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Preistägerin des Maria-Weber Grant 2019: Sandhya Sundaresan Stipendien

Preisträger*innen 2019: Sandhya Sundaresan: Wie das Sprechen eine Perspektive bekommt

„Begriffe der Wahrheit werden in der Gesellschaft immer mehr relativiert.“

Subjektivität ist im Social-Media-Zeitalter zur Leitwährung aufgestiegen. Selbst für unumstößlich gehaltene Tatsachen wie der menschengemachte Klimawandel oder gar die Kugelgestalt der Erde werden als bloße  Meinung abgetan – und im Brustton der Überzeugung eine andere Meinung als Tatsache vertreten. US-Präsident Donald Trump hat diese Produktion „alternativer Fakten“ zur Meisterschaft gebracht. „Begriffe der Wahrheit werden in der Gesellschaft immer mehr relativiert“, sagt Dr. Sandhya Sundaresan. „Auch deshalb interessiere ich mich für die Rolle von Subjektivität und Perspektive in der Grammatik.“

Die Linguistin, geboren 1979 in Tiruchirapalli (Indien), ist in Indien zur Schule gegangen, hat in Pennsylvania (USA) studiert, in Stuttgart und Tromsø (Norwegen) ihre Doktorarbeit geschrieben und lehrt jetzt als Juniorprofessorin am Institut für Linguistik der Universität Leipzig. Sie spricht mehrere Sprachen und weiß deshalb, dass es in Tamil – einer der Sprachen, die Sundaresan ihre Muttersprachen nennt – anders als im Deutschen oder Englischen „perspektivische Anaphern“ gibt, die eindeutig an die Perspektive einer bestimmten Person gebunden sind. „Ein Satz wie ‚Susi stellte die Tasche links neben sich’ kann in Tamil nur dann wahr sein, wenn die Tasche aus Sicht von Susi links steht“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin. „Dieses Phänomen hat interessante Folgen für die Theorien der Syntax (sprachliche Struktur) und der Semantik (sprachliche Bedeutung).“

Sundaresan geht von Noam Chomskys Ansatz  einer „universellen Grammatik“ aus, die allen menschlichen Sprachen zugrunde liege. Unterschiede zwischen den Sprachen sind demnach nur individuell  eingestellte Parameter dieser universellen Grammatik. „Vor diesem Hintergrund ist das Vorhandensein perspektivischer Anaphern höchst Interessant“, findet die Linguistin. Warum machen einzelne Sprachen von dieser Möglichkeit Gebrauch und andere nicht? Welche Rolle spielt Perspektive in der universellen Grammatik  und darüber hinaus in der menschlichen Kognition überhaupt? Und verhalten sich alle perspektivesensiblen Elemente in der Grammatik gleich oder gibt es da Unterschiede, beispielsweise zwischen subjektiven Adjektiven und Adverbien? Oder einfacher ausgedrückt: Funktioniert „lecker“ genauso wie „links“?

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