Projektbeschreibung
Kontext
Ein starker Digitalisierungsschub, die wirtschaftliche Dynamik, die Größe mit ca. 810.000 Kraftfahrern, aber auch die besonderen Belastungen der Beschäftigten machen die Transportlogistik zu einem wichtigen Forschungsfeld. IT-Technik wie GPS, LTE, RFID, neue Sensorik, kommunizierende Waren, Internet of Things (IoT), Big Data, Fahrzeuge, Lager- und Produktionssysteme sowie digitale Transportmanagementsysteme und Frachtvermittlungen liefern in Echtzeit Daten und Analysen. Sie erlauben eine hochflexible Distributionssteuerung, ständige Erreichbarkeit und Kontrolle. Massiver Wettbewerbsdruck, erhebliche Änderungen in den Branchenstrukturen, zeitlich und räumlich flexible Arbeit, vielfach gering qualifizierte Beschäftigte, hoher Migrationsanteil, geringe Löhne und Nachwuchsmangel stellen besondere Herausforderungen für technische und arbeitsorganisatorische Veränderungen, für qualifizierte und belastungsfreie Arbeit sowie insbesondere für eine wirksame Mitbestimmung dar.
Fragestellung
Das Ziel des Projektes war es, Voraussetzungen für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen, Qualifizierung und Mitbestimmung zu identifizieren. Dies wurde mittels einer empirischen Bestandsaufnahme von Digitalisierungseinsatz, Unternehmens- und Arbeitsorganisation, Arbeits- und Qualifikationsanforderungen, Gefährdungspotentialen und Chancen sowie Mitbestimmungsformen in einem systematischen Vergleich zweier zentraler Arbeitskräftekategorien (Berufskraftfahrer, Kurierfahrer) herausgearbeitet. Die fünf zentralen Untersuchungsbereiche waren:
1. maßgeblich bei den Fahrern zum Einsatz kommenden digitalen Techniklinien,
2. individuelle, qualifikatorische und organisatorische Voraussetzungen einer Autonomie förderlichen Nutzung digitalisierter Arbeitsmittel,
3. neue Formen der Arbeits- und Leistungskontrolle,
4. Entstehen von neuen Handlungsspielräumen sowie
5. Hemmnisse für Interessenvertretung bzw. neue Mitbestimmungschancen in der digitalisierten Logistik.
Untersuchungsmethoden
Es wurden eigene qualitative empirische Erhebungen und quantitative Analysen durchgeführt:
1. Zu den branchenspezifischen Entwicklungslinien der Digitalisierung wurden 35 qualitative Experteninterviews mit Technikentwicklern und -herstellern, bei Weiterbildungsanbietern, mit Gewerkschaftern und Logistikverbänden geführt. Im Zentrum der qualitativen Erhebungen standen umfassende qualitative Betriebsfallstudien in 2 Unternehmen der Logistik: einer Systemspedition und einem Anbieter von Teil- und Komplettladungsverkehr; hier wurden technisch, organisatorisch und personalpolitisch Verantwortliche, Betriebsräte sowie Mitarbeiter befragt. In den Kurier-, Express-, Paketdiensten wurden (coronabedingt überwiegend online) Interviews mit Kurier*innen und Paketboten geführt.
2. Mittels quantitativer Analysen unter Nutzung des Sozioökonomischen Panels werden die besonderen "Problemdimensionen" der Logistikbranche in die allgemeine Entwicklung von Arbeitsmarkt und Mitbestimmung eingebettet.
Darstellung der Ergebnisse
Die Studie analysierte die Auswirkungen digitaler Technik auf die Arbeitsqualität von Berufskraftfahrer*innen und Kurierdienstfahrer*innen in der deutschen Transportlogistik. Deutlich wird: Mit der Digitalisierung werden Arbeitsprozesse transparent gemacht, in Echtzeit auf Ferne kontrolliert, rationalisiert, standardisiert und verdichtet. Damit werden Arbeitstätigkeiten derart vereinfacht, dass Unternehmen zunehmend auf geringqualifizierte Beschäftigte zurückgreifen können. Der Einsatz digitaler Techniklinien folgt damit einem personalstrategischen Motiv der Unternehmen aus der Transportlogistik. Im Vergleich zu den enorm gegängelten, kontrollierten und "gläsernen" Paketbot*innen und Kurier*innen gelingt es Berufskraftfahrer*innen (u.a. aufgrund der Beruflichkeit) besser, sich Autonomiespielräume zu erhalten; aber auch hier kommt der GPS- und LTE-gestützten Überwachung durch die Zentrale eine nicht mehr vermeidbare Bedeutung zu. Die Ergebnisse unserer Erhebung zeigen zusammengefaßt, dass in der Transportlogistik Digitalisierungsstrategien umgesetzt werden, die sowohl auf die (1.) innerbetriebliche Prozessrationalisierung als auch auf (2.) arbeitskraftbezogene Kontrolle abzielen.