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Magazin Mitbestimmung

: Realistischer Energiemix

Ausgabe 07/2006

Längst haben die Gewerkschaften erkannt, dass Wind, Sonne und Co. in Zukunft eine größere Rolle spielen müssen als heute. Doch konventionelle Energieträger werden noch lange die Hauptlast der Versorgung übernehmen.



Von Andreas Molitor
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.


Das rheinische Oberaußem, ein kleiner Ort im Schatten hoher Kraftwerksschlote. An einem 1. Mai war es, die IG Bergbau hatte ins Bürgerhaus geladen. Drinnen sprach Ernst Breit, es gab Kölsch, und das Bergmannsorchester sang das Steigerlied. Draußen, vor dem Eingang, hatten die örtlichen Grünen ihren Tapeziertisch-Infostand aufgebaut und verteilten Broschüren aus hartem, grauem Umweltpapier, in denen viel von der "Energie der Zukunft" die Rede war, von Wind und Wasser und Sonne.

Sie sprachen die Maifeiernden, die fast alle entweder im Tagebau oder im Kraftwerk arbeiteten, an, wollten ihnen von Kalifornien erzählen, wo der massive Einsatz von Sonnenenergie den Bau mehrerer großer Atomkraftkwerke überflüssig gemacht hatte.

Doch der grüne Annäherungsversuch an die Braunkohlensparte der Arbeiterbewegung ging gründlich daneben. Ob denn 20 000 Braunköhler in Zukunft Windräder bauen sollten, hieß es in Richtung des Tapeziertischs. Die Broschüren seien doch allenfalls, nun ja, zum Abwischen bestimmter Körperteile zu gebrauchen. Und aus den Schloten des Kraftwerks quoll schweflig-gelber Rauch.

Wer für Wind, Biomasse, Solarenergie, Geothermie und Wasserkraft plädierte, wurde als Spinner abgetan. Betriebsräte wetterten gegen die "Berufsdemonstranten, die rechtswidrig Kraftwerks-Bauplätze besetzen". "Wer als Gewerkschafter auf einer Anti-AKW-Kundgebung redete", erinnert sich Clemens Bollen, IG-Metall-Bevollmächtigter aus Leer-
Papenburg, "der riskierte den Ausschluss oder zumindest eine Rüge."

Das ist Geschichte. Längst haben die Gewerkschaften zu einer offenen Einstellung gegenüber den erneuerbaren Energien gefunden. Dass zum Energiemix in Deutschland auch Wind, Sonne & Co. gehören, ist heute Konsens. Die Gewerkschaften befinden sich da im Einklang mit der Bevölkerung.

150 000 Arbeitsplätze hängen an regenerativen Energien

Erst Ende Juni ergab eine Forsa-Umfrage, dass die Bundesbürger erneuerbare Energien als Stromquelle deutlich favorisieren. 85 Prozent der Befragten plädieren für Strom aus Wind- und Wasserkraft, Bioenergie, Geothermie und Sonnenenergie. Gas kommt auf 39 Prozent, Kohle und Atomkraft liegen mit jeweils nur 19 Prozent weit abgeschlagen. Allmählich realisieren die Bundesbürger, dass Erdöl ein knappes Gut sein wird, spätestens wenn sie ihr übernächstes Auto kaufen.

Die regenerativen Energien sind allein schon deshalb ein Thema für die Gewerkschaften geworden, weil sie für den Arbeitsmarkt eine ganz andere Relevanz haben als noch vor 20 oder 25 Jahren. Damals beschäftigten die Regenerativen gerade mal ein paar hundert Bastler, heute sind es mit 150 000 Mitarbeitern schon doppelt so viele wie im Kohlenbergbau.

Allein im vergangenen Jahr kamen 20 000 Jobs dazu, im Jahr 2020 sieht die Branche sich schon bei 500 000 Beschäftigten. Insbesondere die Windkraft mit mittlerweile mehr als 60 000 Arbeitsplätzen "ist nicht nur die Triebkraft der erneuerbaren Energien, sie bleibt auch ein Jobmotor" - so sieht es Wolfgang Rhode, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.

Bei Lippenbekenntnissen lassen es die Gewerkschaften nicht bewenden. Im Mai beschloss der DGB-Bundeskongress sogar konkrete Mengenziele für den Ausbau der regenerativen Energien. Es sind exakt die gleichen wie die der Bundesregierung. So soll der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch bis 2020 von derzeit 10 Prozent auf mindestens 20 Prozent und bis 2050 auf 50 Prozent steigen. Doch der DGB und die Einzelgewerkschaften leben mit einem Gestrüpp widerstreitender Interessenlagen - von denen einige sich mit einer vorbehaltlosen Unterstützung erneuerbarer Energien nur schwer vereinbaren lassen.

Die Fraktion der klaren Befürworter wird angeführt von der IG Metall. Regenerative Energien sind unverzichtbarer Bestandteil des gewerkschaftlichen Energiewende-Szenarios für Klimaschutz, Arbeitsplätze und Innovation, zu dem auch eine zügige Erneuerung des konventionellen Kraftwerksparks und das Festhalten am Atom-Ausstieg gehören.

Im Lager der Skeptiker hat sich die IG Bergbau, Chemie, Energie bislang am deutlichsten positioniert. Sie schreibt sich "energiepolitischen Realismus" auf ihre Fahnen und warnt - unter Hinweis auf die zum Teil nach wie vor sehr hohen Kosten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien - vor einer "nicht tragfähigen Überförderung".

Natürlich muss die IG BCE Rücksicht auf ihre Mitglieder nehmen, die in der Braunkohle arbeiten, in der Steinkohle und an den Kernkraftwerks-Standorten. Bei den erneuerbaren Energien wiederum hat die Gewerkschaft bislang kaum Fuß gefasst. Viele der kleineren Anlagen laufen fast ohne Personal.

Zwar ist die Arbeitsplatz-Tendenz bei Wind- und Sonnenkraftfirmen deutlich positiv, aber es sind bisher längst nicht so viele Jobs entstanden, wie im traditionellen Bergbau zur gleichen Zeit wegbrachen. Warum also sollte man die erneuerbaren Energien mehr unterstützen, als die DGB-Räson es fordert? Ausstieg aus der Kernkraft, Schrumpfen des Kohlebergbaus und forcierter Ausbau der erneuerbaren Energien - aus der Perspektive der IG BCE muss das klingen wie eine Gleichung für Mitgliederschwund und kräftige Beitragsausfälle.

Ein extremes Beispiel: Das Braunkohlenwerk im sächsischen Espenhain galt zu DDR-Zeiten zwar als schlimmste Dreckschleuder der Republik, aber immerhin malochten dort bis zur Stilllegung im Jahr 1990 mehr als 6000 Leute. Jetzt steht an fast gleicher Stelle eines der größten und modernsten Solarkraftwerke der Welt. Es bietet Arbeit für zwei Personen.

Allerdings hat die Reserviertheit der IG BCE gegenüber den erneuerbaren Energien ihren Grund nicht nur in der Rücksichtnahme auf den traditionellen Bergbau. Ein Großteil der Chemieindustrie mit insgesamt 450 000 Beschäftigten wirtschaftet sehr stromintensiv. Die Regenerativen wiederum stehen nach wie vor im Ruf, vergleichsweise teuren Strom zu produzieren.

Beides passt extrem schlecht zusammen, heißt es aus der Zentrale der Gewerkschaft. "Die Industriekunden, die anschließend die höheren Strompreise bezahlen müssen, haben mit der großzügigen Förderung der erneuerbaren Energien ein echtes Problem, weil sie in einen Wettbewerbsnachteil geraten", hört man aus dem Gewerkschaftshauptquartier: "Es geht nicht nur darum, ob oder wie man eine Tonne CO2 vermeiden kann, wichtig ist auch, was das jeweils kostet."

"In acht Jahren ist Wind billiger als Gas und Kohle"

Bei den Erzeugungskosten existieren deutliche Unterschiede zwischen den regenerativen Energieträgern. So haben die Windmüller die Schwelle der Wirtschaftlichkeit schon erreicht. Fritz Vahrenholt, Vorstandschef von Repower, mit mehr als 500 Beschäftigten einer der größten deutschen Windenergie-Anlagenbauer, sieht die Windenergie spätestens in acht Jahren sogar "kostengünstiger als Strom aus Kohle und Gas. Wir werden die Billigmacher des Strommix." Kein Wunder, dass die Windkraft noch am ehesten das Wohlgefallen der IG BCE findet.

Auch bei der IG Metall, die sich klar auf die Seite der Regenerativen geschlagen hat und dem "Aktionsbündnis Erneuerbare Energien" angehört, gilt es, komplizierte innergewerkschaftliche Interessengegensätze zu moderieren. Schließlich betreut die Gewerkschaft auch die Beschäftigten jener - gewerkschaftlich gut organisierter - Unternehmen, die konventionelle Großanlagen für Kohlekraftwerke herstellen und unter der Auftragsflaute der vergangenen Jahre gelitten haben, etwa Alstom, Siemens, ABB und Babcock-Hitachi.

Außerdem stammen zahlreiche Mitglieder aus Firmen, die einst Atomanlagen produzierten. Die offizielle IG-Metall-Linie - kontra Atomkraft, pro erneuerbare Energien - empfinden manche von ihnen als gegen ihre eigenen Interessen und Arbeitsplätze gerichtet.

Allerdings sieht IG-Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Rhode die Verantwortung für Beschäftigungsprobleme im Kraftwerks-Anlagenbau nicht beim Boom der erneuerbaren Energien, sondern bei der jahrelangen Zurückhaltung der großen Energieversorger im Bereich der Erneuerungs-Investitionen.

Außerdem werde ein Teil des Konfliktpotenzials dadurch entschärft, dass die traditionellen Großanlagenbauer sich nun selbst bei den regenerativen Energien engagieren. So baut Siemens mittlerweile auch - sehr erfolgreich - Turbinen für Windräder und Biomasse-Kraftwerke.

Das vielleicht größte Dilemma für die IG Metall ist der schwache Organisationsgrad in den Unternehmen, die man politisch so vorbehaltlos unterstützt. Bestenfalls erreicht die IG Metall 20 Prozent, bei Repower etwa. Manche Unternehmen, insbesondere der Marktführer Enercon, betreiben eine dezidiert gewerkschaftsfeindliche Politik.

Immer wieder kam es bei Enercon in der Vergangenheit zu Kündigungen, Versetzungen und Repressalien gegen Beschäftigte, die ihre gesetzlichen Rechte in Anspruch nahmen. Enercon behindert die Gründung von Betriebsräten, zahlt teilweise unter Tarif, beschäftigt Leiharbeiter und entließ in seinem türkischen Werk in Izmir aktive Gewerkschafter.

Die IG Metall tut ihr Bestes, damit nicht Arbeitsplatz gegen Arbeitsplatz steht, Wind gegen Kohle, Sonne gegen Atom. Besonders gern räumen die Metaller auch mit dem Vorurteil auf, es seien die vermeintlich teuren erneuerbaren Energien, die stromhungrige Industriebetriebe strangulieren. Diese Argumentation sei von interessierter Seite geschickt lanciert. Natürlich leiden auch angestammte IG-Metall-Domänen wie die energiefressenden Aluminiumhütten unter den hohen Strompreisen.

Die aber gingen größtenteils nicht auf das Konto von Wind, Sonne und Konsorten. Der Preisaufschlag für die Regenerativen macht nach IG-Metall-Angaben lediglich einen halben Cent pro Kilowattstunde aus. Der Löwenanteil, so Rohde, gehe auf das Konto der großen Energieversorger: "Sie haben sich den Markt fein säuberlich aufgeteilt, bestimmen die Strompreise und fahren Rekordgewinne ein." .





"Wir diskreditieren uns nicht untereinander"
Wolfgang Rhode, beim Vorstand der IG Metall zuständig für Wirtschaft-Technologie-Umwelt und Betriebspolitik KMU, über Konflikte zwischen Verfechtern regenerativer Energien und konventioneller Großanlagen
 
Die IG Metall setzt sich für die Energiewende ein und setzt stark auf erneuerbare Energien. Andere Gewerkschaften sind da deutlich zurückhaltender. Wie kommt man da auf einen Nenner?
Wir versuchen, unsere Positionen untereinander auszubalancieren. Auf dem DGB-Bundeskongress ist uns das gut gelungen. Dort haben wir uns nach den Irritationen der Vergangenheit zusammengerauft und einen gemeinsamen Leitantrag verabschiedet. Darin wird auch ein höherer Stellenwert der erneuerbaren Energien gefordert. Ihr Anteil an der Stromerzeugung soll bis zum Jahr 2020 auf mindestens 20 und bis 2050 auf 50 Prozent steigen. Das wurde mit großer Mehrheit beschlossen, also sowohl mit den Stimmen der IG Metall als auch mit denen der IG BCE.

Wie gehen Sie mit dem Dilemma um, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der von Ihnen so stark unterstützten Branche nach wie vor unbefriedigend ist?
Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass wir bei den erneuerbaren Energien quasi von heute auf morgen einen Organisationsgrad wie beispielsweise in der Autoindustrie erreichen. Es ist schon mal ein Schritt nach vorn, wenn die Beschäftigten, vom Manager bis zum einfachen Arbeitnehmer, erkennen, dass die IG Metall sich für politische Rahmenbedingungen einsetzt, die ihre Arbeitsplätze sichern. Wenn wir allerdings merken, dass einzelne Unternehmen gewerkschaftsfeindliche Haltungen einnehmen, wird das sicher auch Einfluss auf unser Engagement haben.

Solche Unternehmen brauchen demnach nicht auf die Unterstützung der IG Metall zu hoffen?
So könnte man das ausdrücken. Wir sind nicht anspruchslos. Diese Unternehmen stellen Anlagen her, die dem Nachhaltigkeitsprinzip entsprechen. Aber das Nachhaltigkeitsprinzip gilt auch im sozialen Bereich. Da geht es insbesondere um einen fairen Umgang mit den Arbeitnehmern. Es kann nicht sein, dass man ein so grundlegendes Recht wie die Gründung oder die Arbeit eines Betriebsrates blockiert. Schließlich gibt es genug Unternehmen in dieser Branche, bei denen wir in dieser Hinsicht keine Probleme haben.

Sind innerhalb der IG Metall noch Reste des alten Lagerdenkens spürbar: hier die erneuerbaren Energien, dort die konventionellen Großtechnologien inklusive Atomkraft?
Natürlich ist der Konflikt noch ein Stück weit spürbar. Schließlich haben wir auch Kolleginnen und Kollegen unter uns, die Atomanlagen herstellen oder hergestellt haben. Wir diskreditieren uns aber nicht untereinander. Bei uns gibt es kein Lagerdenken. Außerdem steht die IG Metall in ihrer ganz großen Mehrheit fest zum Beschluss des Atomausstiegs. Die Diskussion, Atomanlagen länger als vorgesehen zu betreiben, halten wir für verfehlt, weil sie Innovationen hemmt. Anstatt ihre alten konventionellen Anlagen zügig zu erneuern und so den Schadstoffausstoß zu senken, warten die Energieerzeuger erstmal ab, wie diese Debatte ausgeht.

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