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Magazin Mitbestimmung

Wissensmanagement: Unser Werkzeugkasten

Ausgabe 10/2014

„Betriebsräte handeln oft reaktiv“, sagt Diplompädagogin Britta 
Bertermann. Das geht auch anders. Sie hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung Instrumente für innovative Betriebsratsarbeit zusammengetragen: Hier die Tipps in vier Kategorien. Von Lukas Grasberger

WER SIND WIR? ERFASSEN WAS IST

KLAUSURTAGUNGEN dienen dazu, den Stand der eigenen Arbeit inhaltlich zu analysieren. Aus dem „Ist“ können Interessenvertreter sich dann zum „Soll“ vorarbeiten: Ziele festlegen, vielleicht eine Vision entwickeln. Eine solche Analyse könnte etwa zu dem Fazit kommen, dass die Betriebsratsarbeit von den Beschäftigten im Betrieb nicht wertgeschätzt – oder gar nicht mehr wahrgenommen werde, so die Pädagogin von der TU Dortmund. „Ein Ziel könnte dann sein, die Arbeit nach außen besser darzustellen. Oder Kontakte zur Belegschaft neu zu knüpfen.“

PERSONELLE ANALYSEN gehören ebenfalls zur Erfassung der Ausgangslage: Welche Mitglieder im Betriebsrat werden wann aus Altersgründen ausscheiden? Wo drohen hier Wissenslücken? „Gerade bei Betriebsräten kleinerer und mittlerer Unternehmen läuft die Personalplanung oft sehr beiläufig und unsystematisch“, weiß Britta Bertermann. Ziel hier: eine möglichst bunte Mischung aus erfahrenen und neuen Mitgliedern, Männern und Frauen, Mitarbeitern unterschiedlicher Bereiche (Gewerbe, Verwaltung) und aus verschiedenen Stufen der Unternehmenshierarchie. 

ANFORDERUNGSPROFILE schreiben fest, welches Wissen und Können notwendig ist, um die jeweilige Aufgabe im Gremium bestmöglich zu erfüllen. Diese können die Betriebsratsmitglieder gemeinsam verfassen. In einem nächsten Schritt schätzen sie zum einen selbst ein, inwieweit sie die erwünschte Kompetenz für ihr Amt bereits mitbringen; zusätzlich können sie andere Mitglieder um eine Einschätzung dazu bitten. Doch Vorsicht: Dies birgt Konfliktpotenzial, eine Fremdeinschätzung sollte nur eingeholt werden, wenn es eine solide Vertrauensbasis im Gremium gibt. 

ENTWICKLUNGSGESPRÄCHE machen deutlich, wo sich Arbeitnehmervertreter selber in Zukunft sehen – und welches Engagement und welche Expertise sie einbringen können. Bei diesen Gesprächen wird mit dem Gremium abgeglichen, ob sie künftig frei- oder nicht-freigestellt, als Ersatz- oder Vertrauenskörpermitglied wirken wollen. Die Teilnahmebereitschaft kann auch vor einer Tagung mit einem Fragebogen erhoben und dann dort besprochen werden.

WAS KÖNNEN WIR? WISSEN IDENTIFIZIEREN UND OFFENLEGEN 

Oft geht in der täglichen Arbeit unter, über wie viel angesammeltes Wissen ein Betriebsrat eigentlich verfügt. Werkzeuge, um dieses Reservoir an Know-how zu heben, könnten DOKUMENTATIONEN, PRAXISBEISPIELE und ANLEITUNGEN sein. 

WISSENSKARTEN können öffentlich machen, wer der richtige Ansprechpartner für welche Fragen und Probleme ist. Diese sollten an einer zentralen Stelle im Betrieb angeschlagen werden. „In vielen Unternehmen gibt es nicht einmal Aushänge, auf denen Fotos, Personenprofile, Arbeitsschwerpunkte und Kontaktdaten der Gremienmitglieder veröffentlicht werden“, kritisiert Britta Bertermann. Auch Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Betriebsratsarbeit können kurz, prägnant und für alle Belegschaftsmitglieder zugänglich zusammengefasst werden. 

MIKROARTIKEL können Faktenwissen und Erfahrungswissen wirksam weitergeben. Auf maximal einer Seite werden eine bestimmte Problemlage, die mögliche Lösung und die dabei gewonnenen Einsichten zusammengefasst. 

BEISPIELE GUTER PRAXIS (Best Practice) sind ein Instrument, um Lösungen schriftlich festhalten und weiterzuverbreiten. „Gerade jüngere, nachrückende Mitglieder können mit dem bloßen Wortlaut einer Betriebsvereinbarung oft nichts anfangen“, sagt Fachfrau Bertermann. „Für eine gute Umsetzung ist es auch wichtig, den Anlass, die Geschichte und den Prozess, also den Kontext, in dem eine Betriebsvereinbarung entstanden ist, zu dokumentieren.“

NACHBESPRECHUNGEN, in denen Betriebsräte sich über ein Projekt austauschen, erfassen und sichern Erfahrungen. „In einem Projektsteckbrief können Erfahrungen, die man etwa bei einer Fusion gemacht hat, festgehalten werden: Was hat funktioniert? Was waren Erfolgsfaktoren? Was ist schiefgelaufen? Das gesammelte Erfahrungs- und Faktenwissen kann sowohl in Papierform – als allgemein zugänglicher Ordner oder Aushang  – zur Verfügung gestellt werden als auch in digitaler Form. 

WISSENSDATENBANKEN können die Auffindbarkeit von Fakten- und Erfahrungswissen erleichtern, wenn es strukturiert und standardisiert abgelegt wird. Empfehlenswert ist die Nutzung von Content-Management-Systemen (CMS) oder auch Wikis. „Doch Vorsicht: Die Einrichtung und Pflege einer solchen Datenbank ist zeitaufwendig“, sagt Expertin Bertermann. Gleichzeitig gilt: Je übersichtlicher und aktueller die Datenbank, desto intensiver wird sie genutzt. Abgespeichert werden sollten die Informationen auf einem Dokumentenserver oder im Intranet, damit keine Unbefugten Zugriff auf die Daten haben.

WELCHE KOMPETENZEN KÖNNEN WIR ERWERBEN? WISSEN BESCHAFFEN

Der Betriebsrat sollte eine zielgerichtete und strukturierte Weiterbildung entwickeln. Je nach Rolle und individuellem Bedarf des jeweiligen Betriebsrats kann ein BILDUNGSPLAN entwickelt werden. Wer welche Schulungen im Haus oder extern besucht, wird in einem solchen Plan festgelegt. Die Infos daraus zu Themen wie Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz oder psychischen Belastungen sollten im Intranet oder mündlich weitergegeben werden. 

WEITERBILDUNGSKASKADEN sollten damit angestrebt werden. Dabei ermittelt das Betriebsratsmitglied, das auf Schulung geht, vorher: Welche Themen sind für andere Personen interessant? Es nimmt die Fragen mit ins Seminar und bespricht sie dort. Danach vermittelt der Schulungsteilnehmer sein neu erworbenes Wissen via Kurzreferat an das Gremium oder ausgewählte Personen – und stellt auch seine Seminarunterlagen zur Verfügung. „Das geht im Alltag oft unter“, hat die Wissenschaftlerin Bertermann beobachtet. 

ROLLENWECHSEL fördern das gegenseitige Verständnis. Beispielsweise kann nicht nur der Betriebsratsvorsitzende, sondern auch einmal ein anderes Gremienmitglied eine Sitzung leiten. Nachwuchsmitglieder können „gebrieft“ werden und allein an einer Arbeitsgruppe teilnehmen. Durch solche Praktiken, so Bertermann, baue sich Schritt für Schritt ein Stellvertretersystem auf. Verwandt mit dem Rollenwechsel sind das TANDEM- oder das PATEN- UND MENTORINGSYSTEM. Bei diesen betrieblichen Patenschaften lernen Ältere und Jüngere durch gemeinsames Handeln voneinander. Durch einen Wissenstransfer können schon vor dem Ausscheiden älterer Mitglieder „Parallelfunktionen“ geschaffen – und sogenanntes „implizites Wissen“ übertragen werden, Intuition oder Bauchgefühl, etwa das Gespür für Verhandlungstechniken: Wie weit kann ich gehen? Wie groß ist mein Verhandlungsspielraum? 

PERSÖNLICHE KONTAKTE können ebenfalls den Erwerb von Wissen erleichtern und unterstützen. Ein Austausch von Betriebs- und Personalräten aus der Region kann gemeinsame Probleme sichtbar machen. Ein gemeinsames Vorgehen kann entwickelt werden – oder man stärkt sich zumindest gegenseitig den Rücken. Kontakte innerhalb und außerhalb der Branche, zur lokalen Politik und auch zur Presse erweitern zudem die Perspektive. Sinnvoll ist es dabei, wenn ein Betriebsratsmitglied ausscheidet, dessen Beziehungsnetzwerk zu erfassen und nützliche Kontakte an die anderen Mitglieder weiterzuvermitteln.

WIE LASSEN SICH NEUE IDEEN SCHAFFEN? WISSEN ENTWICKELN

SSENSGEMEINSCHAFTEN und NETZWERKE innerhalb des Betriebs können helfen, neue Ideen zu entwickeln. Dies funktioniert umso besser, je mehr sich der Betriebsrat als Ganzes, als Team versteht. Auch Untergruppen können neues Wissen entwickeln. „Hilfreich ist, ein motiviertes Kernteam oder einen engagierten Verantwortlichen zu haben, der die Gruppe als Motor antreibt“, sagt Britta Bertermann. Voraussetzung dafür, dass solche Wissensgemeinschaften funktionieren, ist die Fokussierung auf ein spezielles Thema.

IDEENMANAGEMENT dient dazu, die Kreativität zu fördern. Je motivierter das einzelne Mitglied, desto durchsetzungsstärker ist letztlich das Betriebsratsgremium. Um das Engagement zu fördern, ist es ratsam, eine Beteiligungskultur zu schaffen: Statt Platzhirschen und Patriarchen, die alles an sich ziehen, sollten alle Mitglieder zu einer aktiven Beteiligung ermutigt und von der Betriebsratsspitze unterstützt werden, betont Bertermann.

Vorangetrieben und unterstützt werden kann die Entwicklung von neuem Wissen durch Kreativitätstechniken: MIND MAPPING heißt eine Methode, die man bei Sitzungen anwenden kann. Zunächst wird eine Kernidee im Zentrum eines Blattes festgehalten. Dann sammelt die Gruppe in einem Brainstorming frei assoziierend alle Aspekte und Ideen, die mit einer Aufgabe zusammenhängen. Größere Themen werden auf Hauptästen, die vom Zentrum ausgehen, notiert. Die Hauptäste können in feinere Verzweigungen mit Nebenaspekten aufgefächert werden. Es entsteht so eine „Landkarte der Gedanken und Ideen“, die die Zusammenhänge eines Problems transparent macht. Die Methode beruht auf Erkenntnissen der Gehirnforschung: Durch die Kombination von sprachlichem und bildlichem Denken werden beide Gehirnhälften aktiviert. 


Mit Hilfe von so genannten DENKSTÜHLEN spielen die Betriebsräte neue Ideen durch, indem sie bewusst unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Drei Stühle werden dabei in einem Raum platziert: der Stuhl des „Träumers“, des „Kritikers“ und des „Realisten“. Die Sitzungsteilnehmer nehmen dann auf einem der Stühle Platz – und damit auch eine Rolle ein. Sie argumentieren dann aus dem jeweiligen Blickwinkel, etwa des Träumers. Während der Ideenfindung wird mehrfach die Rolle gewechselt, sodass ein Thema aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet werden kann. Diese Methode wird so lange angewandt, bis ausreichend gute, neue Ideen auf dem Tisch liegen. Für unerfahrene Teams empfiehlt es sich, einen Moderator einzusetzen.

MEHR INFORMATIONEN

Broschüre: Werkzeugkasten für einen erfolgreichen Wissensaustausch in Betriebs- und Personalräten: Eine Handreichung für die Praxis

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