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Magazin Mitbestimmung

: Zeitarbeit - neu geregelt

Ausgabe 10/2003

Mit einem Passus im Gesetz, der beschlossen wurde, um nicht angewendet zu werden, zwang die Regierung Arbeitgeber und Gewerkschaften an den Verhandlungstisch. Nun gibt es Tarifverträge zur Zeitarbeit.

Von Markus Pfeiffenberger

Der Autor promoviert mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung am Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Kontakt: pfeiffenberger@jur.uni-frankfurt.de


Anfang des Jahres 2004 werden zwei Flächentarifverträge für die Zeit- oder Leiharbeit in Kraft treten, die eine Tarifgemeinschaft des DGB mit zwei Arbeitgeberverbänden vereinbart hat. Während die Gewerkschaften früher ein Verbot der Leiharbeit gefordert hatten und sich weigerten, für die Branche überhaupt Tarifverträge abzuschließen, hat sich ihr Verhältnis zur Arbeitnehmerüberlassung in den letzten Jahren gewandelt. Dennoch gelang es ihnen nur dort, tarifliche Regelungen zu erreichen, wo Leiharbeitsfirmen dies zur Verbesserung ihres Images wünschten. Ansonsten blieb die Branche tariflos - eine Folge des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades und der fehlenden Streikfähigkeit der dort beschäftigten Arbeitnehmer.

Die jetzt abgeschlossenen Flächentarifverträge hat erst das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ermöglicht. Dieses zum 1. Januar 2004 wirksame Gesetz droht der Branche mit einem "tarifdispositiven" Gleichbehandlungsgrundsatz. Das bedeutet: Ohne Tarifvertrag müssen die Leiharbeitnehmer den gleichen Lohn und die gleichen Arbeitsbedingungen wie die Beschäftigten des Entleihbetriebes erhalten. Dafür entfallen zwei Schutzregeln - das "Synchronisationsverbot", das dem Verleiher untersagte, Personen nur für die Dauer ihres Einsatzes beim Entleiher einzustellen, und die "Überlassungshöchstdauer", die den Einsatz bei einem Entleiher zeitlich begrenzte. Damit verändert sich das deutsche Modell der Arbeitnehmerüberlassung grundlegend.

Bisher galt: Schutzregeln ohne Gleichbehandlung

Ziel des Synchronisationsverbotes war es, die Arbeitsverhältnisse zu verstetigen. Der Leiharbeitnehmer sollte nicht nur gezielt für einen bestimmten Einsatz beschäftigt werden, sondern dauerhaft bei dem Verleiher angestellt sein. Er erhielt auch dann Lohn, wenn der Verleiher keinen Einsatz für ihn hatte. Dazu war es notwendig, dass sich die Laufzeit des Leiharbeitsvertrages und der Einsatz bei einem Entleiher nicht entsprechen durften. In der Praxis realisierte sich diese Idee indes nur teilweise: Die meisten Leiharbeitsverhältnisse endeten bereits nach drei Monaten. In welchem Umfang ehemalige Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb weiterbeschäftigt wurden - also der erwünschte "Klebeeffekt" eintrat, kann derzeit nicht von unabhängigen Studien nachgewiesen werden - sicher ist nur, dass die Tendenz fallend ist.

Die zweite Regelung des alten Modells, die zeitliche Begrenzung der Überlassungsdauer eines Leiharbeitnehmers an den gleichen Entleiher, sollte das "Normalarbeitsverhältnis" schützen. Leiharbeit diente ursprünglich dem Ausgleich vorübergehender Personalknappheit - sie sollte keine Dauerarbeitsplätze ersetzen. Ursprünglich betrug die Überlassungshöchstdauer drei Monate, sie wurde in späteren Jahren in vier Stufen auf zuletzt 24 Monate angehoben. Die Leiharbeit entwickelte sich, insbesondere in großen Unternehmen, zu einem strategischen und dauerhaften Personalinstrument. In einigen Betrieben arbeitet heute dauerhaft eine größere Anzahl von Leiharbeitnehmern.

Sowohl das Synchronisationsverbot als auch die Überlassungshöchstdauer verstärkten die arbeitsrechtliche Verbindung des Leiharbeitnehmers zum Verleiher und erhöhten damit den arbeitsrechtlichen Schutz des Leiharbeitnehmers, insbesondere durch unbefristete Arbeitsverträge. Gleichzeitig jedoch führte dieser Schutz zur Ungleichbehandlung beim Arbeitsentgelt. Denn Arbeitnehmer unterschiedlicher Arbeitgeber haben trotz gleicher Arbeit keinen Anspruch auf gleiche Entlohnung. Außer Deutschland kennen nur wenige Länder, etwa Schweden, das Modell eines unbefristeten Leiharbeitsverhältnisses. In den meisten europäischen Staaten wird ein anderes Modell praktiziert: Die Leiharbeitnehmer erhalten den gleichen Lohn wie die Stammarbeitnehmer, müssen aber zum Ausgleich auf die Sicherheit eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses verzichten. Damit existieren in Europa zwei unterschiedliche Modelle, die Leiharbeitnehmer in jeweils einem Punkt schlechter stellen als Stammarbeitnehmer.

Jetzt gilt: Gleichbehandlung plus Flexibilität

Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nimmt die Struktur des zweiten, weiter verbreiteten Modells auf. Es gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz - jedoch mit der Möglichkeit, durch Tarifverträge davon abzuweichen. Der jetzt im Gesetz festgeschriebene Gleichbehandlungsgrundsatz würde zu deutlich besseren Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer führen, denn bisher werden diese etwa 40 Prozent schlechter bezahlt als Stammarbeitnehmer. Gleichzeitig müssten die Verleiher bei jedem neuen Einsatz neue Arbeitsbedingungen errechnen und vergüten. Das wollten die Leiharbeitsfirmen durch einen Tarifvertrag verhindern - sie waren sehr viel mehr als Gewerkschaften an einem Tarifvertrag interessiert.

Da stellt sich die Frage, warum die Gewerkschaften überhaupt einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Drei Dinge sind dabei von Bedeutung. Erstens haben die Gewerkschaften ihren Frieden mit der Leiharbeit geschlossen und wollen die Branche künftig tariflich "domestiziert" erhalten. Denn gerade für Arbeitslose mit Vermittlungshindernissen könnte die Leiharbeit eine Chance auf einen Dauerarbeitsplatz eröffnen. Zweitens begannen bereits christliche Gewerkschaften, Tarifverträge mit der Leiharbeitsbranche abzuschließen, und brachten die DGB-Gewerkschaften in Zugzwang. Der dritte und entscheidende Faktor aber war ein anderer. Die Bundesregierung hatte zu erkennen gegeben, dass das neue Gesetz wieder gekippt würde, sollte es nicht zu Tarifabschlüssen kommen. Ihre Absicht war, in jedem Fall Tarifverträge zustande zu bringen - dazu drohte sie einerseits den Verleihern mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, andererseits den Gewerkschaften mit der Abschaffung desselben - eine interessante Rechtspolitik.

Mit dem Fall des Synchronisationsverbotes wird es für die Verleiher leichter, das Leiharbeitsverhältnis auf die Dauer des akquirierten Einsatzes beim Entleiher zu beschränken. Zwar hat der Verleiher jetzt das Teilzeit- und Befristungsgesetz zu beachten, in dem unter anderem geregelt ist, dass Befristungen nur für maximal 24 Monate möglich sind. Aber selbst wenn der Verleiher unbefristete Arbeitsverhältnisse mit den Leiharbeitnehmern abschließt, kann er diese jeweils so kündigen, dass das Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers und die Einsatzdauer bei einem Entleiher jeweils synchron laufen. Eine Entgeltfortzahlung zwischen zwei Einsätzen gibt es dann nicht mehr. Der Wegfall der Überlassungshöchstgrenze ermöglicht zusätzlich den dauerhaften Einsatz ein und desselben Leiharbeitnehmers, ohne dass dieser nach 24 Monaten durch andere Leiharbeitnehmer ersetzt werden muss. Damit sind die üblichen Ringtausche von Leiharbeitnehmern in zwei oder mehreren Entleihbetrieben nach erreichter Höchstüberlassungsdauer oder das zwischenzeitliche Pausieren nicht mehr erforderlich. Dadurch können künftig ganze Betriebe ausschließlich mit Leiharbeitnehmern betrieben werden.

In Verbindung mit den neuen Tarifverträgen entsteht dort ein Niedriglohnsektor. Der Verleiharbeitgeber hat in diesen Fällen im Ausleihbetrieb ein eigenes Personalbüro für die dauerhaft eingesetzten Leiharbeitnehmer (On-Site-Management). Damit wird die Arbeitnehmerüberlassung für Unternehmen ein noch attraktiveres Flexibilisierungsinstrument, das ihnen - anders als beim Outsourcing von Produktion oder Dienstleistungen - die Kontrolle über den Produktionsprozess garantiert. Die Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung wird insofern weiter wachsen.

Das neue Gesetz ist konform mit dem EU-Recht

Die Neuregelung muss auch im Kontext des europäischen Rechtes betrachtet werden. Während in Deutschland das neue Gesetz entstand, konkretisierten sich jahrzehntelange Bemühungen, die Leiharbeit europaweit zu vereinheitlichen. Die EU-Kommission präsentierte dazu im Jahr 2002 einen Richtlinienentwurf. Im Frühjahr machte sich das EU-Parlament diesen Entwurf mit geringen Änderungen zu eigen. Der Text geht grundsätzlich vom Gleichbehandlungsgrundsatz aus, er bestimmt aber, dass in zwei Fällen davon abgewichen werden kann. Erstens, wenn die Beschäftigten unbefristete Arbeitsverträge haben und zwischen zwei Überlassungen bezahlt werden - ein Modell, das der deutsche Gesetzgeber mit dem Wegfall des Synchronisationsverbotes gerade aufgegeben hat - zweitens, wenn - wie im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - den Sozialpartnern die Möglichkeit eingeräumt wird, Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern abzuschließen. Dabei muss jedoch ein angemessenes Schutzniveau für die Leiharbeitnehmer gewährleistet bleiben.

Daraus wird ersichtlich, dass der Entwurf sowohl das alte als auch das neue Modell der Arbeitnehmerüberlassung zulässt. Eine Flexibilisierung der Leiharbeit durch den Wegfall des Synchronisationsverbotes, wie sie die Arbeitgeber gefordert haben, wäre ohne die Einführung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aber nicht möglich. Nur in einem Punkt widerspricht das neue deutsche Recht dem Richtlinienentwurf: Der Kommissionstext sieht ausdrücklich nur befristete Einsätze in Entleiherbetrieben vor - in Deutschland gibt es ab dem Jahr 2004 keine Überlassungshöchstgrenze mehr, womit auch unbefristete Einsätze möglich sind.

Viel Verantwortung für die Gewerkschaften

Wann die geplante EU-Richtlinie realisiert wird, ist mittlerweile aber ungewiss. Der Ministerrat lehnte den Richtlinienentwurf, insbesondere auf Initiative Großbritanniens, ab - die Briten störte besonders der Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch Deutschland stimmte gegen den Entwurf, was angesichts der deutschen Gesetzeslage eigentlich unverständlich ist. Hintergrund dieses Stimmverhaltens ist ein Kompensationsgeschäft der deutschen mit der britischen Regierung. Die Deutschen wollen eine andere geplante Richtlinie, die so genannte "Übernahmerichtlinie" zu Fall bringen. Die britische Unterstützung hierzu kostete die deutsche Blockade bei der Richtlinie zur Leiharbeit. Die weitere Entwicklung bleibt damit offen.

In Deutschland ist der Modellwechsel bereits vollzogen. Der Gesetzgeber hat das Modell des unbefristeten Leiharbeitsverhältnisses mit Entgeltfortzahlung zugunsten einer Gleichbehandlung bei Arbeitsentgelt und Arbeitsbedingungen aufgegeben. Weil jedoch im Tarifvertrag davon abgewichen werden kann, liegt es insbesondere an den Gewerkschaften, ihr gesetzlich verordnetes Mandat im Sinne eines angemessenen Schutzes für Leiharbeitnehmer wahrzunehmen. Die Organe der betrieblichen Mitbestimmung - insbesondere Betriebs- und Personalräte - sind nun aufgerufen, den neu abgeschlossenen Tarifverträgen praktische Geltung zu verschaffen.

 

Babylonische Sprachverwirrung

Sagt man nun "Leiharbeit" oder "Zeitarbeit"? Beide Begriffe meinen dasselbe - doch sie sind politisch besetzt: Befürworter benutzen meist den positiver klingenden Begriff "Zeitarbeit", Kritiker den negativ konnotierten Begriff "Leiharbeit". Die Gewerkschaften zählten lange zu den Gegnern der Arbeitnehmerüberlassung, doch seit den neuen Tarifverträgen, in denen durchgehend von "Zeitarbeit" die Rede ist, sind die Grenzen weniger trennscharf. Während sich in den Medien der Begriff "Zeitarbeit" durchsetzt, ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) weiter von "Leiharbeitnehmern", "Verleihern" und "Entleihern" die Rede.

 

Eine boomende Branche

Während die Zeitarbeitsbranche Ende 1996 bundesweit erst 149000 Beschäftigte hatte, waren es zum Jahresende 2001 bereits 253000. Mehr als eine halbe Million Beschäftigte durchlaufen jedes Jahr die Zeitarbeit - rund zwei Drittel davon waren vorher arbeitslos. Es wird geschätzt, dass mehr als 200000 Zeitarbeitnehmer jedes Jahr beim Kundeneinsatz "kleben" bleiben - also vom Entleihbetrieb in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Damit ist die Zeitarbeit eine wichtige Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. Die wichtigsten Verbände auf der Arbeitgeberseite sind der Bundesverband Zeitarbeit (BZA), der rund 1500 Mitgliedsbetriebe mit zusammen 100000 Beschäftigten organisiert, sowie der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ), der nach eigenen Angaben Unternehmen mit insgesamt 70000 Beschäftigten vertritt.

Weitere Informationen

"Leiharbeit und befristete Beschäftigung" heißt ein Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung, das einige neuere Forschungsbefunde vorstellt. Die Bedeutung der Leiharbeit als "Stellschraube" der Arbeitsmarktpolitik und als Übergangsarbeitsmarkt wird genauso thematisiert wie die Risiken,
die mit ihr verbunden sind. Gudrun Linne/Berthold Vogel (Hrsg.): Leiharbeit und befristete Beschäftigung. Düsseldorf, Hans-Böckler-Stiftung 2003, 10 Euro. Zu beziehen bei:
 Der Setzkasten GmbH
Telefon: 0211/4080090-0, Fax: 0211/4800090-40,
E-Mail: mail@setzkasten.de

Die Tarifverträge zur Zeitarbeit

www.tarifarchiv.de ("Dokumente" auswählen, dann "Tarifliche Regelungen im Wortlaut").
DGB-Studie zur Leiharbeit in Europa (Stand 2001)
Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Volltext
Stand des Verfahrens und Dokumente zur EU-Richtlinie über Leiharbeit

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