Forschungsprojekt: Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht

. Ist die ethisch und theologisch legitimiert?

Projektziel

In der Bundesrepublik Deutschland gehören die Kirchen mit Caritas und Diakonie zu den großen Arbeitgebern. Für ihr Arbeitsrecht hat ihnen der Staat in der Nachkriegszeit weitgehende Ausnahmerechte zugestanden. Auf dieser Basis haben sie seitdem ein eigenes Arbeitsrecht ausgebaut. Das für die Hans-Böckler-Stiftung verfasste Gutachten befasst sich mit seinen Leitideen und mit seinen Problemen.

Veröffentlichungen

Kreß, Hartmut, 2014. Arbeitsrecht: Kirchen missachten Grundrechte. In: Kirchen.Info, Nr. 22; Februar 2014, KirchenInfo, 22, S. 12-13.

Kreß, Hartmut, 2014. Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht - sozialethisch vertretbar?. Ein deutscher Sonderweg im Konflikt mit Grundrechten, Baden-Baden: Nomos, 175 Seiten.

Kreß, Hartmut, 2013. Kirchen missachten Grundrechte, Böckler Impuls, 8/2013, S. 3.

Gekeler, Corinna, 2013. Kirchenarbeitsrecht und Grundrechte. Interview mit Hartmut Kreß. Interview mit Hartmut Kreß, Humanistischer Pressedienst, 17486, S. 1-6.

Weitere Informationen

Kreß, Hartmut: Anmerkung zu BAG, Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 (LAG Hamm).-
http://www.sozialethik.uni-bonn.de/kress/veroeffentlichungen-editionen/kress_zu_bag_urteil_v._20.11.2012_kirchl._arbeitsrecht.pdf

Projektbeschreibung

Kontext

In der Öffentlichkeit, von Gewerkschaften und von Arbeitnehmern werden die arbeitsrechtlichen Normen der Kirchen zunehmend skeptisch beurteilt. Bezogen auf die römisch-katholische Kirche werden zurzeit vor allem die Vorschriften für die persönliche Lebensführung der Beschäftigten diskutiert (z.B. die Unzulässigkeit der Wiederverheiratung). Im Blick auf evangelisch getragene Einrichtungen konzentrierte sich die öffentliche Kritik auf strukturelle Missstände (Lohndumping, Leiharbeit, Ausgründungen) und auf das kompromisslose Verbot von Arbeitsstreiks. Am 20.11.2012 hat das Bundesarbeitsgericht ein Urteil verkündet, das der evangelischen Kirche das Streikverbot zugesteht, sofern sie bestimmte Auflagen erfüllt. Beide Kirchen haben ihr Nein zum Streikrecht bekräftigt. Im Gegenzug hat die Gewerkschaft ver.di Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die vom Bundesverfassungsgericht noch zu entscheiden ist.

Fragestellung

Das Gutachten legt Konfliktpunkte des kirchlichen Arbeitsrechts dar und wägt die Argumente ab, die von den Kirchen als Arbeitgebern und von Beschäftigten, den Gewerkschaften und der kritischen Öffentlichkeit genannt werden. Verfassungsrechtlich stützen sich die Kirchen auf ihre korporative Religionsfreiheit bzw. auf ihr korporatives Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art 137 III Weimarer Reichsverfassung). Im Gutachten wird erörtert, wie tragfähig die Gründe sind, die die Kirchen für ihren Sonderstatus im Arbeitsrecht geltend machen.

Untersuchungsmethoden

Das Gutachten geht auf verfassungsrechtliche, juristische, ethische und theologische Literatur ein und behandelt Vorgaben sowohl des römisch-katholischen als auch des evangelischen Arbeitsrechts. Rechtsvergleichend wird nach Regelungen in anderen europäischen Staaten gefragt und soziologisch auf die religiös-weltanschauliche Pluralisierung der Gesellschaft hingewiesen (Rückgang der Kirchenzugehörigkeit in der Bevölkerung und sogar bei den kirchlichen Arbeitnehmern; zunehmende Bedeutung der Konfessionslosigkeit und von nichtchristlichen Religionen).

Faktisch erfüllen kirchliche Einrichtungen im Gesundheits-, Sozial- und Erziehungswesen öffentliche Aufgaben. Sie werden weitgehend refinanziert, nehmen "weltliche" Funktionen wahr und stehen mit anderen Anbietern im Wettbewerb. Vor diesen Hintergründen legt das Gutachten dar, in welcher Hinsicht die arbeitsrechtlichen Normen der Kirchen mit der heutigen Alltagsrealität in Widerspruch geraten sind.

Darstellung der Ergebnisse

Das Arbeitsrecht der Kirchen erzeugt für Arbeitnehmer bestimmte Nachteile und ist stark reformbedürftig. Zentrale Begründungen sind in heutiger Sicht nicht mehr plausibel (Unzulänglichkeiten des Begriffs der kirchlichen "Dienstgemeinschaft", Unschlüssigkeiten beim Ausschluss des Streikrechts u.a.). Teilweise schlägt das korporative Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Fremdbestimmung über Arbeitnehmer um und überlagert in zu hohem Maß ihre individuellen Grundrechte (z.B. Gewissensfreiheit, Schutz der Privatsphäre) sowie ihre Partizipationsrechte. Dies schadet auch der Glaubwürdigkeit der Kirchen. Aufgrund der Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) ist zum Streikrecht substanziell die Sicht von Gewerkschaften zu berücksichtigen.

Dem Gutachten zufolge besteht zum Sonderweg der Kirchen in Deutschland grundlegender Diskussionsbedarf: zum Schutz der individuellen Grundrechte (Grundsatzproblem der fehlenden Grundrechtsbindung der Kirchen), zur von ihm gewährleisteten Rechtssicherheit und zu seiner Zweckmäßigkeit.

Sollten andere Religionsgemeinschaften analog zu den Kirchen künftig ebenfalls ein eigenes Arbeitsrecht aufbauen, droht die Rechtsordnung weiter zersplittert zu werden.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Hartmut Kreß

Kontakt

Dr. Stefan Lücking
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung

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