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Magazin Mitbestimmung

Von MICHAELA NAMUTH: Wie Mitbestimmung bei der Integration von Flüchtlingen hilft

Ausgabe 02/2017

Thema Mitbestimmte Unternehmen können dazu beitragen, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren, so das Ergebnis eines Reports der Hans-Böckler-Stiftung. Dies erfordert aber langen Atem, Investitionen, funktionierende regionale Netzwerke und Mut zum Umdenken.

Von MICHAELA NAMUTH

Hasan Allak weiß, was es bedeutet, Auswanderer zu sein. Auch seine Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen – damals, als die Neuankömmlinge noch Gastarbeiter hießen. Er hat Verständnis für die jungen Menschen, die heute aus Syrien oder Afghanistan flüchten. Und auch dafür, dass sie sich nicht immer so verhalten, wie man es von ihnen erwartet. Meist müssen sie Schlepper bezahlen und Geld nach Hause schicken. Deshalb sind sie oft mehr am schnellen Geld als an einer Ausbildung interessiert.

„Damit haben wir anfangs nicht gerechnet“, gesteht Allak, Betriebsratsvorsitzender, Mitglied der IG BCE und Aufsichtsrat bei Continental in Hannover. Aus dieser Erfahrung versuchen die Betriebsräte und die Personalmanager nun zu lernen.

Verzahnung von demokratischer Beteiligung und betrieblicher Bildung

Der Reifenhersteller war eine der ersten Firmen, die Qualifizierungsprogramme für junge Flüchtlinge angeboten haben. Die Geschäftsleitung hat massiv investiert. 50 Azubis sollten in die Lehre gebracht werden. Im September 2016 waren es aber nur acht und dazu 22 in einer Einstiegsqualifizierung. „Am Anfang müssen vor allem Sprache und Kulturkenntnisse vermittelt werden“, sagt Allak. Am wichtigsten sei ihm aber, dass die jungen Leute verstehen, welch hohen Wert eine Ausbildung für sie hat. „Das müssen wir in ihre Köpfe bringen und dazu können wir Betriebsräte über Kurse und die Ausbildungsbegleitung einen direkten Beitrag leisten“, erklärt er.

Conti ist ein gutes Beispiel für ernst gemeinte Integration in deutschen Wirtschaftsunternehmen, finden die Autoren des HBS-Reports „Mitbestimmung als notwendige Bedingung für Integration“. Die Studie zeigt auf, wie wichtig die Verzahnung von demokratischer Beteiligung und betrieblicher Bildung ist, damit sich Einwanderer über Arbeit integrieren können.

„Mitbestimmte Unternehmen haben Einfluss darauf, ob wir es schaffen, uns vom Einwandererland zur sozial integrativen Einwanderungsgesellschaft zu entwickeln“, sagt Jan-Paul Giertz, Mitautor und Leiter des Referats Betriebliches Personal- und Sozialwesen in der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

Best-Practice-Beispiele betrieblicher Integration

Allerdings muss die Mitbestimmung auch ihre Konfliktfähigkeit beweisen, wenn junge Migranten im Betrieb ankommen. In diesem Moment zeigt sich eine Realität, die den Erwartungen der Deutschen oft nicht entspricht. „Wir wollen und brauchen Zuwanderung hochqualifizierter Menschen. […] Faktisch bekommen wir aber, mehr oder weniger ungewollt, Zuwanderung von teils traumatisierten Flüchtlingen mit unklaren Bildungsbiografien. Was tun?“, fragen die Autoren.

Die im Report beschriebenen Best-Practice-Beispiele geben Antworten. Manche Unternehmen wie ThyssenKrupp Steel bilden schon seit Jahren „Kulturmittler“ aus, die jetzt dringend gebraucht werden. Ein wichtiger Aspekt sind natürlich die Unternehmenskultur und Betriebsvereinbarungen – zum Beispiel gegen Rassismus wie bei der Rheinbahn AG. Denn nicht immer werden Integrationsinitiativen von allen Arbeitnehmern begrüßt, vor allem, wenn diese selbst Angst um ihren – oft prekären – Arbeitsplatz haben.

Entscheidenden Einfluss auf den Erfolg von Integration haben nach Meinung der Autoren auch das berufsbezogene Bildungssystem und seine kompetenten Bildungsprofis. Sie haben gelernt, mit Menschen umzugehen, die mehr brauchen als ein Standardprogramm. Als wichtige Voraussetzung für das Gelingen von betrieblicher Integration nennt die Studie auch die regionale Vernetzung von Unternehmen, Arbeitsagenturen und Institutionen, denn keiner der Akteure kann allein etwas bewirken.

Das bestätigt Volker Grigo, Head of Talent Management bei ThyssenKrupp Steel und zuständig für 1300 Azubis in fünf deutschen Standorten. „Bei unseren Integrationsprojekten arbeiten wir eng vernetzt mit Arbeitsämtern und Berufsschulen zusammen“, sagt er. Die jungen Flüchtlinge werden direkt vom Arbeitsamt ans Unternehmen vermittelt und in den Berufsschulen gibt es besondere Flüchtlingsklassen.

Das Azubi-Programm ist Teil des konzerninternen Projekts „we.help“. Dieses wiederum entstand im Rahmen der Initiative „Wir zusammen“, zu der sich deutsche Wirtschaftsunternehmen zusammengeschlossen haben, um Integration durch Arbeits- und Ausbildungsangebote zu fördern.

Wie in fast allen Firmen melden sich auch bei ThyssenKrupp ausschließlich junge Männer auf das Ausbildungsangebot – die meisten aus Syrien und Afghanistan, aber auch einige aus afrikanischen Ländern wie Sierra Leone und Gambia. Vor der Ausbildung absolvieren sie immer ein Praktikum. Denn viele kommen ohne Schulbildung und ohne Zeugnisse. „Da muss man erst sehen, wie es in der Praxis läuft“, so Grigo.

Ähnliche Erfahrungen wie bei Continental und ThyssenKrupp Steel macht man derzeit auch beim Wohnungsanbieter Vivawest in Gelsenkirchen. Die Firma hat vom Mutterkonzern Evonik fünf Praktikanten übernommen und bietet ihnen einen Ausbildungsplatz im Bereich Garten- und Landschaftsbau. Aber nur zwei der jungen Afrikaner hätten das Angebot angenommen, berichtet Sabine Wolter, Personalgeschäftsführerin bei Vivawest. Auch sie beobachtet, dass viele eher gutbezahlte Jobs suchen. „Es geht aber auch um Prestige. Gartenbau hat in ihren Ländern kein hohes Ansehen, eher schon eine Stelle bei einem Sicherheitsdienst“, so Wolter.

Doch auch diese Erfahrungen fließen in das Programm „Start in den Beruf“ ein, das von Vivawest unterstützt wird. Die Initiative wurde von den Sozialpartnern der chemischen Industrie ins Leben gerufen und bietet berufsbezogene Langzeitpraktika mit intensivem Sprachunterricht. „Diejenigen, die Deutsch gelernt haben, sind in der Berufsschule überdurchschnittlich gut“, erklärt die Geschäftsführerin Personal.

Es braucht mutige Initiativen

Insgesamt sind sich alle, die mit Flüchtenden in der Arbeitswelt zu tun haben, einig: Integration ist eine schwierige Angelegenheit, aber ohne sie haben weder wir, noch die neuen Migranten eine Perspektive. Für eine erfolgreiche betriebliche Integrationspolitik, die auch gesellschaftspolitischen Ansprüchen gerecht werden will, muss man klotzen und nicht kleckern, so das Fazit der Autoren der HBS-Studie. Es braucht mutige Initiativen, um „Strukturen zu verändern, Ressourcen umzuverteilen und zusätzliche Ressourcen einzufordern“.

Allerdings sind es bislang nur wenige Migranten und zudem fast ausschließlich Männer, die überhaupt bis zu einem deutschen Betrieb vordringen. Da bleibt auch vor den Fabriktoren noch viel zu tun.

Fotos: Dirk Hoppe, Daniel Pilar, ThyssenKrupp, Dirk Hoppe

 

WEITERE INFORMATIONEN

Jan-Paul Giertz, Manuela Maschke, Nils Werner: Mitbestimmung als notwendige Bedingung für Integration (pdf), MBF-Report Nr. 28, 11/2016

Arbeit bedeutet Integration: 17 Flüchtlinge starten als Auszubildende im Stahlbereich von thyssenkrupp in Duisburg, Dortmund, Bochum, Andernach und dem Siegerland, mit Informationen über „we.help“, dem Integrationsprogramm von thyssenkrupp

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