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Sarah May Stipendien

Preisträger*innen 2023: Sarah May: Ethnografischer Blick auf die Holzwirtschaft

„Mich interessiert das Spannungsfeld, das sich angesichts von Vorstellungen eines ‚Grünen Wachstums‘ oder einer ‚Bioökonomie‘ auftut“

Es dürfte kaum einen Rohstoff geben, der mit so vielen und so widersprüchlichen Bedeutungen aufgeladen ist wie Holz. Man kann mit Holz bauen, wohnen, arbeiten, Geschäfte machen. Man kann daraus kunstvolle Möbel und kostbare Musikinstrumente erschaffen, man kann es aber auch verheizen. Man kann es als nachwachsendes Wirtschaftsgut betrachten, das im Wald mit großen Maschinen zu ernten ist. Man kann es aber auch als wichtigen CO2-Speicher sehen, der so schonend behandelt werden sollte wie möglich. Die Kulturwissenschaftlerin Sarah May findet die Vielfalt dieser Nutzungen, Deutungen und Praktiken hochspannend. Und sie will erforschen, wie sie sich unter den Vorzeichen der Klimakrise und der nötigen Transformation der Holzwirtschaft verändern.

„Die Verschränkung von Ökologie und Ökonomie wird von zahlreichen Wissenschaftler*innen und Disziplinen erforscht“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Mich reizt es, diesen Diskurs durch Kulturanalysen zu bereichern, die konsequent die Perspektiven der involvierten Akteur*innen nachzeichnen.“ Auf Grundlage von Interviews und (teilnehmenden) Beobachtungen in Forstbetrieben und Behörden, in Sägewerken und Tischlereien, in Instrumentenbauwerkstätten und Industriebetrieben möchte May ethnografisch dicht beschreiben, wie die vielen unterschiedlichen Akteur*innen mit den Herausforderungen umgehen, die der Klimawandel für die tradierten Formen der Waldbewirtschaftung mit sich bringt.

„Mich interessiert das Spannungsfeld, das sich angesichts von Vorstellungen eines ‚Grünen Wachstums‘ oder einer ‚Bioökonomie‘ auftut“, sagt die Kulturwissenschaftlerin. „Wie korrelieren Vorstellungen von Klima- und Umweltschutz mit Idealen wirtschaftlichen Profits und Wohlstand – im Holzhandwerk, in der Wald- und Holzwirtschaft, in der (politischen) Wirtschaftsförderung?“

May, geboren in Bad Friedrichshall und Mutter zweier Kinder, hat in Tübingen studiert und dort auch ihren Doktortitel erworben. In ihrer Dissertation ging es allerdings noch nicht um Holz, sondern um, zum Beispiel, Käse: May schrieb über die Konstituierung kulturellen Eigentums durch geografische Herkunftsangaben bei Lebensmitteln. Sie forschte in Italien, Österreich und der Schweiz und lehrte mehrere Jahre lang an der Universität Zürich. Seit 2016 ist sie am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg tätig und erlebt dort akademisches Arbeiten so, wie sie es sich vorstellt: mit einem großen Gestaltungsfreiraum und einer engen Verzahnung von Forschung und Lehre. „Das ist mir enorm wichtig“, sagt sie.

So arbeitete May bei einem Lehrforschungsprojekt zur Bioökonomie nicht nur mit Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden zusammen, sondern auch mit Vertreter*innen eines landwirtschaftlichen Verbands, mit Designer*innen und Podcaster*innen. Aus der akademischen Welt hinauszutreten und mit Menschen zu sprechen, die ganz anders denken und arbeiten, das ist es, was May auch an ihrer Habilitationsforschung zum Thema Holz und Handwerk so gefällt: „Diese Begegnungen“, sagt sie, „inspirieren mich am stärksten für meine Arbeit.“

 

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