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Screenshot vom Spiel Fall of porcupine Magazin Mitbestimmung

Interview: „Wir mussten uns nichts aus der Nase ziehen“

Ausgabe 04/2023

Das Videospiel „Fall of Porcupine“ entführt den Spieler in die Arbeitswelt eines Krankenhauses.

Herr Heße, Sie sind der Macher von „Fall of Porcupine“. Sind die Zustände in einer Klinik nicht zu ernst für ein Spiel?

Sebastian Heße: Am Ende machen wir Videospiele, die den Leuten Spaß machen und für Eskapismus sorgen sollen. Aber nur das wäre mir zu wenig. Die Leute, auf die wir abzielen, wollen auch emotional herausgefordert werden. Das heißt jetzt nicht, dass wir mit der Moralkeule ankommen und den Gamern einbläuen, was alles verwerflich ist. Wenn man ganz neutral erzählt, reicht das schon, um die Leute zum Nachdenken zu bringen.

Warum haben Sie sich für diese leicht klamaukige Anmutung entschieden?

Der sehr kindliche, süße Art-Style erleichtert es den Leuten, einen emotionalen Zugang zu bekommen, auch zu einem belastenden Thema, aber ohne dass sie ständig das Gefühl haben, dass man ihnen jetzt die richtig harten Sachen an die Birne knallt. Die Verfremdung durch das Fantasiesetting verschafft den Momenten, die wir vermitteln wollen, also beispielsweise den problematischen Arbeitsbedingungen im Krankenhaus, eine ganz andere Fallhöhe. Die Treffer wirken noch stärker. Also, die Leute sollen Freude an dem Spiel haben, aber sie sollen definitiv auch ins Nachdenken kommen.

Was wussten Sie über die Zustände in Krankenhäusern, als Sie mit der Arbeit an dem Spiel begannen?

Einiges, würde ich sagen. Aber wir wollten die Sachen weitgehend authentisch darstellen. Deshalb haben wir im Vorfeld intensiv recherchiert und eine Unmenge gelesen. Aber vor allem haben wir mit Menschen gesprochen, die tatsächlich im Krankenhaus arbeiten. Wir wollten unbedingt auch die großen Interessengegensätze abbilden, also moralische Interessen auf der einen und finanzielle Interessen auf der anderen Seite. Letzten Endes geht es im Krankenhaus ums Geldverdienen.

Mit wem haben Sie gesprochen?

Es waren 23 sehr intensive Interviews. Das ging von jungen Leuten, die gerade ihre Ausbildung in der Pflege begonnen hatten, bis zum Geschäftsführer einer Klinik. Es waren Ärzte dabei, Reinigungskräfte, Rettungssanitäter, Betriebsräte, Hausmeister und ein Vertreter der Krankenkassen. Das hat mir als Entwickler sehr geholfen, weil ich mir nichts aus der Nase ziehen musste. Die Situationen und Charaktere aus dem Spiel sind nicht erfunden, sie sind real.

Aber Finley, der Täuberich, der als Assistenzarzt im Krankenhaus St. Ursula in der Kleinstadt Porcupine arbeitet, ist doch kein naturgetreues Abbild eines Assistenzarztes, mit dem Sie gesprochen haben?

Natürlich nicht, aber Finley und die anderen Charaktere aus unserem Krankenhaus-Mikrokosmos kommen der Realität sehr nahe. Ich habe viele Nachrichten von Beschäftigten aus dem Krankenhaus erhalten, und da hieß es: „Ich hab einen Kollegen, der ist genau wie Finley.“ Oder: „Genau so ein Gespräch hatte ich letztens während meiner Schicht.“ Bei meinen Krankenhausaufenthalten habe ich selbst so viele Sachen wiedererkannt, die im Spiel auftauchen, das gibt mir das gute Gefühl, dass wir es nicht komplett verkehrt gemacht haben.

Wäre es nicht noch besser gewesen, wenn Sie vier Wochen als Praktikant im Krankenhaus gearbeitet hätten?

Absolut. Das hätte ich gern gemacht, um mich noch besser in das Mindset der Beschäftigten hineinzufühlen. Aber als wir Anfang 2020 in die Recherche gingen, kam die Pandemie, und dann war das nicht mehr möglich. Ich fand das sehr schade.

Die Fragen stellte Andreas Molitor.

  • Sebastian Heße, Game Designer beim Spieleentwickler Critical Rabbit
    Sebastian Heße, Game Designer beim Spieleentwickler Critical Rabbit

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