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Der amerikanische Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen über die Folgen der globalen Finanzkrise, Trumps Wahlerfolg und die Lehren für Europa. Magazin Mitbestimmung

Das Gespräch führte ERIC BONSE: Was US-Ökonom Barry Eichengreen den Europäern rät

Ausgabe 05/2017

Interview Der amerikanische Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen über die Folgen der globalen Finanzkrise, Trumps Wahlerfolg und die Lehren für Europa.

Das Gespräch führte ERIC BONSE

Sie haben sich intensiv mit der Wirtschaftsgeschichte beschäftigt, insbesondere mit den großen Crashs 1929 und 2008. Kann sich die Geschichte wiederholen, stecken wir in einer neuen Großen Depression?

Nein, die Geschichte wiederholt sich nicht, jedenfalls nicht mechanisch. Aber es gibt Parallelen zwischen damals und heute: Die Austeritätspolitik; den Goldstandard, der uns an den Euro erinnert; oder den Aufstieg der politischen Extreme. Dennoch sind dies nicht die 30er Jahre, die Dinge müssen sich im 21. Jahrhundert nicht genauso entwickeln wie damals.

Haben wir aus der Geschichte gelernt?

Ja, wir haben Lehren aus der Geschichte gezogen – im Guten wie im Schlechten. Zu den guten Lehren gehört, dass die Zentralbanken diesmal rechtzeitig auf die Krise reagiert haben. So wurde der ganz große Crash verhindert. Zu den schlechten Seiten zählt, dass das Finanzsystem heute anfälliger ist als damals. Die Schattenbanken, die Hedgefonds – all das wurde zu lange vernachlässigt. So konnte es 2008 zur Finanzkrise kommen.

Europa hat viel länger gebraucht, um sich von dieser Krise zu erholen. Stehen die Amerikaner heute besser da als die Europäer?

Nein. Sonst hätte es wohl kaum den Wahlsieg von Donald Trump gegeben. Wir Amerikaner haben trotz des höheren Wachstums massive Probleme – bei der sozialen Sicherung, im Gesundheitssystem, in den Bildungseinrichtungen. Die US-Regierung hilft den Menschen nicht, sie lässt der Wirtschaft freien Lauf. Das nennen wir dann Fortschritt – oder schöpferische Zerstörung. Europa bremst diese schöpferische Zerstörung und hat deshalb ein schwächeres Wachstum, aber auch weniger Ungleichheit. Auch die politische Verarmung ist nicht so groß.

Wirklich? Bei den Wahlen in Österreich, den Niederlanden und Frankreich haben Populisten große Erfolge eingefahren. Und dann ist da noch der Brexit.

Der Brexit ist ein großes Problem für Großbritannien, nicht für Europa. Ich sehe auf die Briten einigen Ärger zukommen, nicht hingegen auf die Eurozone. Was die Wahlen betrifft: In Europa wird ständig irgendwo gewählt – im Herbst kommt Deutschland, nächstes Jahr ist Italien dran. Die damit verbundene Unsicherheit ist nichts Neues, sie bleibt uns erhalten. Dennoch sind von den letzten Wahlen auch gute Signale ausgegangen. Die politischen Institutionen in Frankreich haben sich bewährt, die Populisten haben nicht gesiegt.

Gleichwohl erleben wir überall im Westen wachsenden Widerstand gegen die Globalisierung und einen Aufstieg der Populisten. Selbst in Deutschland.

Richtig, es gibt diesen Trend. Er äußert sich in der wachsenden Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien. Genährt wird sie durch die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit und Unsicherheit, sowie durch den wohl weit verbreiteten Eindruck, dass Dinge, die schief laufen, nicht beim Namen genannt werden. Doch diese Unzufriedenheit ist kein Schicksal. Ob sie in Europa überwunden werden kann, wird davon abhängen, wie die deutsche und die französische Regierung die Probleme angehen – und ob sie es schaffen, die Menschen zurückzugewinnen, die sich als Verlierer fühlen.

Haben wir dafür ausreichend Ressourcen? Es heißt oft, es sei kein Geld da, wir müssten im Wettbewerb mit China bestehen und könnten es uns nicht leisten, höhere Löhne zu zahlen oder den Sozialstaat auszubauen.

Wie viele Ressourcen wir einsetzen, hängt vom gesellschaftlichen Konsens und vom politischen Willen ab. Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es in der Schweiz zur Wahl gestellt wurde, mögen die Mittel vielleicht nicht reichen. Aber es ist bestimmt genug Geld da für Berufsbildung und Weiterbildung – also das, was man braucht, um die Arbeit produktiver und damit auch wettbewerbsfähig zu machen.

Allerdings können wir die Probleme nicht über Nacht lösen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis das Problem der Ungleichheit entstand. Das wird sich nicht kurzfristig beseitigen lassen. Und hier liegt natürlich auch die Gefahr für die Politik. In den USA sehen Sie, was passiert, wenn die Verlierer gesellschaftlicher Entwicklungen die Geduld verlieren.

Wie beurteilen Sie die Wirtschaftspolitik von Präsident Trump? Hat er überhaupt eine?

Bisher hat er nur ein paar Stichworte – zum Handel, oder zur Steuerpolitik. Aber eine wirtschaftspolitische Doktrin kann ich nicht erkennen. Es gibt wohl nur einen harten Kern: „Was gut für das amerikanische Business ist, das ist gut für Amerika.“

Er reitet aber auch harte Attacken gegen Deutschland.

Ja, aber Trump hat auch eine Lernkurve. Die deutschen Politiker können dem amerikanischen Präsidenten noch einiges beibringen. Kanzlerin Merkel hat damit ja schon begonnen. Außerdem kann die deutsche Wirtschaft mit der US-Wirtschaft sprechen – auf die hört Trump nämlich. Last but not least kann Deutschland seinen Handel diversifizieren und konstruktiv mit der Kritik umgehen – indem es in die Infrastruktur und in die Bildung investiert. Dies würde die Gefahr eines Handelskriegs verringern.

Und was kann Europa tun? Brauchen wir neue Regeln, um neue Krisen zu verhindern und den Wohlstand gerechter zu verteilen?

Reformbedarf sehe ich vor allem für die Eurozone. Vier Reformen sind besonders dringend: Der Euro braucht erstens eine normale Zentralbank, die als „lender of last resort“, als „Kreditgeber der letzten Zuflucht“, gegen Schocks vorgehen kann. Hier hat es schon Fortschritte gegeben. Zweitens muss die Bankenunion vollendet werden, auch hier gibt es einige Fortschritte. Die Verantwortung für die Budgetpolitik muss drittens wieder an die Nationalstaaten zurückgegeben werden. Das kann nicht in Brüssel geregelt werden. Man hat ja schon einiges ausprobiert – das Europäische Semester, den Sixpack, den Twopack usw. Nichts hat funktioniert. Und viertens müssen, last but not least, die Schuldenberge abgebaut werden. Das kann, etwa in Griechenland, auch bedeuten, nicht tragfähige Schulden umzustrukturieren.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble würde Ihnen in vielen Punkten widersprechen. Glauben Sie, dass er seine Meinung nach der Bundestagswahl ändert?

Es bleibt abzuwarten, ob Deutschland einem solchen Reformpaket zustimmen wird, wie ich es gerade skizziert habe. Deutschland würde dabei auf jeden Fall zwei wichtige Dinge gewinnen: Erstens könnte es die Restzweifel am Überleben des Euro beseitigen – all der Lärm um Grexit und Frexit wäre vorbei. Und zweitens müsste sich Deutschland nicht länger in die griechische Budgetpolitik einmischen. Ich denke, das würde den deutschen Wählern und Politikern durchaus gefallen.

Beim Europäischen Gespräch in Brüssel haben Sie sich sehr positiv über die deutsche Gewerkschaftsbewegung und die Mitbestimmung geäußert. Aus dem Mund eines amerikanischen Wirtschaftsprofessors hört man das selten.

Mag sein. Aber ich denke, dass die Gewerkschaften ihren Anteil am deutschen Wirtschaftswunder haben. Deutschland ist überaus erfolgreich, und das liegt auch an der Mitbestimmung. Um die Früchte des Wachstums gerecht zu verteilen, brauchen sie einige Voraussetzungen, und die Mitbestimmung gehört für mich dazu. Sie ist nicht ideal, wenn sie nur die Profite maximieren wollen. Aber sie hilft, die Zusammenarbeit zwischen Arbeit und Kapital zu verstetigen.

EUROPÄISCHES GESPRÄCH IN BRÜSSEL

Am Rande der Veranstaltung sprachen wir mit dem amerikanischen Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen. Er ist Professor of Economics and Political Sciences an der University of California, Berkeley, und gilt als einer der renommiertesten Analytiker der Weltwirtschaft. Eichengreen war unter anderem für den Internationalen Währungsfonds in Washington tätig. Sein Buch über die großen Crashs 1929 und 2008 gilt als Standardwerk über die Wirtschaftskrisen, die die Welt erschüttert haben.

Fotos: Horst Wagner

 

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