Projektbeschreibung
Kontext
Mit der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) steht den Unternehmen im Europäischen Wirtschaftsraum erstmals eine supranationale Rechtsform zur Verfügung. Die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE, die zwischen der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmervertretern im Zuge des SE-Gründungsprozesses ausgehandelt wird, kann sowohl die Information und Konsultation in grenzüberschreitenden Angelegenheiten (SE-Betriebsrat) als auch die Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der SE umfassen, so dass erstmals zwei transnationale Handlungsfelder der Interessenvertretung entstehen. Diese neu geschaffene institutionelle Struktur von SE-Betriebsräten auf der einen und mitbestimmten SE-Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten auf der anderen Seite wirft die Frage nach dem Zusammenspiel dieser Gremien und Akteure auf.
Fragestellung
Vor diesem Hintergrund untersuchte das Projektvorhaben, wie die Information und Konsultation sowie die Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten in Europäischen Aktiengesellschaften zusammenwirken und welche Implikationen sich daraus für die Interessenvertretung über nationalstaatliche Grenzen hinweg ergeben. Im Zentrum des Forschungsprojekts standen folgende Fragen:
- Welche Muster der Interessenartikulation bestehen zwischen den SE-Betriebsräten und den Arbeitnehmervertretern in den Aufsichts- und Verwaltungsräten von SEs?
- Welche Faktoren beeinflussen die Herausbildung bestimmter Muster der Verknüpfung beider Handlungsfelder? Welche Rolle spielt insbesondere die internationale Zusammensetzung der Gremien?
- Wie wirkt sich das Zusammenspiel zwischen SE-Betriebsräten und mitbestimmten Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten auf die Interessenvertretungschancen der Beschäftigten in den Unternehmen aus?
Untersuchungsmethoden
Auf der Basis von sieben Fallstudien wurden die Verbindungen und das Zusammenspiel zwischen SE-Betriebsräten und mitbestimmten Aufsichtsräten analysiert und es wurde untersucht, welche Bedeutung diese für die Interessenvertretung über nationalstaatliche Grenzen hinweg haben. Durch die Fallstudien konnten die komplexen Interaktionsprozesse sowie die Handlungsperspektiven und unterschiedlichen Deutungsmuster der beteiligten Akteure im Detail erfasst und so vertiefte Erkenntnisse über die Artikulation zwischen beiden Handlungsfeldern gewonnen werden. Für die Fallstudien wurden leitfadengestützte Interviews mit Arbeitnehmervertreter*innen aus SE-Aufsichtsräten und SE-Betriebsräten geführt. Die Untersuchung konzentrierte sich auf Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die seit mehreren Jahren als Europäische Aktiengesellschaften firmieren.
Darstellung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchung unterstreichen, dass ein formaler Informationsaustausch – bspw. über Berichterstattungen im SE-Betriebsratsgremium – zwischen beiden Handlungsfeldern aufgrund von Verschwiegenheitsverpflichtungen nur in einem begrenzten Ausmaß stattfindet. Es sind vielmehr die personellen Überschneidungen zwischen den Handlungsfeldern, die für die Verbindungen von Bedeutung sind. Die Schlüsselakteure, die sowohl dem SE-Betriebsrat als auch dem SE-Aufsichtsrat angehören, befördern und stellen die horizontale Artikulation zwischen den Handlungsfeldern her und ermöglichen dadurch, dass Ressourcen aus beiden Handlungsfeldern kombiniert und für die Interessenvertretungsarbeit nutzbar gemacht werden.
Damit wirft die Studie zugleich einen kritischen Blick auf die derzeit bestehende Situation, dass die Mehrheit der Europäischen Aktiengesellschaften keine Mitbestimmung in den Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten aufweist, sodass in diesen Fällen die Grundlage für das Zusammenspiel dieser beiden Handlungsfelder und die Kombination der entsprechenden Ressourcen fehlt.