sie ist demnach eng an die Gesellschaftsbilder der Teilnehmenden gebunden. Wie sich die Weiterbildung wiederum verändernd auf die Gesellschaftsbilder auswirkt, ist bisher kaum erforscht. Der Studie liegt die Annahme zugrunde, dass diese Umbruchsituationen biographisch, milieu- und geschlechtsbezogen unterschiedlich verarbeitet werden.
Fragestellung
Forschungsleitende Frage der Studie war, wie Gesellschaftsbilder und Weiterbildungsteilnahme zusammenhängen. Im Einzelnen sollte rekonstruiert werden, über welche (impliziten) ge-sellschaftlichen Klassifizierungsschemata, Orientierungs- und Handlungsmuster unterschiedliche soziale Gruppen (Milieus) verfügen, welche biografisch und/oder gesellschaftlich bedingten Faktoren sie zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen veranlassen und welchen Einfluss die mit der Teilnahme verbundenen Bildungs- und Lernprozesse auf gesellschaftliche Orientierungsmuster haben. Dabei war insbesondere von Interesse, welcher Stellenwert Lernen zugemessen wird und welche Erwartungen an veränderte Lebens- und Teilhabechancen mit der Weiterbildung verbunden sind. Die Studie hat vor allem Angehörige der gesellschaftlichen Mitte und der unteren sozialen Lagen fokussiert, um hierfür mit Blick auf berufliche und politische Weiterbildungskonzepte ein möglichst differenziertes Bild zeichnen zu können.
Untersuchungsmethoden
Die qualitativ angelegte Längsschnittuntersuchung arbeitete mit der Methode der Gruppen- bzw. Lernwerkstatt. Das mehrstufige Verfahren kombiniert Gruppendiskussionen mit visuellen und assoziativ-projektiven Verfahren. Dadurch wird es möglich, individuelle und kollektiv geteilte Erfahrungsdimensionen (alltägliche, berufliche, bildungs- und weiterbildungsbezogene) sowie gesellschaftlich-politische Orientierungen und Haltungen zu explorieren. Orientiert an Berufsgruppen wurden in zwei Erhebungswellen mit denselben Lerngruppen unterschiedlicher Weiterbildungskurse und Bildungseinrichtungen jeweils zu Beginn und gegen Ende der Weiterbildungsprogramme Gruppen- bzw. Lernwerkstätten durchgeführt (insgesamt 14 und 11 Gruppenerhebungen). Die Auswertung erfolgte hermeneutisch-interpretativ. Sie zielte auf die Rekonstruktion vorhandender und sich möglicher Weise während der Weiterbildung verändernder Gesellschaftsbilder und Handlungsmuster. Die Gesellschaftsbilder wurden typologisch aufgearbeitet.
Darstellung der Ergebnisse
Die Studie hat sechs Gesellschaftsbilder mit Varianten rekonstruiert. Wahrnehmung, Bewertung und Handeln hinsichtlich des Gesellschaftsbildes gehen dabei nicht immer ineinander auf. Die Grundmuster strukturieren sich nach Vorstellungen von Gerechtigkeit, wahrgenommener Anerkennung, Teilhabe und Handlungsmöglichkeiten. Dominant erfolgt eine Orientierung am Leistungsprinzip entsprechend einer meritokratischen Gesellschaft. Es besteht der Glaube an die Sinnhaftigkeit gegenwärtiger Bildungsanstrengungen. Parallel finden sich jedoch weitere Gesellschaftsbilder und vom meritokratischen Modell abweichende Erfahrungen und Brüchigkeiten. Die konkurrente Leistungsgesellschaft wird vielfach als belastend erfahren, Alternativen dazu aber kaum entworfen. Veränderungen der Gesellschaftsbilder während der Weiterbildung waren nicht grundlegend; vielmehr traten in verschiedene Richtungen verlaufende Umgestaltungen und Transformationen auf. Daneben konnten positive Effekte der Selbstbestätigung, Anerkennung und Integration sowie ein Gewinn an Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Respektabilität rekonstruiert werden, allerdings auch Effekte der Entpolitisierung und Entsolidiarisierung.