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Magazin Mitbestimmung

Home-Office: Risiken moderner Heimarbeit

Ausgabe 12/2015

In den Niederlanden genießen Arbeitnehmer ab Januar ein Recht auf Homeoffice. Auch deutsche Gewerkschaften und Parteien beschäftigen sich mit dem Thema. Schließlich bringt die Heimarbeit viele Vorteile. Doch wer nicht aufpasst, tappt in die Selbstausbeutungsfalle. Von Steffen Daniel Meyer

Im April 2015 verabschiedete das niederländische Parlament das „Wet Flexibel Werke“, das „Gesetz über flexible Arbeitsmöglichkeiten“. Es gibt Beschäftigten ab Januar 2016 das Recht, von zu Hause aus zu arbeiten. Ab einer Unternehmensgröße von zehn Beschäftigten können Arbeitnehmer dann einen Antrag auf Homeoffice stellen. Der kann nur mit triftigen Gründen abgelehnt werden, zum Beispiel wenn die Anwesenheit am Arbeitsplatz unausweichlich ist. Solange also noch keine fernsteuerbaren Putz-Roboter zur Standardausrüstung gehören, müssen Reinigungskräfte in den Niederlanden auch weiterhin zur Arbeit erscheinen. Beschäftigte im IT- oder im Wissensbereich können jedoch von der neuen Regelung profitieren: Den neuen Programmcode kann man auch zu Hause auf dem Laptop überarbeiten und den letzten Stapel Studien am Küchentisch lesen.

SIEG FÜR DIE VEREINBARKEIT

„Das neue Gesetz kommt zur richtigen Zeit“, sagt Linda Voortman, die für die niederländischen Grünen im Parlament sitzt und den Vorschlag vorangetrieben hat. „Wir haben hier derzeit eine Debatte, wer die Älteren in der Gesellschaft pflegt. Der Staat? Die Kinder?“ Das Recht auf Homeoffice ermögliche es Arbeitnehmern, die Erwerbstätigkeit mit der Pflegearbeit zu verbinden. Mithilfe dieses Familien-Arguments organisierte Voortmann eine breite Koalition – unter Einschluss der mitregierenden sozialdemokratischen PvdA – aus linken und konservativen Parteien, die sich gegen die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders und die liberale Regierungspartei VVD durchsetzte. 

Gegenwind gab es von den niederländischen Unternehmerverbänden VNO-NCW und MKB Nederland. „Warum regelt man etwas gesetzlich, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch alleine aushandeln können?“, fragt der VNO-NCW und verweist darauf, dass in 20 Prozent der Tarifverträge bereits Regelungen zum Homeoffice vorgesehen sind. Der Gewerkschaftsdachverband FNV, mit 1,2 Millionen Mitgliedern der größte in den Niederlanden, hingegen begrüßt das Gesetz. „Ein einfaches ‚Das machen wir hier nicht‘ des Arbeitgebers reicht nun nicht mehr aus“, sagt Wim van Veelen, FNV-Gesundheitsexperte. Außerdem sei der Arbeitgeber nun in der Pflicht, seinen Angestellten auch für den Arbeitsplatz zu Hause eine gute Ausstattung, Schreibtisch und Bürostuhl inklusive, zur Verfügung zu stellen. Denn er bleibe „verantwortlich für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz“. Linda Voortman betont zudem den psychologischen Effekt des Gesetzes: „Wir wollten die Menschen stärken, die nicht so durchsetzungsfähig sind.“ Schließlich traue sich nicht jeder oder jede, Forderungen an den Vorgesetzten zu stellen. Ein Gesetz gebe mehr Sicherheit. 

Laut Eurostat, der europäischen Statistikbehörde, übten im Jahr 2014 8,1 Prozent der niederländischen Arbeitnehmer ihren Beruf hauptsächlich oder gelegentlich in den eigenen vier Wänden aus. In Deutschland betrug der Anteil im gleichen Jahr 7,4 Prozent. Beide Länder liegen unter dem EU-Durchschnitt von 10,1 Prozent. Ganz oben in der Heimarbeit-Tabelle stehen Island (32,4) und Schweden (26,3). Auf den letzten Plätzen tummeln sich Italien (1,4) und Rumänien (0,6). Doch während in der EU das Homeoffice immer mehr Verbreitung findet, ist die Entwicklung in Deutschland rückläufig: Laut DIW wuchs die Zahl der Heimarbeiter in der Bundesrepublik von 2002 bis 2008 von 4,5 auf 5,5 Millionen, sank aber bis 2014 wieder auf knapp fünf Millionen – und damit auf das Niveau von 1990. Über die Gründe gibt es laut DIW-Studie keine belastbaren Forschungsergebnisse. Autor Karl Brenke vermutet, dass die Arbeitsbedingungen in den Spitzenländern besser zur häuslichen Erwerbsarbeit taugen. Und dass Homeoffice dort akzeptierter ist als in Deutschland.

KEINE MEHRHEIT IM BUNDESTAG

Dabei ist das Vorurteil des faulenzenden Angestellten, der zu Hause lieber vor sich hindöst oder den Frühjahrsputz erledigt, mehrfach widerlegt: In einem oft zitierten Experiment der Stanford University hat ein großes Callcenter seinen Mitarbeitern erlaubt, neun Monate lang von zu Hause zu arbeiten. Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmer in den eigenen vier Wänden produktiver sind – wegen der Ruhe. Und mehr arbeiten – aufgrund weniger Pausen und Krankheitstagen. 

Der Schweizer Arbeits- und Organisationspsychologe Hartmut Schulze bestätigt das, schränkt jedoch ein: „Ungefähr nach zwei Tagen Homeoffice sehnen sich die meisten nach den Kollegen im Büro, und die Produktivität nimmt wieder ab.“ Außerdem sei es wichtig, einen ruhigen Platz in den eigenen vier Wänden zu haben. „Nebenher kleine Kinder zu erziehen ist sehr schwierig.“ Mit Opa zwischendurch einen kleinen Spaziergang zu machen sei hingegen möglich. „Der Work-Family-Conflict nimmt schwach, aber doch signifikant ab“, so der Wissenschaftler von der FH Nordwestschweiz in Olten.

Im Bundestag fände sich derzeit wohl keine Mehrheit für ein Gesetz nach niederländischem Vorbild: Die Grünen haben zwar einen entsprechenden Vorschlag ins Spiel gebracht, doch sonst spricht sich keine Partei explizit dafür aus. Hingegen forderte Ende Juli der stellvertretende Bundesvorsitzende der Christlichen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, ebenfalls einen Rechtsanspruch auf Homeoffice – und bekam mächtig Gegenwind vom CDU-Wirtschaftsflügel. Auf Nachfrage sagt ein CDA-Sprecher heute, man habe das Thema derzeit nicht auf der Agenda und sich noch „keine abschließende Meinung gebildet“.

ZU HAUSE ARBEITEN WILL GELERNT SEIN

ver.di indes spricht sich klar für ein solches Gesetz aus. „Die neuen Formen digitaler Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit drohen anstelle verbesserter Vereinbarkeit erhöhte Belastungen für Menschen mit Familienpflichten mit sich zu bringen“, erklärt Karl-Heinz Brandl, Bereichsleiter Innovation und Gute Arbeit in der ver.di-Bundesverwaltung. „Mit dem Recht auf Telearbeit könnten die Chancen der neuen Entwicklung für Frauen gestärkt werden.“ Dabei sieht er jedoch auch Gefahren: Im DGB-Index Gute Arbeit von 2014 leisteten 33 Prozent der Heimarbeiter sehr häufig oder oft unbezahlte Arbeit – bei den Büroarbeitern sind es nur 13 Prozent. Auch fühlen sich Menschen im Homeoffice öfter gehetzt (63 Prozent) als Angestellte, die nicht von zu Hause aus arbeiten (54 Prozent).

„Von zu Hause aus arbeiten ist wie eine neue Kompetenz, die man erst lernen muss“, sagt auch der Arbeitspsychologe Schulze. Je mehr Erfahrung man hat, desto besser kann man seine Zeit einteilen. Unerfahrene hingegen können in die Selbstausbeutungsfalle tappen. In einer annähernd repräsentativen Umfrage von Schulze gab ein gutes Viertel der befragten Homeoffice-Routiniers an, auch am Samstag zu arbeiten, und um die 35 Prozent sitzen in der Woche abends zwischen 18 bis 20 Uhr am Schreibtisch. Bei zwölf Prozent flackert der Monitor sogar nach 22 Uhr. 

Deshalb pocht der DGB beim Thema Homeoffice auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz. „In erster Linie muss darauf geachtet werden, dass beim Arbeiten von unterwegs oder von zu Hause der Schutz der Beschäftigten hinreichend gewährleistet ist“, sagt DGB-Arbeitsrechtlerin Marta Böning. „Dieser Schutz ist notwendig gegen ausufernde Arbeitszeiten.“ Auch die Gesundheitsprävention und die ergonomische Ausstattung von außerbetrieblichen Arbeitsplätzen müsse beachtet werden.

BETRIEBLICHE PIONIERE

In Deutschland haben einige Unternehmen bereits Betriebsvereinbarungen zu flexiblen Arbeitsformen getroffen. Bei der Deutschen Telekom stehen schon seit 1997 entsprechende Regelungen im Tarifvertrag. ver.di-Bereichsleiter Karl-Heinz Brandl war zu der Zeit Telekom-Betriebsrat und saß mit am Verhandlungstisch. „Die Deutsche Telekom war das erste Unternehmen Deutschlands mit einem Tarifvertrag zur Telearbeit“, sagt er. Seitdem wurde der Vertrag leicht modifiziert, blieb aber im Kern erhalten. 

Danach muss der Konzern beim Homeoffice für einen ordentlichen Arbeitsplatz sorgen, der den gängigen Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen entspricht. Das kommt gerade Sachbearbeitern entgegen, die auch von zu Hause ihre Arbeit am PC erledigen können. Allerdings greift diese Vereinbarung zum Beispiel bei Servicetechnikern nicht: Da diese nur wenig in den eigenen vier Wänden arbeiten und viel unterwegs sind – um etwa bei einem Kunden den DSL-Anschluss einzurichten –, sind die Anforderungen hier geringer. Derzeit fokussiert die Deutsche Telekom auch auf das Thema „Desk-Sharing“, bei dem ein Arbeitsplatz von mehreren Personen genutzt wird. Langfristig strebt das Unternehmen eine Quote von eins zu 1,3 an, also zehn Schreibtische für 13 Personen. „Einerseits gibt es dadurch natürlich Einsparungspotenzial“, sagt Brandl. „Aber das Unternehmen trägt damit auch dem Kulturwandel zu mehr flexibler Arbeit Rechnung.“ 

Ein Problem sieht Brandl eher beim Prinzip der doppelten Freiwilligkeit: So kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwar nicht zwingen, von zu Hause aus zu arbeiten, andererseits hat der Beschäftigte aber auch keinen Anspruch auf Homeoffice. „Da die Telekom-Mitarbeiter nach Tarifvertrag unkündbar sind, setzt der Konzern immer mehr auf Zentralisierung“, erklärt Brandl. Dabei verlegt der Konzern Arbeitsplätze von kleinen Außenstellen an andere Standorte, wodurch die Angestellten längere Anfahrtszeiten in Kauf nehmen müssen – wenn sie ihren Job behalten möchten. „Telearbeit könnte das kompensieren, doch die wird dann nicht gewährt“, sagt Brandl. Ein Recht auf Homeoffice könnte dieser Praxis einen Riegel vorschieben. 

Brandl befürchtet zudem, dass durch mehr Tele-Heimarbeit die Beschäftigten dem Unternehmen entfremden. „Man geht in die Firma wie in ein Hotel“, sagt der ver.di-Bereichsleiter. „Einige Unternehmen wie Google werben bei jungen Leuten damit. Aber für Traditionsunternehmen wie die Telekom könnte dadurch die Bindung von Beschäftigten und Firma geschwächt werden.“ 

Der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen unterscheidet ebenfalls zwischen Heimarbeit und mobilem Arbeiten: Bei der Heimarbeit übt der Angestellte seinen Beruf ausschließlich von zu Hause aus und kommt nur ab und zu, etwa für Besprechungen, in die Firma. Das Unternehmen richtet hierfür den Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden ein, achtet auf die Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen und kann diese nach Wunsch kontrollieren. „Grundsätzlich ist das eine gute Sache“, sagt BASF-Betriebsrätin Christiane Kellermann. „Allerdings sind die Vereinbarungen schon uralt und müssten aktualisiert werden.“

Die Vereinbarung zum mobilen Arbeiten hingegen wurde im Jahr 2012 aktualisiert: Danach darf der Mitarbeiter ab und zu von zu Hause aus oder von unterwegs arbeiten, ist aber selbst für Schreibtisch und Stuhl verantwortlich. „Seitdem wir diese Vereinbarung eingeführt haben, nehmen immer mehr Mitarbeiter diese auch in Anspruch“, sagt Kellermann. „Es ist einfach praktisch, dass man nicht extra einen Tag freinehmen muss, wenn die Handwerker kommen.“ Da die Heimarbeit nur kurzfristig erfolge, sei es nach Kellermann auch in Ordnung, dass der Angestellte selbst auf seine Gesundheit und Arbeitszeit achte. Insgesamt ist die Betriebsrätin zufrieden mit den Vereinbarungen, da diese zum Vorteil der Angestellten eingeführt wurden – und nicht, um Kosten einzusparen. „Zwar gibt es von Unternehmensseite immer wieder den Wunsch nach Desk-Sharing, doch bislang haben wir dazu noch keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen.“

Mehr Informationen

Karl Brenke: Heimarbeit. Immer weniger Menschen in Deutschland gehen ihrem Beruf von zu Hause aus nach. In: DIW Wochenbericht 8/2014

DGB-Index Gute Arbeit: Der Report 2014. Themenschwerpunkt Arbeitsgestaltung. 

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