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Magazin Mitbestimmung

Regulierung: Strenge Regeln gegen Lohndumping

Ausgabe 05/2014

Die Bundesregierung will den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen eindämmen. Wie das gehen kann, haben zwei renommierte Arbeitsrechtler jetzt in einem Gutachten für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeführt – mit detaillierten Vorschlägen. Die Debatte ist eröffnet. Von Joachim F. Tornau

Es ist nur eine knappe Seite des gewaltigen Koalitionsvertrags. Doch verglichen mit manch anderer Passage des schwarz-roten Opus lesen sich die Vorsätze der Großen Koalition zum Thema Leiharbeit und Werkverträge geradezu konkret: Arbeitnehmerüberlassung soll – sofern Tarifverträge nichts anderes vorsehen – maximal für 18 Monate erlaubt sein. Spätestens nach neun Monaten sollen Leiharbeiter den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft bekommen. „Die Koalition“, heißt es, „will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren.“

Noch kategorischer klingt die Ansage von Union und SPD in puncto Werkverträge: „Rechtswidrige Vertragskonstruktionen (…) zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden.“ Weswegen es unter anderem effektivere Kontrollen brauche sowie die Informations- und Unterrichtungsrechte von Betriebsräten sicherzustellen seien. Ein großer Wurf mag anders aussehen. Aber dafür soll es schnell gehen: Noch in diesem Jahr, so ist zu hören, will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) das Thema auf die Agenda setzen.

NUR BEFRISTETER BEDARF ZULÄSSIG

Die Diskussion aber hat bereits jetzt begonnen. Im Auftrag des – ebenfalls SPD-geführten – nordrhein-westfälischen Arbeitsministeriums haben die Arbeitsrechtler Christiane Brors (Universität Oldenburg) und Peter Schüren (Universität Münster) in einem Gutachten dargelegt, wie der Missbrauch beim Einsatz von Fremdpersonal wirksam eingedämmt werden könnte. Und die detaillierten Vorschläge des Expertenduos gehen nicht nur, was den Grad ihrer Ausarbeitung angeht, weit über die Versprechen im Koalitionsvertrag hinaus.

Wie Schwarz-Rot wollen auch die beiden Arbeitsrechtler die Obergrenze für Arbeitnehmerüberlassung auf 18 Monate festsetzen. Mit einem entscheidenden Unterschied: Bei ihnen ist es nicht der Einsatz eines Leiharbeiters, der spätestens nach anderthalb Jahren enden muss, sondern der Bedarf des entleihenden Unternehmens. Denn Zeitarbeit soll grundsätzlich nur erlaubt sein, wenn ein kurzzeitig bestehender Job zu besetzen ist. „Die Aneinanderreihung von ‚vorübergehenden‘ Überlassungen auf einem Dauerarbeitsplatz des Entleihers ist folglich missbräuchlich und verboten“, schreiben die Juristen. Ausnahmen wollen sie lediglich erlauben, wenn sich für eine befristet zu besetzende Stelle kein geeigneter Bewerber auf dem Arbeitsmarkt findet.

In jedem Fall aber soll gelten: Sobald ein Arbeitsplatz ein halbes Jahr lang von einem Leiharbeitnehmer – oder auch von mehreren nacheinander – besetzt wurde, muss der Entleiher nachweisen, dass die Überlassung wirklich nur vorübergehend erfolgt. Im Vertrag zwischen Leiharbeitsfirma und Einsatz­unternehmen soll deshalb auch der Grund für den befristeten Bedarf festgehalten werden. „Nicht vorübergehende Leiharbeit ist illegal“, fasst Peter Schüren diese Vorschläge zusammen. Fliege ein solcher Missbrauch auf, werde ein Leiharbeitnehmer automatisch zum Beschäftigten des Entleihers. Und zwar unbefristet und rückwirkend.

Auch bei der Bezahlung von Leiharbeitern denken die Arbeitsrechtler weiter als die Berliner Koalition. Wenn Leiharbeitnehmer, wie so oft, nur für eine einzige Überlassung eingestellt und danach gleich wieder entlassen werden, sollen sie von Anfang an Anspruch auf „Equal Pay“ haben. „Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammpersonal wird für befristete Leiharbeitsverhältnisse zwingend“, sagt Schüren. Nur wer unbefristet in Diensten einer Zeitarbeitsfirma steht, soll überhaupt noch nach dem zumeist schlechteren Leiharbeitstarif bezahlt werden können – und bekommt dann, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, nach neunmonatiger Überlassung den gleichen Lohn wie ein Stammbeschäftigter.

BEWEISLASTUMKEHR BEI WERKVERTRÄGEN

Den vielleicht einschneidendsten Vorschlag machen Schüren und Brors jedoch bei Werkverträgen: Sie wollen in strittigen Fällen die Beweislast umkehren. Bei Verdacht auf Scheinwerkverträge soll nicht mehr der Beschäftigte nachweisen müssen, dass er in Wahrheit wie ein Arbeitnehmer des Auftragsunternehmens eingesetzt worden ist. Sondern der Auftraggeber muss beweisen, dass die Werkvertragsfirma tatsächlich eigenständig und eigenverantwortlich tätig war. „Auf die Weise erhöht sich die Kontrolldichte enorm“, heißt es in dem Gutachten. „Denn jeder entlassene Arbeitnehmer wird so zum Risiko für den, der das ‚Inhouse-Outsourcing‘ missbräuchlich nutzt.“ Es drohen dann nicht nur Lohnnachzahlungen, sondern auch empfindliche Strafen wegen der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Was im Koalitionsvertrag mit dem Verweis auf Informations- und Unterrichtungsrechte von Betriebsräten noch recht vage gehalten ist, machen die Arbeitsrechtler im letzten Teil ihres Gutachtens konkret: „Jeder Fremdpersonaleinsatz im Betrieb, der länger als einen Monat dauert, muss über den Tisch des Betriebsrats“, erklärt Schüren. „Und wenn der Betriebsrat nicht informiert wurde, ist der Einsatz verboten.“ 

„FAIRE BALANCE“

Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD), der sein Bundesland zum „Land der fairen Arbeit“ machen will und bereits im vergangenen Jahr eine Bundesratsinitiative gegen den Missbrauch von Werkverträgen gestartet hat, lobt das Gutachten als „faire Balance zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen“. Leiharbeit und Werkverträge blieben als Flexibilisierungsinstrument erhalten, könnten aber nicht länger als Mittel zum Lohndumping missbraucht werden. „NRW setzt damit die Messlatte hoch für alle folgenden Diskussionen“, meint der Minister.

Nicht ganz so euphorisch fällt die Bewertung bei den Gewerkschaften aus. „Das Gutachten enthält gute und richtige Ansätze, greift aber an einigen Stellen zu kurz“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Erweiterte Informationsrechte für Betriebsräte und Beweislastumkehr bei Werkverträgen seien Ideen, die von der Politik aufgegriffen werden sollten. Was fehle, seien dagegen klare Kriterien zur Abgrenzung von echten und missbräuchlichen Werkverträgen. Und auch dass die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten unter bestimmten Voraussetzungen überschritten werden darf, sehe man kritisch. „Es besteht die Gefahr, dass wieder einmal eine Ausnahmeregelung als Schlupfloch für dauerhafte Überlassung missbraucht wird“, fürchtet sie.

Auf weit schärfere Kritik aber stieß das Gutachten auf Arbeitgeberseite. Die Vorschläge würden „unverhältnismäßig stark die unternehmerische Freiheit von Zeitarbeitsunternehmen und ihren Kundenbetrieben“ beschränken, erklärte der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP). Und Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), warf den Gutachtern vor: „Ihre Vorschläge zur Änderung des Arbeitnehmerüber­lassungsgesetzes würden das Ende der Zeitarbeit bedeuten, wie wir sie kennen.“ Ob das nun stimmt oder nicht: Da man Leiharbeit jahrelang vor allem als Billiglohnbranche kannte, gäbe es wohl Schlimmeres.

Mehr Informationen

Das Gutachten „Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern“ von Christiane Brors und Peter Schüren als Download.

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