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Technologieführerschaft: Wettbewerb der Systeme

Ausgabe 05/2022

Im Innovations-Wettrennen mit den USA und Europa hat China deutlich aufgeholt. Die Regierung mobilisiert dabei das gesamte Land. Von Antonia Hmaidi

Im aktuellen Technologiekonflikt zwischen den USA und China sprechen beide Seiten und zunehmend auch die EU von einem Wettbewerb der Gesellschaftsformen. Diese Entwicklung ist durchaus nicht neu. Schon während des Kalten Krieges war der Wettlauf ins All in erster Linie von politischen und nicht von technologischen Motiven getrieben. Die USA und die Sowjetunion wollten damals unter Beweis stellen, dass ihr jeweiliges Gesellschaftssystem überlegen war. Wie stellt sich der heutige Wettbewerb zwischen den USA und China dar, und welche Rolle kann Europa darin einnehmen?

Eine weltweite Technologieführerschaft anzustreben, ist für die chinesische Führung dabei nicht nur ein Ziel als solches, sondern stets auch Teil der Sicherheitsstrategie. Technologie und Gesellschaftsform können im chinesischen Diskurs also nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Fang Xingdong, ein prominenter früherer Internetunternehmer, spricht von Technologie als „Dreh- und Angelpunkt für den Aufstieg von Großmächten“.
Zudem ist Technologie für Chinas Regierung essenziell für den Machterhalt. Die Kontrolle, die Chinas Regierung ausübt, wird oft durch Technologie ausgeübt, von Gesichtserkennungskameras bis zu Gesundheitscodes auf dem Handy, die Menschen vom Reisen abhalten.

Die USA sind in vielen Technologiesektoren, etwa bei Betriebssystemen, nach wie vor führend. Aber sie sind nicht mehr so dominant wie früher. Im globalen Innovationsindex, einem weltweit anerkannten Ranking, ist China unter 132 Staaten zwischen 2013 und 2021 von Platz 35 auf Platz zwölf aufgestiegen. Noch rangieren große EU-Länder wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Schweden vor China; die USA liegen hinter der Schweiz und Schweden auf Rang drei. 

Bei Patentanmeldungen hat China im Jahr 2020 mehr als 41 000 Bewerbungen eingereicht, die EU (inklusive Großbritannien) gut 61 000 und die USA knapp 270 000. Diese Zahlen verschleiern allerdings einige substanzielle Fortschritte Chinas. So ist beispielsweise in wichtigen Sektoren wie der Künstlichen Intelligenz der Abstand zu den USA weit geringer, als die Rankings es nahelegen.

Die im Westen nach wie vor weit verbreitete Vorstellung, dass ein Land mit einem auf Auswendiglernen angelegten Bildungssystem wie China Kreativität unterdrückt und daher nicht innovativ sein kann, wird zusehends entkräftet. Die Möglichkeit der chinesischen Führung, langfristig zu planen und immense finanzielle Mittel direkt für Innovation auszugeben, macht sich eindeutig bemerkbar. Ein Beispiel dafür ist das Raumfahrtprogramm. Es gelang China, durch massive, langfristig angelegte Investitionen innerhalb von 20 Jahren eine eigene Raumstation zu errichten – was ansonsten nur Russland aus eigener Kraft zuwege gebracht hat.

Für neue Technologien hat China Spielwiesen eingerichtet, also lokal begrenzte Gebiete, wo diese ohne direkte Regulierung ausprobiert werden. So können etwa chinesische Städte autonom fahrende Autos auf ihren Straßen zulassen. Dies verringert die Hürde für den Einstieg chinesischer Firmen in neue Marktsegmente und fördert dadurch Innovation. In den USA werden ähnliche Konzepte angewendet. In Deutschland und Europa dagegen besteht eher die Tendenz, schnell zu regulieren.

Dennoch gibt es auch in China innovationshemmende Schattenseiten: Freie Wissenschaft ist kaum möglich; unter Partei- und Staatschef Xi Jinping droht kritischen Wissenschaftlern die Verhaftung. Die Atmosphäre der Angst, die dadurch befeuert wird, wird auch von chinesischen Experten als Problem für Innovation dargestellt. Zudem werden Investitionen vom Staat oft nach politischen und nicht primär nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten getätigt. Dies kann, wie in der Chip-Industrie geschehen, zu massiven Fehlinvestitionen führen. Auch Defizite beim Schutz geistigen Eigentums und bei der Rechtsstaatlichkeit in China hemmen Innovationen. 

China fordert westliche Gesellschaftsformen und vom Westen geschaffene Standards und Regeln zunehmend heraus. Die kommunistische Partei bemüht sich, ihre Standards international durchzusetzen, zum Beispiel im Internet, wo sie versucht, Zensur und Kontrolle als Norm zu etablieren. Chinas Führung tritt zusehends offensiver auf und setzt Technologie für den Macht­erhalt ein.

 Im chinesischen System wird die gesamte Gesellschaft für Technologie, Innovation und nationale Sicherheit kooptiert, und jede Firma und jede Universität kann zu jedem Moment dazu gezwungen werden, Forschungsergebnisse und Innovationen mit dem Militär zu teilen. Auch die Verwendung von Technologie zu Überwachungszwecken ist ein wichtiges Thema.

Wenn wir den aktuellen Technologiekonflikt stärker als das wahrnehmen, was er im Kern ist, nämlich als Konflikt der Gesellschaftsformen, könnte uns das künftig als Kompass dienen bei der Abwägung, in welchen Technologiebereichen die Zusammenarbeit ausgebaut oder eher reduziert werden soll. Und natürlich bei der Entscheidung, ob und welche Technologie nach China verkauft werden soll. 

Antonia Hmaidi ist Analystin beim Mercator Institute for China Studies in Berlin.

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