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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Wir sind ein Garant für Stabilität"

Ausgabe 06/2015

Michael Riffel, Geschäftsführer des VW-Konzernbetriebsrats, über das Ende der Ära Piëch im Aufsichtsrat, die Rolle der Arbeitnehmervertretung im Machtkampf bei VW und die Zukunft des Automobilkonzerns. Das Gespräch führten Margarete Hasel und Kay Meiners

Herr Riffel, der VW-Konzern hat turbulente Wochen hinter sich, seit Ferdinand Piëch, der frühere Aufsichtsratsvorsitzende, öffentlich erklärte, er stehe nicht mehr hinter Konzernchef Martin Winterkorn. Wie haben Sie diese Wochen erlebt?

Das war für uns alle eine schwierige Zeit. Wir alle haben unter der Debatte gelitten. In einer solchen Zeit ist es wichtig, schnell Lösungen zu finden, um Unsicherheiten zu vermeiden. Wir haben mit Ferdinand Piëch lange und vertrauensvoll zusammengearbeitet, dort wo es Schnittmengen gab. Letztlich war uns aber wichtig, dass wir hier Stabilität behalten. Bernd Osterloh hat als Betriebsratsvorsitzender versucht, Brücken zu bauen. Letztlich war das dann nicht möglich.

Wann war klar, dass die IG Metall nicht in die Kritik mit einstimmt und sich eher hinter Martin Winterkorn stellt?

Wir haben schon im letzten Jahr erklärt, dass wir es gerne sähen, wenn die Amtszeit von Martin Winterkorn über das Jahr 2016 hinaus verlängert wird. Diese Position hat sich nicht verändert. Volkswagen war mit ihm sehr erfolgreich – deswegen sehen wir keinen Grund zur Kritik. 

Einige Kommentatoren sind der Ansicht, die Arbeitnehmervertretung sei gestärkt aus dem Machtkampf im Konzern hervorgegangen. Stimmt das?

Ich teile diese Einschätzung aus der Presse nicht. Wir sind genauso stark wie vorher. Aber eines stimmt: Wir haben unter Beweis gestellt, dass wir ein Garant für Stabilität im Konzern sind und dass wir auch in einer solchen Situation vor allem die inhaltlichen Themen im Blick behalten. 

Herr Piëch und seine Ehefrau haben ein Machtvakuum hinterlassen, als sie ihre Mandate im Aufsichtsrat niederlegten. Jetzt sitzt mit Berthold Huber ein Gewerkschafter dem Aufsichtsrat vor. Und da soll sich nichts verändert haben?

Jetzt muss ich mal zurückfragen: Wer führt das operative Geschäft? Das ist auch bei Volkswagen der Vorstand, nicht der Aufsichtsrat. Ferdinand Piëch ist seit 2002 nicht mehr Vorstandsvorsitzender. Im Alltag arbeiten wir bei VW aber ganz stark mit dem Vorstand und dem Management zusammen. Nur wenige, große Entscheidungen kommen überhaupt zur Entscheidung in den Aufsichtsrat. 

Martin Winterkorn hat angekündigt, jetzt die Führungsstrukturen verändern zu wollen. Wird das auch Auswirkungen auf die Mitbestimmung haben?

Wir müssen lernen, alte Strukturen abzuschneiden. Mit den Führungsstrukturen im Konzern beschäftigen wir uns im Betriebsrat schon seit dem letzten Sommer. Wir sind diejenigen, die das Thema treiben, und haben uns auch selbst neu aufgestellt. Unterhalb von Bernd Osterloh haben wir unsere Zuständigkeiten für Marke und Konzern getrennt. Denn das Unternehmen ist extrem gewachsen. Wir halten es für richtig, wenn die zwölf Marken und auch die Regionen mehr Freiheiten bekommen als in der Vergangenheit, um besser auf die Märkte­ und die Kundenwünsche reagieren zu können. 

Der Konzern steht wirtschaftlich gut da, aber es gibt strukturelle Risiken, die Herrn Piëch möglicherweise zu seiner Kritik bewogen haben. 

Welche Risiken sollen das sein?

Problem Nummer eins: Auf dem US-Markt, dem wichtigsten der Welt, sieht es düster aus. Hier finden die Autos wenig Kunden – ausgerechnet in dem Land, in dem IT-Unternehmen wie Apple oder Google daran arbeiten, das Autofahren zu revolutionieren.

Wir haben daran Kritik geübt. Bernd Osterloh hat diese auch deutlich öffentlich formuliert. Es stimmt, dass wir Nordamerika strategisch bearbeiten müssen. Doch das passiert auch. Aber in den USA haben wir bislang nur eine einzige Fabrik, in Chattanooga. Uns geht es um eine langfristige Strategie, wie wir in den USA einen ernsthaften Marktanteil erreichen. Und da ist der Vorstand mittlerweile auf einem guten Weg. 

Problem Nummer zwei: Der Konzern verkauft 40 Prozent seiner Fahrzeuge in China. Nach unabhängigen Schätzungen werden hier 60 Prozent des Nettoergebnisses von VW erwirtschaftet. Das ist eine ungeheure Abhängigkeit.

Wir hatten vor China nie Angst, weil die Kapazitäten, die dort aufgebaut wurden, nur den chinesischen Markt versorgen. Das Engagement in China war absolut der richtige Weg. Wir sind jetzt 30 Jahre in China und werden deswegen nicht so stark wie andere als ausländischer Hersteller wahrgenommen. China ist für uns ein zweiter Heimatmarkt. Das ist ein großer Vorteil.

China will über die Joint Ventures mit Ausländern vor allem Know-how erwerben. Die Gefahr liegt doch auf der Hand. 

Welche Alternative hätte VW gehabt? Dann würde das Geschäft in China ohne VW gemacht. Aber dass die Abhängigkeit zugenommen hat, das ist völlig klar. Damit muss man umgehen. Und das funktioniert vor allem mit unseren chinesischen Joint-Venture-Partnern gut.

Die chinesischen Mitarbeiter können keiner freien Gewerkschaft beitreten, nur einer Parteiorganisation, dem Allchinesischen Gewerkschaftsbund. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben früh begonnen, mit dem Allchinesischen Gewerkschaftsbund Kontakt aufzunehmen und die Vertreter der Arbeitnehmer einzubinden. Die Chinesen sind nicht Mitglied in unserem Weltkonzernbetriebsrat. Aber wir haben sie als Gäste eingebunden, damit sie die Diskussionen mitbekommen, die anderswo in der Welt geführt werden. Das war uns sehr wichtig. Unsere chinesischen Partner haben ein großes Interesse an der deutschen Mitbestimmung. Viele unserer Strukturen haben sie bereits übernommen.

Problem Nummer drei: Die Rentabilität der Kernmarke VW gilt als zu niedrig. Langfristig könnte das Zehntausende Arbeitsplätze in Deutschland und Europa gefährden.

Wir haben kein akutes Problem, keine Krise. Die Auftragsbücher in Europa sind voll. Aber man kann die Kuh nur melken, wenn sie Milch gibt – das ist unsere Devise, und deswegen ist das für uns ein Thema. Wir haben nie auf der Rationalisierungsbremse gestanden und Veränderungen immer mitgestaltet. Wenn etwas wirklich nicht mehr rentabel war, wie die Kabelstrangfertigung – und sie wurde geschlossen –, dann haben wir andere Beschäftigungsperspektiven für die Mitarbeiter gefunden. Heute arbeiten wir uns ganz intensiv auch in Kostenstrukturen ein. Dafür wären wir, flapsig gesagt, vor 20 Jahren noch ins Gewerkschaftsgefängnis gekommen.

Warum ist die Produktion im Herzen des Konzerns so wenig rentabel? 

Wie gesagt: Belastungen aus Märkten wie Brasilien, Indien oder Russland treffen sehr stark die Kernmarke VW. Dann gehen wir für andere Marken in Vorleistung bei Forschung und Entwicklung. Und wir verkaufen über unseren Vertrieb auch Fahrzeuge anderer Marken, wo das Ergebnis dann bei den Marken landet. Wenn man das alles einbezieht, ist die Rendite der Kernmarke eigentlich höher, als sie ausgewiesen wird.

Gerade läuft ein großes Sparprogramm. Trägt der Betriebsrat das mit?

Ja, aber wir bei Volkswagen nennen es Effizienzprogramm. Martin Winterkorn hat von Anfang an gesagt: Wir reden nicht über Personalabbau und nicht über den Tarif. Wir haben die Kollegen selbst aufgefordert, uns Vorschläge zu schicken, wo sie Effizienzpotenziale sehen. Sie haben rund 600 Vorschläge gemacht. Denn wir wissen, dass die Aufwendungen für die weitere CO²-Reduktion, das Vorhalten unterschiedlicher Antriebe, die Batterietechnik und die Digitalisierung den Konzern Milliarden kosten werden.

Die Arbeitnehmer sind so stark organisiert, dass hier ganz sicher nicht gespart wird. 5800 Euro Erfolgsprämie im vorigen Jahr für die Mitarbeiter in Deutschland können sich sehen lassen. 

Wir haben nie gesagt, dass wir beim Entgelt sparen wollen. Wir haben eine unbefristete Beschäftigungssicherung. Wer sich bei Volkswagen mit Ideen beteiligt, muss keine Sorge haben, dass er seinen Arbeitsplatz verliert oder weniger verdient. Es gibt eine dauerhafte Entgeltabsicherung.

Das Produkt Auto verändert sich stark. Es wird zum rollenden Computer …

Schauen Sie sich den neuen Passat an, mit einem frei konfigurierbaren Bildschirm, wo früher nur ein paar Instrumente waren, und einem tollen Infotainment-Angebot. Es ist ungewohnt, wenn da vorne im Cockpit beim Einsteigen alles schwarz ist wie ein Tablet-Display. Aber es macht unglaublich Spaß. Das ist Zukunft, die man heute schon kaufen kann. 

Solche Produkte könnten Vorbote einer Zeit sein, wo die coolsten Autos von Google oder Apple gebaut werden. 

Warten wir erst mal, ob die ein Auto auf die Straße kriegen! Wenn ich sehe, was unsere Entwickler für einen Aufwand treiben, um ein paar Gramm CO² einzusparen, dann wird das für Google eine echte Herkulesaufgabe. Solche Firmen brauchen ein ganz anderes Geschäftsmodell. Aber was diese Firmen machen, muss man sich sehr genau ansehen, keine Frage. Es ist gefährlich, wenn man bestimmte technologische Trends verschläft. Dann baut man zwar immer noch Autos, aber, wenn es schlecht läuft, im Auftrag.

Es wird Kämpfe um neue Geschäftsmodelle geben, darum, wer den Hut aufhat, und darum, wie der Gewinn aufgeteilt wird. 

Die Frage ist, ob Google jemals ein Auto bauen will oder nur eine digitale Infrastruktur fürs Autofahren. Volkswagen ist technologisch gut aufgestellt. Wir waren bei Innovationen vielleicht nicht immer die Ersten. Aber wenn wir etwas gemacht haben, haben wir es gut und richtig gemacht. 

ZUR PERSON

Michael Riffel, geboren 1958 in Pforzheim, begann seine VW-Karriere 1975 als Werkzeugmacher. Sein Traum damals: „Ein eigener VW Käfer. Richtig cool war es, beim Autofahren zu rauchen.“ Im Jahr 1986 wurde Riffel Referent beim Gesamtbetriebsrat der Volkswagen AG und ist seit 2010 Geschäftsführer des VW-Gesamtbetriebsrates oder „Generalsekretär“ – eine Bezeichnung, die gewählt wurde, damit die ausländischen Kollegen sich seine Funktion besser vorstellen können. Er betreut in dieser Funktion alle inländischen VW-Werke. Davor war er zusätzlich als Geschäftsführer für den Konzern- und Weltkonzernbetriebsrat tätig, bis die Funktionen auf mehrere Personen verteilt wurden. Riffel gilt als enger Vertrauter von VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der Volkswagen Financial Services AG. Ende des Jahres geht er in den Ruhestand. Privat fährt er einen VW-Bus T6. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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