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Magazin Mitbestimmung

: SPEZIAL zum Arbeitnehmerdatenschutz

Ausgabe 03/2010

Illegale Überwachung am Arbeitsplatz ist kein Kavaliersdelikt. Arbeitsrechtler fordern klare Verbote. Von Joachim F. Tornau

JOACHIM F. TORNAU ist Journalist in Kassel

Am Anfang war Lidl. Als vor zwei Jahren bekannt wurde, dass der Lebensmittel-Discounter seine Beschäftigten systematisch bespitzelte, war die Empörung groß. Doch seitdem sind so viele weitere Skandale enthüllt worden, dass Datenschutzverstöße in deutschen Unternehmen kaum noch jemanden überraschen. Die Telekom durchsuchte die Telefondaten von Managern und Aufsichtsräten nach Kontakten zu Journalisten. Die Deutsche Bahn spionierte mit einer gigantischen Rasterfahndung fast 180000 Mitarbeiter aus und rechtfertigte das als Korruptionsbekämpfung. Daimler und der Norddeutsche Rundfunk verlangten Blutproben von Stellenbewerbern. Und das Land Berlin fragte nach intimsten Details wie psychischen Krankheiten, Alkoholkonsum oder der Einnahme von Verhütungsmitteln.

Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. "Was wir erleben, ist nur die Spitze des Eisbergs", meint Professor Peter Wedde, Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt und Experte für Arbeitnehmerdatenschutz. "Und anders als bei der Klimaerwärmung wird dieser Eisberg nicht kleiner, sondern größer." In vielen Vorstandsetagen, folgert ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske, fehle offenbar jegliches Unrechtsbewusstsein - oder werde gar "in eigener Machtvollkommenheit" Recht zu setzen versucht. "Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, das Beschäftigtendaten den gleichen Schutz zubilligt wie empfindlichen Geschäfts- und Finanzdaten und das Rechtssicherheit schafft, ist zwingend erforderlich", sagte Frank Bsirske auf einer ver.di-Konferenz Ende November.

FEHLENDE RECHTSSICHERHEIT_ Die Forderung wird von Gewerkschaften und Datenschützern schon seit Langem erhoben. Zwar dürfen Unternehmen auch heute schon nicht alles, und die Überwachungsskandale der jüngsten Vergangenheit waren auch nach geltendem Recht illegal. Doch was am Arbeitsplatz erlaubt ist und was nicht, speist sich bislang im Wesentlichen aus den allgemeinen Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und aus höchstrichterlicher Rechtsprechung, die der Entwicklung immer nur hinterherhinken kann. Auch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, hat darum bereits ein eigenes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz angemahnt: Selbst für einfache, alltägliche Fragen des betrieblichen Datenschutzes wie Videoüberwachung oder Mithören von Telefongesprächen gebe es derzeit keine eindeutige Rechtsgrundlage. "Die meisten Arbeitgeber wollen sich rechtstreu verhalten", erklärte Schmidt. "Derzeit fehlt ihnen dafür die Rechtssicherheit."

Die einzige spezifische Regelung für den Datenschutz im Betrieb wurde - als Reaktion auf die zahlreichen Datenaffären - am 1. September 2009 ins BDSG aufgenommen. Der neue Paragraf 32 gestattet die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten nur, soweit dies für das Beschäftigungsverhältnis notwendig ist. Experten lassen freilich kaum ein gutes Haar an dem Spätwerk der schwarz-roten Koalition. "Das ist grauenhaft vom Duktus, grauenhaft vom Inhalt", sagt Edgar Wagner, Datenschutzbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz. Und Professor Wedde rügt, dass sich der Paragraf überwiegend einer Ausnahme widmet - nämlich der Erlaubnis, die Daten auch beim Verdacht einer Straftat am Arbeitsplatz auswerten zu können.

"Es braucht klare Verbote", verlangt der Frankfurter Wissenschaftler. Also etwa: keine heimlichen Kontrollen, keine Gesundheitstests, keine Auswertung der elektronischen Gesundheitskarte durch den Arbeitgeber - auch nicht mit Einwilligung der Betroffenen. "Im Bewerbungsverfahren haben Arbeitnehmer sonst keine Chance, das zu verweigern." Am liebsten würde er den Arbeitgebern sogar das Googeln von Bewerbern untersagen. "Oder es müssen den abgewiesenen Interessenten hinterher die gegoogelten Internetseiten mitgeteilt werden - dann kriegen wir Verfahren wegen Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ohne Ende."

DIE POLITIK ZAUDERT_ Ob und wann diese Forderungen umgesetzt werden könnten, ist offen. Die Politik hat sich beim Arbeitnehmerdatenschutz bislang nicht mit Ruhm bekleckert. Schon die rot-grüne Bundesregierung hatte 2002, in ihrem zweiten Koalitionsvertrag, die Schaffung eines eigenständigen Gesetzes versprochen. Doch geschehen ist nichts. Erst im vergangenen Jahr legte der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) einen Entwurf vor - allerdings derart kurz vor der Bundestagswahl, dass eine Verabschiedung von vornherein aussichtslos war. "Kontraproduktiv" sei es, findet Datenschützer Wagner, ein wichtiges Thema so zu verbrennen. Denn nach der Wahl scheiterte die SPD-Initiative, wie nicht anders zu erwarten, an der neuen schwarz-gelben Mehrheit.

Der Scholz-Entwurf für ein Datenschutzgesetz sah sowohl eine Stärkung der individuellen Arbeitnehmerrechte als auch eine Ausweitung der Mitbestimmung bei der innerbetrieblichen Datenverarbeitung vor. Er enthielt Vorschriften unter anderem zur Videoüberwachung, zur Kontrolle von E-Mails und Surfverhalten, zum Fragerecht des Arbeitgebers im Einstellungsverfahren. Er sollte dafür sorgen, dass Beschäftigte ihrer Überwachung nicht mehr scheinbar "freiwillig" zustimmen können. Und er drohte mit Bußgeldern und Strafen bei Verstößen gegen die Datenschutzbestimmungen.

Von einem "weitreichenden und begrüßenswerten Vorschlag" sprach der DGB - auch wenn manche Forderungen der Gewerkschaft, etwa nach einem Verbandsklagerecht oder einem grundsätzlichen Beweisverwertungsverbot für unrechtmäßig erhobene Daten, von der SPD nicht aufgegriffen wurden. Was die neue, schwarz-gelbe Bundesregierung zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat, kritisiert der DGB dagegen als "sehr vage". Das einzig Konkrete: Gesundheitsdaten und außerdienstliches Verhalten der Beschäftigten sollen, sofern sie für den Job nicht relevant sind, für den Arbeitgeber künftig grundsätzlich tabu sein. Obwohl die FDP vor der Wahl noch für ein eigenes Gesetz plädiert hatte, soll jetzt bloß ein zusätzliches Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz ausreichen.

Die Federführung liegt damit nicht mehr beim Arbeits-, sondern beim Innenressort. Bis zum Sommer, so ein Sprecher von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gegenüber dem Magazin Mitbestimmung, soll ein Entwurf vorliegen und vom Kabinett verabschiedet werden. Ziel des Gesetzentwurfs sei es, "praxisgerechte Regelungen für Bewerber und Arbeitnehmer zu schaffen. Es sollen nur noch solche Daten verarbeitet werden dürfen, die für das Arbeitsverhältnis erforderlich sind". Außerdem, so der Ministeriumssprecher, "sollen Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz wirksam vor Bespitzelungen geschützt und gleichzeitig den Arbeitgebern verlässliche Grundlagen für den Kampf gegen Korruption an die Hand gegeben werden."


Mehr Informationen

Gläserne Mitarbeiter - Die Informationstechnologie überrascht mit immer neuen Möglichkeiten der Überwachung - auch am Arbeitsplatz. (pdf zum Download)

Fazit der Betriebs- und Personalrätekonferenz: Eine neue Offensive: Datenschutz für Beschäftigte von ver.di Bildung + Beratung am 25. und 26.11.2009
in Würzburg: www.verdi-bub.de/konferenzen

DGB-Broschüre zum Arbeitnehmerdatenschutz (August 2009). Bestellung und Download unter
www.dgb.de/themen/arbeitsrecht/informationen/ arbeitnehmerdatenschutz. Auf dieser Internetseite finden sich auch Erläuterungen und Gerichtsentscheidungen zum Arbeitnehmerdatenschutz.

Eine Sammlung von Links zu Presseberichten über die Datenaffären der vergangenen Jahre bietet http://www.datenschutzskandale.de/

RFID-Basisinformation. Was Betriebsräte über den Einsatz von Funkchips wissen sollten. Broschüre, hrsg. von ver.di und ver.di-innotec GmbH, Januar 2007.
Download unter www.verdi-innotec.de/upload/RFID_Baisinformation.pdf

Illustration: Jörg Volz/SIGNUM communication

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