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Screenshot der Augmented-Reality-App SmartSantander Magazin Mitbestimmung

Von REINER WANDLER: SmartSantander: mehr Schein als Sein?

Ausgabe 03/2018

Thema 20 000 Sensoren senden Daten, Santander gilt als Vorzeigeprojekt einer vernetzten City. Ist der Hype berechtigt? Nicht wirklich, sagt DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell, der die Verwaltung der nordspanischen Stadt besuchte. Weil jegliche Beteiligung von Bürgern und Arbeitnehmern fehlt.

Von REINER WANDLER

Gema Igual Ortiz kommt ins Schwärmen, wenn sie über das Konzept Smart City – die intelligente Stadt – redet. „Unsere Stadt ist effektiver geworden und wir sparen Ressourcen“, erklärt die Bürgermeisterin der konservativen Partei Partido Popular (PP) aus Santander. 2011 begann der Umbau der Hauptstadt der Region Kantabrien an der nordwestspanischen Atlantikküste zur einer der ersten intelligenten Städte weltweit. SmartSantander heißt das Projekt.

Insgesamt wurden 20 000 Sensoren in der gesamten Stadt installiert. Sie befinden sich an Recyclingtonnen und melden, wann diese geleert werden müssen. Oder an Parkplätzen, um es für Autofahrer einfacher zu machen, einen freien Platz zu finden. Der Grad der Luftverschmutzung, Temperatur, Feuchtigkeit und Lärm werden von den Sensoren an Gebäuden und auf Bussen und Taxen gemessen.

All diese Informationen stehen in Echtzeit zur Verfügung. So fahren Müllautos nur noch die vollen Tonnen an. Der Verkehr kann umgeleitet werden, wenn die Luftverschmutzung dies erforderlich macht. Die Straßenbeleuchtung wird gedämpft, wenn niemand unterwegs ist. Die Parks werden nur automatisch bewässert, wenn keine Niederschläge in Sicht sind.

SmartSantander lockt Investoren an, die Daten gibt es kostenlos

Diese Technik lockt Besucher aus aller Welt. Es kommen Vertreter aus den Rathäusern anderer Städte, Wissenschaftler und Journalisten sowie zivilgesellschaftliche Organisationen. Auch eine Gruppe des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) rund um Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell war Ende Februar vor Ort. Er möchte schauen, „ob das Projekt SmartSantander als Vorbild für deutsche Städte dienen kann“.

Bürgermeisterin Igual Ortiz legt sich mächtig ins Zeug. Sie spricht beim Treffen im Rathaus von Kosteneinsparungen bei der Straßenbeleuchtung und bei der Müllabfuhr, von mehr Transparenz und Bürgernähe, davon, wie die Bürger über eine Smartphone-App allerlei Störfälle und Reparaturbedarfe im öffentlichen Raum melden und wie sie die Maßnahmen, die die Stadtverwaltung ergreift, verfolgen können.

Dann kommt sie auf die Wirtschaft zu sprechen, auf die Investitionen, die SmartSantander angelockt hat. 23 Projekte laufen derzeit unter dem Schirm der intelligenten Stadt, 200 internationale Partner sind mit dabei. „Die gesammelten Daten sind der Rohstoff für Unternehmen“, sagt Igual Ortiz. Sie seien öffentlich zugänglich. Unzählige Privatunternehmen nutzen sie, entwickeln etwa Apps für Handys und Computer. „All das hat ein Umfeld für Menschen mit Unternehmergeist geschaffen“, erklärt Igual Ortiz. „Wir haben einen Technologiepark mit 30 Firmen, in denen 1300 Menschen arbeiten.“

Wie hoch die Kosten für all das waren, will oder kann Bürgermeisterin Ortiz nicht sagen. SmartSantander sei dafür „zu komplex“. Nur so viel: Eine Million Euro flössen jährlich aus dem städtischen Haushalt. Ein Vielfaches komme von Partnern aus der Wirtschaft, unter ihnen die spanische Telefónica, und von der EU.

INTELLIGENT SPAREN

Beim Konzept SmartSantander geht es der Stadtverwaltung nicht zuletzt um die Einsparung von Ressourcen und Geld. Das bisher beste Beispiel ist die Straßenbeleuchtung. Sie wird bei vielen Straßen gedämpft, sobald keine Fahrzeuge oder keine Personen unterwegs sind. Außerdem wurden die Laternen komplett auf LED-Technik umgestellt. Kosten: 11 Millionen Euro, die sich rechnen sollen. Denn künftig soll die Stromrechnung um 80 Prozent sinken und die Wartungskosten sollen ebenfalls um 35 Prozent zurückgehen.

Auch bei den öffentlichen Parkanlagen wird gespart. Dank der Sensoren laufen die Sprinkleranlagen nur noch, wenn keine Niederschläge in Sicht sind.

Die Müllwirtschaft, mit 17 Millionen Euro im Jahr die teuerste Dienstleistung, wird ebenfalls rationalisiert. Sobald alles funktioniert, werden nur noch die Recyclingmülltonnen angefahren, die per Sensor melden, dass sie geleert werden müssen.

Und auch der Privatverbraucher soll von SmartSantander profitieren. In den ersten 1000 Wohnungen haben die Wasserwerke bereits intelligente Wasseruhren eingebaut. Per App lässt sich der Wasserverbrauch verfolgen. In den kommenden Jahren sollen alle Familien einen solchen Zähler bekommen.

Stefan Körzell verfolgt die Entwicklung in Santander schon länger. Die Presse in Europa, aber auch in Übersee ist voll lobender Worte für die spanische Hafenstadt. „Wir wollten uns ein eigenes Bild machen“, sagt der DGBler, der im Bundesvorstand für Industrie- und Dienstleistungspolitik zuständig ist. Ihn interessieren dabei vor allem „die Auswirkungen auf die Beschäftigten im städtischen Dienst, aber auch auf die Bevölkerung“ – inklusive Datenschutz. Und so stehen auf Körzells Besuchsliste Gespräche mit den Entwicklern von SmartSantander, den Vertretern der spanischen Gewerkschaft UGT, städtischen Arbeitnehmern sowie Oppositionspolitikern im Stadtrat von Santander.

Die Technik funktioniert vielerorts nicht

Luis Fernando Riva ist an seinem Arbeitsplatz mit SmartSantander konfrontiert. Der 39-Jährige fährt einen der sechs Recycling-Lkws, die mit der neuen Technik ausgestattet sind: Neben dem Joystick und den Bildschirmen, auf denen er den Greifarm verfolgt, der die Container mit dem Verpackungsmüll anhebt und in den Laderaum kippt, ist seit einiger Zeit ein Tablet installiert. „Hier kann ich sehen, welcher Container geleert werden muss und welcher nicht“, sagt er. Zumindest bis vor sechs Monaten war das so. „Dann funktionierte es plötzlich nicht mehr. Keiner hat uns erklärt, warum und wann das System wieder einsatzbereit sein wird“, bedauert Riva.

Bequem sei das schon gewesen und es habe die Arbeit optimiert. „Aber Technologie spart immer auch Arbeitsplätze ein“, weiß er aus eigener Erfahrung. Vor der Einführung der Lkws mit automatischem Greifarm fuhren sie zu dritt, einer als Fahrer und zwei leerten die Container. Nun sitzt er alleine im Fahrzeug. „Mit Hilfe der Sensoren können sie sicher noch weitere Arbeitsplätze streichen“, befürchtet Riva.

Javier Cea, 52, und ebenfalls Müllkutscher und Betriebsrat der UGT bei der Müllabfuhr bestätigt dies. Seit Jahren werden Arbeitnehmer – etwa weil sie in Rente gehen – nicht mehr ersetzt. „2010 arbeiteten 326 bei der Müllabfuhr, 2021 sollen es nur noch 254 sein“, sagt Cea. „Der Betriebsrat wurde in die Planung von SmartSantander nicht mit einbezogen“, beklagt sich der Gewerkschafter. So weiß auch er nicht zu sagen, wann das System mit den Sensoren und den Tablets wieder funktionieren wird.

ZWEITSTÄRKSTE GEWERKSCHAFT

Die UGT, Unión General de Trabajadores (Generalunion der Arbeiter), ist eine der beiden großen Gewerkschaften Spaniens. Sie wurde 1888 als Gewerkschaft der sozialistischen Bewegung Spaniens gegründet. Die ersten lokalen Gruppen entstanden in Barcelona und dann im Baskenland. Später weitete sich ihr Einflussbereich auch auf Madrid aus. Die UGT spielte eine wichtige Rolle im republikanischen Spanien der 1930er Jahre.

Unter Diktator Francisco Franco wurde die UGT verboten. 1977, zwei Jahre nach seinem Tod, wurde sie wieder zugelassen. Die UGT steht wie eh und je der sozialdemokratischen Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) nahe und ist hinter der im antifrankistischen Widerstand entstandenen CCOO, den Comisiones Obreras (Arbeiterkommissionen), heute die zweitstärkste Gewerkschaft in Spanien.

Viel von dem, was versprochen wurde, ist bis heute nicht Realität. „Aus unserer Sicht ist SmartSantander völlig inexistent“, berichtet der Gewerkschafter der Polizei, Arturo Pontu. „Die Verkehrslenkung funktioniert nicht. Alles läuft wie jeher über unsere eigene Leitzentrale, unabhängig von den in Echtzeit gesammelten Daten.“

Nur die Linienbusse profitieren seit einigen Monaten von der neuen Technik, weil sie dadurch an den Ampeln immer Vorfahrt haben. „Bei uns ist SmartSantander am weitesten fortgeschritten“, sagt deshalb José Luis Alvárez, Angestellter beim öffentlichen Nahverkehr. Die Busse verfügen über freies WLAN, kommunizieren mit den Ampelanlagen, die Flotte lässt sich in Echtzeit verfolgen, jeder kann abrufen, wann der nächste Bus kommt. Nicht dank der offiziellen App für die Busse. „Die funktioniert nicht. Das einzige, das wirklich taugt, stammt von einem privaten Entwickler“, weiß Alvárez.

Die Busse sind alle mit Sensoren bestückt, die Daten zu Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lärm und Luftverschmutzung sammeln. „Das macht uns Sorgen“, sagt Alvárez. „Keiner kann uns sagen, ob und wie sich die ganzen elektromagnetischen Wellen auf die Gesundheit der Fahrer auswirken.“

Alles ist privatisiert, niemand wurde wirklich einbezogen

Für Luis Clemente, den Generalsekretär der Gewerkschaft für öffentliche Dienstleistungen in der UGT in Kantabrien, sind alle diese Klagen Teil des gleichen Problems. „Die Beschäftigten und die Gewerkschaften wurden bei der Entwicklung nicht einbezogen“, sagt er. Hinzu kommt, dass alle öffentlichen Dienstleistungen längst privatisiert sind. SmartSantander und das Rathaus stecken bei den Ausschreibungen die Bedingungen ab, die Umsetzung liegt bei den einzelnen Unternehmen. Clemente beobachtet, „dass die Beschäftigten und die Bürger sich immer weniger mit SmartSantander identifizieren.“

Pedro Casares sieht das ähnlich. Der 34-Jährige ist der Chef der Fraktion der sozialdemokratischen PSOE im Stadtrat von Santander und damit Oppositionsführer. „Was das Rathaus rchtig gut gemacht hat, ist das Marketing. SmartSantander verkauft sich gut“, sagt er. Mehr Positives fällt ihm nicht ein. „Auch der Stadtrat wurde kaum mit einbezogen, als es um die Planung ging“, beklagt er sich. Das Bürgermeisteramt habe weitgehend im Alleingang gehandelt. Von Anfang an war SmartSantander Chefsache, erst von Bürgermeister Iñigo de la Serna, und als dieser nach Madrid ins Infrastrukturministerium ging, von seiner Nachfolgerin Igual Ortiz.

Das Projekt sei alles andere als bürgernah. „Anfänglich gab es einige Informationsveranstaltungen und das war‘s auch schon“, sagt Stadtrat Casares. Viele der Genehmigungen, Steuerverfahren oder Anträge könnten nicht online getätigt werden. Da seien andere Städte weiter, ohne Smart City zu sein.

Beim Ortstermin an der Universität Kantabrien spricht Stefan Körzell diese Beschwerden der Beschäftigten an. Doch der Entwickler der Smart City, Professor Luis Muñoz, winkt ab. Er sei Wissenschaftler, und damit für die Technik und die Möglichkeiten, die diese bietet, zuständig. Die Umsetzung liege bei der Politik.

Muñoz ist stolz auf das Erreichte. 16 Apps würden derzeit entwickelt oder funktionierten schon. Zwei wurden den Bürgern von Anfang an zur Verfügung gestellt: Die erste heißt „SmartSantanderRA“, sie liefert eine „Augmented Reality“-Erfahrung, eine „erweiterte Realität“. Wird das Smartphone mit der aufgerufenen App in die Umgebung gehalten, scannt die Anwendung Tags, die überall an Geschäften, Sehenswürdigkeiten und Stränden angebracht sind – und bietet so allerlei Informationen. Wer die Kamera am Handy einschaltet, bekommt das alles gar im Bild eingeblendet.

Die andere App heißt „Pulso de la Ciudad“ – „Puls der Stadt“. Der Professor spricht von 15 000 Downloads, wobei er die Hälfte der 172 000 Einwohner schon einmal als Nutzer ausschließt. 30 Prozent der Bürger seien zu alt, sagt er, 20 Prozent prinzipiell nicht interessiert.

Auf der App kann man die Klagen der digital versierteren Bürger verfolgen. Wer sich auf dem Computer ein Bild davon machen will, dem steht die Seite maps.smartsantander.eu zur Verfügung. Die neuen Beschwerdemöglichkeiten hält der Entwickler für einen Erfolg von SmartSantander. „Früher dauerte es bis zu sechs Wochen, bis etwas repariert wurde. Heute, wo die Bürger die Maßnahmen der Stadtverwaltung online verfolgen können, im Schnitt nur noch zwei.“

Dass das zu mehr Belastung, zu mehr Stress für die Beschäftigten führe, sofern keine neuen Arbeitsplätze geschaffen würden, mahnt Stefan Körzell an. Professor Luis Muñoz zuckt die Schultern: „That´s life.“

 

„AUS DEN FEHLERN LERNEN“

SmartSantander macht deutlich, dass es ohne Beteiligung der Beschäftigten und Bürger nicht geht, sagt DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell

Herr Körzell, zu welchem Schluss kommen sie nach ihrem zweitägigen Besuch?

SmartSantander ist durchaus ein visionäres Projekt, etwa wenn es um Energiemanagement, den Wasserhaushalt oder die Lenkung der Verkehrsströme geht. Aber es ist eben nicht so einfach, wie es in Deutschland in vielen Zeitungen und auch hier von den Verantwortlichen dargestellt wird. Es hapert bis heute an vielen Stellen.

Was meinen Sie damit?

Mein Eindruck ist, es hat in dieser Stadt keine bürgerschaftliche Debatte darüber gegeben, warum und mit welchem Ziel das Projekt gestartet wurde. Vieles wurde offenbar von oben nach unten gemacht, ohne Dialog, ohne die Bevölkerung und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu beteiligen. Bei einem solchen Projekt muss es immer darum gehen, dass die Menschen mit ihren Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen – nicht alles was Technik kann, ist da auch von Vorteil.

Was könnte eine solche Einbindung der Beschäftigten bringen?

Für uns als Gewerkschaften sind Beschäftigte Innovationsträger, ganz gleich ob sie in der Privatwirtschaft oder bei der Stadt arbeiten. Hier wurde das Know-how der Beschäftigten an vielen Stellen nicht genutzt. Außerdem wurde uns berichtet, dass es vielfach keine Fort- und Weiterbildung gab. Das Ergebnis sind verständliche Ängste, den Job zu verlieren und durch besser Qualifizierte ersetzt zu werden. Nach der Privatisierungswelle, die schon wie eine Peitsche wirkte, kam ab 2011 noch die digitale Peitsche dazu. Eine Folgenabschätzung, welche Risiken damit für die Beschäftigten verbunden sind, gab es nicht.

SmartSantander sammelt Daten und nutzt sie dann einfach. Und wo bleibt der Datenschutz?

Daten, die am Arbeitsplatz anfallen, dürfen nicht zur Arbeitsüberwachung und zur Arbeitsverdichtung genutzt werden. Da haben die Betriebsräte mitzubestimmen. Das scheint in Santander jedoch nicht immer der Fall zu sein. Die Beschäftigten sind verunsichert.

Was nehmen Sie letztendlich mit nach Hause?

Ich denke, aus den Fehlern in Santander gilt es zu lernen. Die wichtigste Schlussfolgerung: Eine breite gesellschaftliche Debatte ist für solche Projekte ebenso unabdingbar, wie die Beteiligung der Beschäftigten und Gewerkschaften.

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