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Magazin Mitbestimmung

: Von wegen Klebeeffekt

Ausgabe 01+02/2011

REKORDVERDÄCHTIG Seit fast 13 Jahren arbeitet die Maschinenbautechnikerin Astrid Schloss als "Fremdkraft" beim Flugzeughersteller Airbus. Von Stefan Scheytt

Stefan Scheytt ist Journalist bei Tübingen./Foto: Peter Frischmuth

Klebeeffekt? Bei diesem Wort atmet Astrid Schloss erst mal tief durch, dann legt sich ein ironisches Lächeln um ihren Mund, und sie wiederholt das Wort so vorsichtig, als sei es ein russischer Zungenbrecher: "Klebeeffekt? Nach fast 13 Jahren in Leiharbeit kann man ja wohl kaum von Klebeeffekt reden."

Fast 13 lange Jahre arbeitete Astrid Schloss, 41, als Maschinenbautechnikerin in der Klimatechnik für Kurz- und Langstreckenmodelle vom A318 bis hinauf zum Superflieger A380 bei Airbus in Hamburg. Fast 13 Jahre lang ging sie im Werk Finkenwerder ein und aus, lernte viele Dutzend fest angestellte Airbus-Kollegen kennen, sah Führungskräfte kommen und gehen. Aber so richtig gehörte sie trotzdem nie dazu. Denn während dieser fast 13 Jahre stand sie auf der Gehaltsliste des Ingenieurdienstleisters Aerotec Engineering und war damit nur "Fremdkraft" bei Airbus.

Es ist nicht so, dass Astrid Schloss nicht gern beim Flugzeugbauer gearbeitet hat. "Das Klima war super, Airbus war meine Familie", sagt Schloss. Dennoch habe sie sich immer wieder als Mitarbeiterin zweiter oder gar dritter Klasse gefühlt. Das hatte viel damit zu tun, dass sie während der fast 13 Jahre etwa ein Dutzend Mal ungefragt ihren Status wechseln musste, je nachdem welche Variante Airbus opportun erschien: Mal war Astrid Schloss von Aerotec im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an Airbus verliehen, mal arbeitete sie als Dienstleisterin im Rahmen eines Werkvertrags zwischen Airbus und seinem "Key-Supplier" Aerotec.

BOOMBRANCHE LEIHARBEIT IN ZAHLEN (pdf zum Download)

Aerotec ist keine klassische Leiharbeitsfirma. "Wir sind kein Bodyleaser, man kann die Arbeit unserer Ingenieure nicht mit der Leiharbeit in irgendwelchen Hühnerschlachthöfen vergleichen", sagt Aerotec-Sprecher Christoph Clauss. Als kleines Ingenieurbüro 1996 gestartet, entwickelte sich das Unternehmen zu einem Dienstleister mit 360 hoch qualifizierten Mitarbeitern. Doch die Firma sei immer noch etwa 100-mal kleiner als Airbus, das für rund 95 Prozent der Geschäftsbeziehungen stehe, sagt Clauss: "Wenn man mit einem so großen Kunden zu tun hat, ist man ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wenn Airbus hustet, haben wir Lungenentzündung." In anderen Worten: Aerotec ist so abhängig von Airbus wie jeder kleine Autozulieferer von BMW und Co.; das staatsnahe Unternehmen Airbus, das auch Milliardenaufträge aus Steuergeldern erhält, nutzt dieses immense Machtgefälle aus und diktiert seinen Zulieferern weitgehend die Bedingungen - zulasten von Arbeitnehmern wie Astrid Schloss.

Verlangt Airbus nach Leiharbeitern, liefert der Ingenieurdienstleister Aerotec - der auch eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat - Leiharbeiter. Für das Ingenieurbüro ist das die unattraktivere Variante, weil es den verliehenen Mitarbeitern gemäß der Equal-Pay-Vereinbarung ab dem vierten Monat denselben Bruttostundenlohn zahlen muss. Davon träumen zwar viele Leiharbeiter in Deutschland, dennoch werden auch Leiharbeiter bei Airbus nicht identisch behandelt wie Festangestellte. "Prämien gab es während dieser Zeit nie", sagt Astrid Schloss, "und auch viele Sonderaktionen wie verbilligtes Fliegen waren für uns Fremdkräfte nicht zugänglich." Nicht zu reden vom Anspruch auf Betriebsrente, den Astrid Schloss als regulär Beschäftigte bei Airbus nach zwölf Jahren erworben hätte, als Leiharbeiterin aber leer ausging.

ARBEITNEHMER IM WERKPAKET BILLIGER_ Passt es Airbus wiederum besser ins Konzept, mit seinen ungleichen Geschäftspartnern Werkverträge (auch Workpackage genannt) abzuschließen, werden aus den Leiharbeitern mit Equal-Pay-Anspruch vom einen auf den anderen Tag - und obwohl sie weiterhin (in angemieteten Räumen) im Airbus-Werk arbeiten - wieder Fremdkräfte, für die die schlechteren Bedingungen des Dienstleisters gelten. "Wir können uns Gehälter, wie Airbus sie zahlt, nicht leisten", sagt Aerotec-Sprecher Clauss.

So verdiente Astrid Schloss etwa im letzten halben Jahr bei Airbus im Rahmen eines "Werkpakets" plötzlich gut 800 Euro weniger als zuvor, als sie im Status der Arbeitnehmerüberlassung bei Airbus arbeitete. Dies obwohl sich an ihrer Arbeitsleistung oder Qualifikation kein Deut geändert hatte. Der fliegende Wechsel "führte zu der grotesken Situation, dass ich als Leiharbeiterin mit 35 Wochenstunden wesentlich mehr verdiente als für 38 Wochenstunden im Rahmen eines Werkvertrags", sagt sie.

Als Fremdkraft könne man keine langfristige Lebensplanung machen und sich zum Beispiel Eigentum kaufen, "weil man nie genau weiß, wo man im nächsten Monat sein wird", kritisiert Schloss. In den ersten Jahren bei Airbus signalisierte Astrid Schloss ihrem Entleiher durchaus, dass sie Interesse an einer Festanstellung habe. "Natürlich wollte ich auf die ,andere Seite‘, und von dort gab es immer wieder Beteuerungen, dass ich bei der nächsten Gelegenheit an der Reihe wäre." Doch die Gelegenheit kam nie, der "Klebeeffekt", den die Befürworter von Leiharbeit gerne ins Feld führen, stellte sich in 13 Jahren nicht ein. Nicht einmal, als für die Entwicklung des A380 "neue Mitarbeiter aus den letzten Löchern gekratzt wurden", wie Schloss es erlebt hat. "Ich war so blöd, mich jahrelang einlullen zu lassen", bedauert Schloss heute - und ist damit keineswegs allein. Bei Airbus gibt es Dutzende, wenn nicht Hunderte von Leiharbeitern, die seit sechs Jahren und länger auf den "Klebeeffekt" hoffen.

 "Das zeigt", sagt IG-Metaller und Airbus-Betriebsrat Rainer Brodersen, "dass es nie darum ging, Auftragsspitzen abzufangen. Sondern darum, ein jahrelanges Auftrags-Hochplateau von Kollegen in prekären Arbeitsverhältnissen abarbeiten zu lassen." Von den rund 17 000 Beschäftigten bei Airbus in Hamburg sind etwa 5000 Leiharbeitskräfte, in einigen Bereichen stellen sie bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter. Mit der Personalabteilung "philosophiere" der Betriebsrat derzeit darüber, Leiharbeitnehmer, die schon sechs Jahre und länger für Airbus arbeiten, als reguläre Angestellte zu übernehmen. "Das liegt aber letztlich in der Entscheidungsfreiheit des Unternehmens", sagt Brodersen mit stark zweifelndem Unterton.

Astrid Schloss gehört nun aber nicht mehr zu dieser Verhandlungsmasse: Ende 2010 hat sie Aerotec Engineering verlassen und wechselte zum Airbus-Lieferanten Diehl Aircabin. An dessen Hamburger Standort arbeitet sie nun auch als Systemintegratorin, und es ist fast wie früher: In "ihrem" Bürogebäude sitzt Airbus auf derselben Etage, an Astrid Schloss' erstem Arbeitstag sagten Airbus-Kollegen auf dem Flur "Hallo Astrid! Schön, dass du wieder da bist." Diesmal freilich mit einem unbefristeten Anstellungsvertrag. 

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