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Magazin Mitbestimmung

Von JEANNETTE GODDAR: Willkommen im Hörsaal

Ausgabe 03/2017

Stiftung Das Hochschulpolitische Forum thematisierte die Integrationschancen von geflüchteten Studierenden. Es gibt schon gute Projekte – doch es bleibt viel zu tun.

Von JEANNETTE GODDAR

Am Anfang ging alles ganz schnell. Hunderttausende, vielleicht eine Million Flüchtlinge, kamen im Sommer 2015 nach Deutschland; und auch die Universitäten werkelten in überraschendem Tempo an Angeboten. 50 000 Studierwillige, schätzte der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), könnten unter den Zugereisten sein. Und tatsächlich war das Interesse immens, als die Freie Universität Berlin im Herbst 2015 zur ersten Welcome@FUBerlin-Veranstaltung lud.

Krieg riss sie aus dem Studium

Weit über hundert junge Menschen aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und dem Irak hörten, was ihnen angeboten werde: von Sprachkursen und Orientierungsveranstaltungen zu Berlin und Deutschland, einem Buddy-Programm zwischen deutschen und geflüchteten Studierenden. Ihre Fragen waren zahllos, vor allem aber drehten sie sich um eine: Wann können wir ein richtiges Studium aufnehmen, also nicht Schnupper-, Gast- oder Probestudent sein? Viele nämlich hatten bereits studiert. Den jungen Khaled rissen die Kämpfe um seine Heimatstadt Homs aus dem Medizinstudium; Navid hatte in Afghanistan einen Bachelor in Wirtschaft absolviert; Muja sogar bereits einen Master – aber würde der hier anerkannt? Unterstützung, das wurde sehr deutlich, war ebenso gefragt wie flexible Lösungen.

Wer dieses Jahr das Hochschulpolitische Forum der Hans-Böckler-Stiftung besuchte, stellte fest: An vielen Rädern ist gedreht worden. 15 Organisationen hatten in den ersten Märztagen in der Berliner Kalkscheune unter dem Motto „Willkommen im Hörsaal! – Integration und Partizipation Geflüchteter“ ihre Stände aufgebaut. Neben der FU Berlin stellten weitere Universitäten ihre Projekte vor, ebenso Stiftungen und freie Träger, der DAAD und das Deutsche Studentenwerk. Es bot sich ein Mut machendes Bild der Vielfalt – aber auch eins, das deutlich machte: Es gilt an vielen Hebeln anzusetzen. Wer in Deutschland studieren will, braucht Beratung und Anerkennung (der Qualifikation, im Prinzip aber auch der Persönlichkeit), Geld und Deutschkenntnisse – und nicht zuletzt das, was so schön diversitätssensible Umgebung heißt.

Um die bemühen sich große Träger wie das Deutsche Studentenwerk, deren Servicestelle Interkulturelle Kompetenz den Mitarbeitern in den Beratungsstellen der Hochschulen offensteht. Einen kleinteiligeren Weg geht das 2012 gegründete muslimische Förderwerk für Studierende und Promovierende Avicenna. Das bildet in mehrtägigen Seminaren insgesamt 150 Stipendiaten der Begabtenförderungswerke – auch der Böckler-Stiftung – zu Integrationslotsen aus. „Sie lernen, woran es oft mangelt“, erzählt Neval Parlak, „nämlich Grundwissen zu Asyl- oder Sozialrecht oder auch, was es für den Hochschulzugang braucht. Das tragen sie dann in den Regionalgruppen ihrer Förderwerke weiter.“

Eine weitere Stiftung, die START-Stiftung, setzt bereits vor dem Studium an: Schüler, die nicht länger als fünf Jahre im Land sind, können sich um eine zweijährige Förderung bewerben. „Ob am Ende ein Studium steht, ist nicht entscheidend“, erklärt der Mitarbeiter Dirk Preußner, „unser Anliegen ist, die Schüler bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen.“ Für den Fall, dass sie studieren wollen, steht ihnen – neben anderen Studienförderwerken – die Böckler-Aktion Bildung offen, die gezielt Studierende mit voller Bafög-Berechtigung – also auch Geflüchtete – unterstützt. Sarah Winter, die das Bewerbungsverfahren in der HBS betreut, erklärte dem Magazin Mitbestimmung anlässlich des Hochschulpolitischen Forums, es bleibe trotz aller Bewegung „eine Menge zu tun“ – von Sprachkursen über Beratung bis zu Studienfinanzierung und Fragen der Anerkennung mitgebrachter Leistungen.

Ausländische Studenten finden mehr Gehör

„Sprache, Anerkennung, Aufenthalt und Karriereplanung“ sind auch für Mamoune Ouattara die wesentlichen Themen. Die Doktorandin an der Universität Potsdam ist im Bundesverband ausländischer Studierender aktiv – einer von einer Reihe Organisationen, die bereits sehr lange in der Beratung tätig sind. Neu sei allerdings, dass die vor 15 Jahren gegründete Vertretung von Studierenden mit ausländischen Wurzeln als hochschulpolitischer Akteur auch beachtet werde. Ouattara: „Wir finden mehr Gehör.“ Es habe sich, so sagt ein anderer, 2015 eben auch ein „Gelegenheitsfenster“ für Aktive geöffnet.

Und das hat natürlich, wie immer, auch mit Geld zu tun. Immerhin hundert Millionen Euro investiert der DAAD bis 2019 in Projekte für Geflüchtete, konkret vor allem in zwei Programme. Eines richtet sich an die Hochschulleitungen und heißt „Integra – Integration von Flüchtlingen ins Fachstudium“. Das andere fördert unter dem Titel „Welcome – Studierende engagieren sich für Flüchtlinge“ an 150 Hochschulen eine bunte Palette niedrigschwelliger Projekte: vom Sprachcafé über Mentorenprogramme bis zur Refugee Law Clinic, in der Jura-Studierende Geflüchtete auf ihren juristisch komplexen Wegen durch die Behörden begleiten. Auch hier gilt: Nicht jedes Rad ist neu erfunden worden – aber es gibt erstmals Geld.

Etwas richtig Neues gestartet hat allerdings eine Gruppe Berliner Studierender, die 2014 mit der „Kiron University“ an den Start ging; und damit mit der vermutlich weltweit einzigen – allerdings selbsternannten – Universität für Flüchtlinge. Auch Menschen, denen Dokumente fehlen oder deren Eignung noch nicht überprüft ist, so die Idee, sollten ein Studium aufnehmen können. Statt Präsenz-Universität bietet das Bildungs-Start-up die Vermittlung in Onlinekurse: in englischer Sprache bei US-amerikanischen Universitäten oder an einer deutschen Partnerhochschule. Eine der ersten, die sich mit den Kiron-Gründern verbündete, war die Exzellenzuniversität RWTH Aachen. Viele andere blieben skeptisch. Sie glaubten nicht recht an ein unbetreutes Studium in der Ferne oder bemängelten, dass die Eignung der Studierenden außen vor bliebe.

In Berlin stellte Kiron-Mitarbeiter Ronny Röwert eine Reihe Nachbesserungen vor. Statt University heißt das Projekt nun Kiron Open Higher Education. Auch gäbe es Kooperationen mit Bibliotheken und Hochschulen, damit Studierende nicht in ihren Unterkünften am Smartphone lernen müssen, sondern dort „Study Hubs“ nutzen können. Regionale Study Groups ermöglichen ähnlich wie bei Fernuniversitäten Austausch vor Ort. Mit Unterstützung durch das BMBF seien zudem Module entwickelt worden, die Studierenden an die Hand gäben, was sie wann zu lernen haben, um nach zwei Jahren erfolgreich an eine Präsenzuniversität wechseln zu können. Das nämlich ist das Ziel von Kiron: Im dritten Jahr soll das Studium an einer Regeluniversität fortgesetzt werden. Spätestens dort werden dann, wie üblich, auch alle bei Kiron und anderswo erworbenen Scheine und Zeugnisse gründlich geprüft.

Fotos: David Ausserhofer

 

WEITERE INFORMATIONEN

Hannes Schammann; Christin Younso (2016): Studium nach der Flucht? Angebote deutscher Hochschulen für Studieninteressierte mit Fluchterfahrung. Empirische Befunde und Handlungsempfehlungen (pdf). Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim.

Dokumentation des 9. Hochschulpolitischen Forums „Willkommen im Hörsaal! – Integration und Partizipation Geflüchteter“

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