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HBS Böckler Impuls

Hochschule: Ökonomie am Gängelband

Ausgabe 18/2016

An deutschen Hochschulen wird eine sehr einseitige Ökonomik gelehrt. Das liegt nicht so sehr an den einzelnen Dozenten, sondern mehr am System der Studienorganisation und der Ausrichtung der Forschung.

Studierende sollten noch andere Theorien als die vom Homo Oeconomicus und dem möglichst unregulierten, alle Probleme lösenden Markt kennenlernen? Na klar! Da sind sich etliche Dozenten einig. Allerdings lässt der oft im Detail festgeschriebene Pflichtstoff wenig Luft für alternative Ansätze. Und publizieren lassen sich vom Mainstream abweichende Studien auch schlecht. So lernen junge Wirtschaftswissenschaftler fast nur neoklassische Ökonomie – und die zugehörigen Schlussfolgerungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Universität Kassel im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Angesichts der Befunde sei es „nicht überraschend, dass sich die neoklassischen Idealvorstellungen zur Funktionsweise von Märkten und die Überzeugung, die Korrektur von Marktergebnissen sei überflüssig, auch in der öffentlichen Debatte wiederfinden“, so die Autoren der Studie Frank Beckenbach, Maria Daskalakis und David Hoffmann.

Die Wissenschaftler haben 588 Ökonomen an 54 deutschen Universitäten befragt. Es zeigt sich: Über 90 Prozent finden es wichtig, Studierende mit unterschiedlichen Lehrmeinungen vertraut zu machen. 84 Prozent wären zumindest teilweise bereit, ihre Lehre breiter anzulegen und den Studierenden ein größeres Theoriespektrum zu präsentieren. Aber: 70 Prozent geben an, in Grundlagenveranstaltungen hauptsächlich Main­stream-Ökonomik zu lehren.

Das liegt auch an engen fachlichen Vorgaben zu den Lehrinhalten. Alle Dozenten müssen sich an die für jeden Studiengang ausgearbeiteten Modulhandbücher halten, die von einem Teil der Lehrenden, vornehmlich Professoren, in Abstimmung mit Akkreditierungsagenturen festgelegt wurden. Und diese Modulhandbücher sehen keine vom Mainstream abweichenden Inhalte vor. So fanden die Kasseler Forscher in 54 untersuchten Studiengängen nur sechs Modulhandbücher zur Mikroökonomik, in denen „heterodoxe“ Ansätze vorkamen. Von den Vorgaben abzuweichen, sei für Dozenten aber riskant. Im Extremfall drohten Klagen von Studierenden, die darauf bestehen könnten, im vorgeschriebenen Stoff geprüft zu werden. Ein anderes Problem: Artikel, die auf alternative Ökonomie bauen, sind schwer in Fachzeitschriften unterzubringen.

Beckenbach, Daskalakis und Hoffmann sehen vor allem die Unis in der Pflicht, in den Lehrplänen Freiräume für Pluralismus zu schaffen. Wie nötig die Ökonomie mehr Beschäftigung mit abweichenden Ansätzen hat, war nach Ansicht kritischer Wissenschaftler gerade erst wieder zu beobachten – als der Sachverständigenrat allen Fakten zum Trotz seine Kritik am Mindestlohn erneuerte.

  • Die Studienorganisation lässt wenig Raum für Alternativen zur Neoklassik - obwohl ein Großteil des Lehrpersonals gern mehr auf heterodoxe Theorien eingehen würde. Zur Grafik

Frank Beckenbach u.a.: Zur Pluralität der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland, Metropolis-Verlag, Marburg 2016

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