Forschungsprojekt: Stärkung der Tarifbindung im Dienstleistungssektor.

Probleme, Erfahrungen, Strategien

Projektziel

Die Prägekraft von Tarifverträgen ist für die Beschäftigten, aber auch ganz allgemein für den gesellschaftspolitischen Zusammenhalt von erheblicher Bedeutung. Seit Jahren geht jedoch die Tarifbindung in Deutschland zurück, besonders in den Dienstleistungsbranchen. Das Projekt beschäftigt sich mit den sehr heterogenen Rahmenbedingungen und Verlaufsformen der Tarifbindung im Dienstleistungssektor.

Projektbeschreibung

Kontext

Der Dienstleistungsbereich ist besonders stark von der Schwächung der Tarifbindung betroffen. Die Unübersichtlichkeit, hohe Dynamik und Vielfalt der Branchen erschwert zudem die Tarifkoordination im Organisationsbereich von ver.di erheblich. Es finden sich sehr heterogene Tarif- und Gewerkschaftskulturen, häufig auch unklare Branchenabgrenzungen und gewerkschaftliche Konkurrenzsituationen. Zugleich haben viele Dienstleistungsbereiche eine Nähe zum öffentlichen Sektor, der ehemals als "Bollwerk" solider Tarif- und Gewerkschaftsstrukturen galt, jedoch in den letzten 25 Jahren besonders stark unter Umstrukturierungs-, Ökonomisierungs- und Privatisierungstendenzen zu leiden hatte. Zahlreiche Unternehmen und ganze Branchen wurden infolgedessen vom Tarifvertragssystem des öffentlichen Dienstes abgekoppelt und es entstanden hochgradig fragmentierte Tarifstrukturen.

Fragestellung

Das Forschungsprojekt hat zum Ziel, die branchenspezifischen Hintergründe und Ursachen für den Rückgang der Tarifbindung in einigen ausgewählten Dienstleistungsbranchen zu eruieren. Zugleich erfolgte eine Bestandsaufnahme von bislang praktizierten Gegenstrategien und Maßnahmen der Tarifstärkung. Untersucht wurden die Bereiche Bund und Länder, Genossenschaftsbanken, Verkehr und Bodenverkehrsdienste, Wohnungswirtschaft, Einzelhandel, Kino, Rundfunk und Verlage, Weiterbildungseinrichtungen sowie Gesundheitswesen. Die Erfahrungen, Voraussetzungen und Hemmnisse für Erfolg oder Misserfolg in den Bemühungen um eine Revitalisierung der Tarifbindung wurden auch komparativ analysiert.

Untersuchungsmethoden

Zehn Expertengespräche mit hauptamtlichen gewerkschaftlichen Funktionär_innen von ver.di (im April 2017) sowie Analyse gewerkschaflicher und wissenschaftlicher Dokumente/Literatur.

Darstellung der Ergebnisse

Die Heterogenität, mit der die gewerkschaftliche Tarifpolitik im Dienstleistungsbereich konfrontiert ist, ist enorm. Der Trend zur Erosion des Flächentarifvertragssystems ist in allen untersuchten Bereichen spürbar, wenngleich mit variierender Dramatik. Dabei spielten in fast allen Tarifbereichen politische Entscheidungen der öffentlichen Hand, des Gesetzgebers und/oder der EU eine wichtige Rolle für die Erosion der Tarifnormen.

Als hermeneutisches Konzept, um die neue Unübersichtlichkeit des Tarifgeländes nach dem Ende der Vorherrschaft des Flächentarifvertrags deskriptiv abzubilden, lassen sich drei verschiedene Tarifszenarien unterscheiden: Beim Szenario der "Erosion der Sozialpartnerschaft" ist die Geltung von Flächentarifverträgen noch immer dominant und regulierungswirksam, wenngleich erodierend ; das Szenario der "zerklüfteten Tariflandschaften" zeichnet sich durch diverse Varianten des Nebeneinanders von Flächentarifvertrag, Haustarifverträgen und nicht-tariflich regulierten Bereichen aus; in "tariflosen Zonen" oder "weißen Flecken" der Tarifbindung stellt die Abwesenheit sozialpartnerschaftlicher Regulierung die Norm dar.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Ingrid Artus
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Soziologie
Ingrid.Artus@fau.de

Kontakt

Christina Schildmann
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung
Christina-Schildmann@boeckler.de

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