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Magazin Mitbestimmung

Das Gespräch führte KAY MEINERS: SPIEGEL-Autor Thomas Schulz erklärt das Silicon Valley

Ausgabe 11/2016

Interview Thomas Schulz („Was Google wirklich will“) über die Firmen, die unsere Zukunft machen, die Besonderheiten der Plattformökonomie und die Rolle der deutschen Industrie.

Das Gespräch führte KAY MEINERS

Herr Schulz, Sie sind SPIEGEL-Korrespondent im Silicon Valley und sprechen am 22. November auf der Engineering- und IT-Tagung, die die IG Metall und die Hans-Böckler-Stiftung bei Bosch veranstalten. Was ist das heiße Thema an der amerikanischen Westküste?

Die Unternehmen reden davon, die Entwicklung künstlicher Intelligenz voranzutreiben. Das ist ein schillernder Begriff.  Viele Leute assoziieren ihn mit einem bewusst denkenden Roboter. Aber das ist nicht gemeint. Es geht um kluge Software, die Kundenwünsche genau kennt. Und um Maschinen, die selbstständig lernen können.

Mit welchen Folgen?

Wir bedienen Maschinen nicht nur, sondern arbeiten mit ihnen zusammen.  Und manchmal ersetzen sie uns auch. Kluge Software wird Routinearbeiten, die heute eine Sekretärin oder eine Kassiererin erledigt, besser beherrschen als ein Mensch. Diese Entwicklungen sind nicht ganz neu, aber sie beschleunigen sich derzeit enorm. Plattformen wie Amazon, Facebook oder Airbnb werden immer schlauer, ebenso wie die Maschinen in einer Werkshalle.

Warum sind die großen Plattformen so mächtig geworden?

Eine Plattform lebt vom Network-Effekt – also davon, dass möglichst viele Leute mitmachen.  Sie wird von vornherein sehr groß gedacht. Wer so etwas plant, will Millionen Menschen auf der ganzen Welt erreichen.

Eine Plattform funktioniert am besten, wenn sie ein Monopol hat?

Das muss nicht sein. Aber eine starke Marktposition hilft. Ein soziales Netzwerk, in dem Sie viele Ihrer Freunde finden, ist effizienter, als wenn Sie die Freunde aus zehn Netzwerken zusammensuchen müssen.

Woher kommt der missionarische Eifer der IT-Industrie, das Think Big?

Die Amerikaner  sagen: Wir haben die Frontier-Erfahrung durch die Eroberung des Westens. Wir sind auf den Mond geflogen. Und jetzt entwickeln wir die Internet-Ökonomie. Unsere Plattformen ermöglichen auch Dritten, gute Geschäfte zu machen. Dazu kommt das traditionell linksliberale, progressive Denken der Westküste.

Welche Faktoren prägen dieses Denken?

An der Westküste, in Kalifornien, ist die Hippie-Bewegung entstanden. Eine Bewegung, die die Wohlstandsideale der Mittelschicht in Frage stellte. Dieses Erbe, diese Alternativkultur, prägt noch heute die Firmenkulturen im Silicon Valley.

Was haben freie Liebe, Drogen und die Friedensbewegung mit der Firmenkultur von Google zu tun?

Die Erfahrung, dass man ausgetretene Pfade verlassen kann, Dinge ganz anders machen kann, lebt dort weiter. Ebenso gibt es einen ungebrochenen Fortschrittsoptimismus. Das ist ein Erbe der 60er Jahre. Das Internet bedeutet Wissen. Und Wissen bedeutet Fortschritt und Freiheit. Das Silicon Valley, das ist Hippie-Kultur plus Kapitalismus.

Eine heiße Mischung, jedenfalls aus deutscher Sicht. Funktioniert das immer wie gewünscht?

Es geht darum, die Welt besser zu machen und noch etwas dabei zu verdienen. Es funktioniert am Ende nicht immer. Aber diese Mischung sorgt für eine starke philosophische und politische Unterströmung bei der Art, wie man Geschäfte macht.

Ich kenne viele Leute, die glauben, dass sie die Welt eher besser machen, wenn sie im Tante-Emma-Laden einkaufen als bei Amazon. Sie sehen in den großen Plattformen vor allem Jobkiller.

Das ist mir zu schwarz-weiß gedacht. Man darf nicht nur die Zerstörung sehen, sondern muss auch die Chancen sehen. Es gehen immer alte Arbeitsplätze verloren, wenn eine neue Technik sich ausbreitet. Über die Arbeitsplatzbilanz streiten sich die Ökonomen unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung. Niemand kennt die Antwort.

Was beobachten Sie denn in Kalifornien, von wo Sie berichten?

In Kalifornien sind  im Großraum um San Francisco, der Bay Area, in der viele der neuen Unternehmen ihre Zentralen haben, innerhalb von fünf Jahren rund 400.000 neue Arbeitsplätze entstanden.

In den USA insgesamt sinkt die Erwerbsquote. Und die Jobs, die bei Plattform-Unternehmen wie eBay oder Amazon entstanden sind, fallen nicht durch sonderlich gute Arbeitsbedingungen auf. Es gibt ein dichtes Kontrollnetz, viele Kennzahlen, wenig Freiheiten, schwache Gewerkschaften.

Das ist das amerikanische System. Aber das kann man nicht den neuen Unternehmen anlasten. Ganz ehrlich:  Ich kenne keine  Industrie, die mehr  darüber nachdenkt, wie man Menschen bei der Arbeit zufriedener machen kann, wie die Firmen im Silicon Valley. Alle haben wissenschaftliche Teams, die die Arbeitsbedingungen verbessern sollen.

An wen kann man sich wenden, wenn man sich als Arbeitnehmer in der Google-Zentrale schlecht behandelt fühlt?

Nicht an die Gewerkschaft. Die ist in der  gesamten IT-Branche schwach oder gar nicht präsent. Probleme werden häufig durch unabhängige Mediatoren geklärt. Das ist natürlich ein ganz anderer Weg, als wenn man sich an eine Interessenvertretung wendet.

Die Internet-Ökonomie hält ihre kreativen Köpfe bei Laune. Aber was ist mit den Leuten draußen, die mit deren Innovationen klarkommen müssen? Wer hilft dem Uber-Fahrer, der seinen Platz in der Warteliste nur verbessern kann, wenn er mehr von seinem Lohn an die Plattform abgibt als sein Konkurrent?

Uber ist in gewisser Weise ein Sonderfall. Die Personen hinter der Firma und das Geschäftsmodell findet man auch im Silicon Valley  nicht sehr sympathisch. Wenn es sehr starken öffentlichen Druck von Lobbyorganisationen gibt, kann das dazu führen, dass Geschäftsmodelle korrigiert werden.

Wo sehen die führenden IT-Firmen der USA die gefährlichste  Konkurrenz? Im eigenen Land, in Asien oder in Europa?

Es gibt kein generelles Feindbild. Stattdessen wird der jeweilige Markt, das jeweilige Produkt genau analysiert. Wer an einem selbstfahrenden Auto arbeitet, der weiß, dass die deutsche Autoindustrie ein ernst zu nehmender Player ist.  Und generell wird  China sehr ernst genommen, weil der Markt riesig ist und dort sehr schnell neue Firmen entstehen.

Sie haben in einem SPIEGEL-Artikel dazu aufgefordert, Deutschland solle den „US-Konzernen Paroli bieten mit einem eigenen Entwurf der digitalen Zukunft“  Wie kann das geschehen?

Das war als ein Appell gemeint, das unternehmerische Denken zu stärken, dass in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Das muss sich wieder ändern, mit allem was dazu gehört:  Abbau bürokratischer Hürden, Bereitstellung von Risikokapital, eine Fehlerkultur. Die traditionellen   deutschen Unternehmen versuchen zwar, sich neue Technologien anzueignen. Aber es entstehen kaum neue Unternehmen.

Sie warnen davor, die US-Konzerne könnten irgendwann einfach die halbe deutsche Industrie aufkaufen.

Die Firmen, von denen wir reden, verfügen über riesige Geldreserven. Google hat vor einigen Jahren den Konzern Motorola erworben und nach nur zwei Jahren an Lenovo weitergereicht. Was Google wollte, waren bestimmte Patente. Der Rest hat das Unternehmen nicht interessiert.

Ihr Kollege Sascha Lobo hat in seiner Kolumne Volkswagen und Google miteinander verglichen. Volkswagen ist in seinen Augen hierarchisch und langsam. Man träumt davon, das was man hat, etwas besser zu machen, nicht von den großen Moonshots. Ist das typisch deutsch?

Ja, aber es ändert sich. In den letzten Jahren habe ich mir tatsächlich große Sorgen gemacht. Ich habe in vielen Unternehmen eine sehr arrogante Haltung erlebt, Leute, die sagen: Was wir im Maschinenbau seit 100 Jahren machen, machen wir gut. Was interessiert uns der Digitalkram? Jetzt reisen viele Manager in die  USA, um dort neue strategische Ansätze kennenzulernen. Die Deutschen sind ja nicht dumm.

Was lernen die deutschen Manager in den USA?

Sie lernen, dass die neue Währung Schnelligkeit heißt, Schnelligkeit ist in der Welt der neuen Technik wichtiger als Perfektion. Das bedeutet, das geistige Eigentum schnell zu entwickeln, schnell zu schützen und schnell am Markt zu sein.  Man muss große Würfe versuchen. Manchmal klappt es.

Und die Gewerkschaften?

Ich denke, dass sie stark und flexibel genug sind, den Umbau in ihrem Sinne mitzugestalten. Es entstehen so viele Fragen, die nur befriedigend gelöst werden, wenn die Gewerkschaften sich beteiligen. Die Neuerungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, ist keine Frage der Arbeitgeber alleine, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Es muss gemeinsam entschieden werden, welchen Weg man gehen will und welchen nicht.

Wird die Digitalisierung auch den armen, abgehängten Ländern helfen? Oder bleibt alles wie es ist, und die Kluft zwischen den Industrienationen und den anderen Ländern wird eher größer?

Es gibt keinen Automatismus in die eine oder andere Richtung.  Historisch ist es immer so gewesen, dass der Fortschritt am Ende alle erreicht. Aber nicht mit der gleichen Geschwindigkeit und Intensität. Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass das Internet Wissen und Freiheit auch in Regionen bringt, in denen das bisher nicht möglich war.

Fotos: Thomas Schulz/Sarah Girner, picture alliance/AP Photo

WEITERE INFORMATIONEN

Zur Person

Thomas Schulz, geboren 1973, schreibt seit 2001 für den SPIEGEL und liefert dem wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazin als Korrespondent regelmäßig Berichte über die High-Tec-Unternehmen aus dem Silicon Valley.  Über sein Buch „Was Google wirklich will“ schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Nach der Lektüre versteht der Leser Google und die Google-Strategie besser“.  Deutschland attestiert Schulz eine „Anti-Google-Hysterie“, der er mit differenzierter Berichterstattung begegnen will.

8. Engineering- und IT-Tagung

Am 22. November spricht Thomas Schulz auf der gemeinsamen Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung und der IG Metall „Agil, mobil, innovativ – Wo bleibt der Raum für Gute Arbeit?“ über das Thema „Silicon Valley und die Logik der Plattformökonomie“.

Die Tagung kann auf Twitter unter dem Hashtag #8enginit verfolgt werden.

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