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Magazin Mitbestimmung

: Pragmatisch und anspruchsvoll

Ausgabe 07/2003

Was erwarten junge Berufseinsteiger vom Arbeitsleben? Sie wollen Aufgaben, die fordern, ohne zu überfordern. Sie wollen sich verwirklichen - dafür sind sie bereit, sich zu engagieren und Risiken in Kauf zu nehmen. Von Helga Ballauf

Von Helga Ballauf. Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in München.

"Arbeit darf nicht überfordern und kaputtmachen - dafür engagiere ich mich auch."
Bianca Froese, 24, Industriemechanikerin

Täglich zwischen 6 und 15 Uhr dreht, schleift und fräst Bianca bei der Firma Faulhaber in Schönaich an Teilen für Mini-Motoren. Mit einer Funkenerosionsmaschine geht das bis auf einen tausendstel Millimeter genau. Der männerdominierte Beruf hat es ihr angetan: "Als Frau muss ich mich immer wieder beweisen, das stimuliert." Schon als Auszubildende hat sie gelernt, sich durchzusetzen. Jetzt, erzählt sie, falle ihr das nicht mehr schwer: "Wenn es zu viel wird, sage ich: ‚Ok, ich mach' das, aber nicht gleich!‘"

Sehr wichtig ist der aufgeweckten Schwäbin die Zufriedenheit im Job: "Ich würde  die Vollmeise kriegen, wenn Arbeit nur eine Pflichtveranstaltung wäre - bei all der kostbaren Zeit, die man investiert!" Sie ist überzeugt davon, "dass Arbeit nicht überfordern und kaputtmachen darf", und setzt sich - früher als Jugend- und Auszubildendenvertreterin, heute als Betriebsrätin - für gute Rahmenbedingungen ein. "Die Firma soll ein paar Leute einstellen, statt zusätzliche Schicht- und Samstagsarbeit anzuordnen", sagt sie. Sie fühlt sich zwar nur als "kleine Nummer im Betriebsrat", glaubt aber, dass "viele kleine Nummern" etwas bewegen können. Die IG Metall unterstütze sie in diesem Amt wirkungsvoll, lobt die Betriebsrätin. Sie fährt gern auf Gewerkschaftsseminare, um Kollegen kennen zu lernen und zu erfahren, wie's anderswo läuft.

Ihr Arbeitgeber ist Mittelständler und nicht tarifgebunden, er orientiert sich lediglich an den Verträgen der Metallindustrie. "Richtig so", meint Bianca: "Was für DaimlerChrysler und für BMW passt, stimmt nicht automatisch für die Belegschaft einer kleinen Firma." Inzwischen kommen Kollegen auch mit Grippe in die Firma - aus Angst, den Job zu verlieren. Das beunruhigt Bianca. Sie wünscht sich eine offensive gesellschaftliche Debatte, "die nicht dabei stehen bleibt, dass jeder Arbeit braucht, sondern sich auch um das Wie dreht."

So energisch sich Bianca Froese für gute Arbeit einsetzt, so eindeutig argumentiert sie andererseits pro Familie und contra Karriere: "Wozu brauche ich den Meister- oder Technikerbrief, wenn ich mal den Kinderwagen schiebe?" Sie kann sich gut vorstellen, in zwei Jahren Mutter zu sein und nicht mehr Vollzeit zu arbeiten. Die Industriemechanikerin vermutet, dass sie als Halbtagskraft ihren qualifizierten Posten in der Firma aufgeben und gegen einen weniger anspruchsvollen Job in einer anderen Abteilung eintauschen müsste. Aber das macht ihr nichts aus: "Im Zweifelsfall ist die Familie wichtiger."


"Leute, die eigene Ideen und Ziele haben, sollten nicht sooft hören: Lass das, du hast keine Chance."
Markus Polzer, 26, Schüler und Musiker

"Mein Tag soll aus acht Stunden Schlaf und 16 Stunden Leben bestehen - also muss die Arbeit Lebensqualität haben." Das ist das Motto von Markus. Er ist Musiker und Schüler am Münchener Abendgymnasium, wo er das Abitur nachholt. Den Tag hat er sich genau aufgeteilt: Am Vormittag lernt er, am Nachmittag verdient er Geld als Schlagzeuglehrer, und ab 17 Uhr besucht er selbst den Unterricht. Die Wochenenden gehören dann den Auftritten mit der Elvis-Show-Band.

Schule bis zur mittleren Reife - dann reichte es ihm mit der formalen Bildung, auch wenn dem Vater das gar nicht gefiel: "Es waren zehn harte Jahre, bis ich meinen Weg gefunden hatte. Währenddessen verdienten alte Klassenkameraden bereits gutes Geld und kauften teure Autos." Markus verfeinerte seine Schlagzeugtechnik allein. Er spielte mit vielen Musikern zusammen, bis er die optimale Band fand: "Ich lernte, dass Teamentwicklung Zeit braucht und man Produktivität und Kreativität nicht erzwingen kann."

Als Schulsprecher vermittelt Markus zwischen dem Direktorat und seiner Klasse. So ähnlich wie dieses Amt stellt er sich auch die Aufgabe von Betriebsräten vor: "Sie können im überschaubaren Bereich etwas für die Leute bewirken. Die Gewerkschaften sollten sie dabei mehr unterstützen." Wenig hält der Abendgymnasiast dagegen von gewerkschaftlichen Positionen, die für alle Mitglieder gleich verbindlich sind: "Damit haben die britischen Gewerkschaften ihre eigene Macht untergraben."

Um als Freiberufler bestehen zu können, hat Markus viel Lehrgeld zahlen müssen. Er fordert, schon in der Schule sollte den jungen Menschen Mut gemacht werden, unkonventionelle Lebenswege einzuschlagen und über eine berufliche Selbstständigkeit nachzudenken. Er wünscht sich ein gesellschaftliches Klima, "in dem Leute, die eigene Ideen und Ziele haben, nicht sofort hören: ‚Lass das, du hast keine Chance.‘" Dazu gehört für ihn auch eine öffentliche Debatte über den Wert von Arbeit: "Bei uns wird darüber geredet, was die Leistung von Handwerkern kosten darf. Aber wie ist das bei Künstlern? Was dürfen wir verlangen?"

Wenn er erst einmal das Abitur in der Tasche hat, will Markus Arabisch oder Finnisch studieren und sich eine Nische im Journalismus suchen. Der Beruf soll sein zweites Standbein werden, neben der Musik. Die, sagt er, werde in seinem Leben immer eine wichtige Rolle spielen: "Wenn ich im Konzert spüre, das gibt den Zuhörern was, dann ist das ein schönerer Lohn als der Scheck." Nach wie vor schlägt sich der junge Geschäftsmann mit dem Thema Überforderung und Selbstausbeutung herum: "Ich weiß, ich laste mir zu viel auf. Aber wie schützt man sich dagegen, wenn man sein eigener Chef ist?"


"Meine Mutter hat immer gearbeitet. Auch ich will auf keinen Fall als Hausfrau enden."
Nadine Müller, 25, Buchhändlerin

Bücher faszinieren Nadine - vom Manuskript bis zum fertigen Produkt, von der Covergestaltung bis zum Kundenkontakt im Laden: "Ich gebe gerne weiter, was ich gelesen habe." Sie arbeitet heute in einer Münchener Buchhandlung, wo sie sich auch als Betriebsrätin engagiert. Was bedeutet gute Arbeit für sie? "Selbstständig sein und Entscheidungsfreiheit haben", sagt sie. "Neues entwickeln. Und Arbeitsplatzsicherheit." Sie vermisst eine zündende gewerkschaftliche Debatte, die über Abwehr- und Tarifkampf hinausgeht: "ver.di wird hier vor allem als Arbeitgeber-Gegner-Verein wahrgenommen. Es müsste aber rüberkommen, dass die Gewerkschaft was Positives erreichen will - nicht nur für Mitglieder. ‚Gute Arbeit‘ könnte das Thema sein."

Nach dem Abitur hat sich die Leipzigerin erst einmal zu Hause in Sachsen an den Hochschulen und bei Firmen nach dem richtigen Einstieg in den Beruf umgesehen. Doch die Kulturwissenschaft war es nicht, das Werbefach auch nicht - schließlich zog sie für eine Buchhandelslehre nach München. Ihre erste Erfahrung: "Ich war geschockt über die Mietpreise. Zum Glück konnten mich meine Eltern finanziell unterstützen." Große Sprünge kann sie mit ihrem Gehalt auch jetzt nicht machen: "Als Single geht es gerade so." Sie steckt voller Zukunftspläne: In ihre Traumstadt Berlin ziehen und dort im Buchhandel oder in einem Verlag arbeiten. Später ein eigenes Buchgeschäft in der Toskana aufmachen. Mit 30 ein Kind bekommen. Und dabei selbstverständlich im Job bleiben - da prägt sie die ostdeutsche Sozialisation: "Meine Mutter hat immer gearbeitet; etwas anderes stand nie zur Debatte. Ich will auf keinen Fall als Hausfrau enden."

Die Krise der Buchbranche hat Nadines ursprüngliche Karrierepläne verändert: Statt in Leipzig Verlagswirtschaft zu studieren, wird sie sich nun berufsbegleitend zur Fachwirtin im Buchhandel qualifizieren: "Wichtig ist in der heutigen Zeit, nicht aus der Firma rauszugehen. Wo es so viele Studienabsolventen und keine Arbeitsplätze gibt!" Jobsicherheit - ein Thema, das sie seit der Wahl zur Betriebsrätin nicht mehr loslässt. Seit einigen Monaten geht die pure Existenzangst bei den Kollegen um und belastet das Betriebsklima: "Alle reden vom Sozialplan." Dazu kommt: Eine weitere Verlängerung der Öffnungszeiten im Handel steht im Raum, mit negativen Folgen für die Arbeitsbedingungen der Belegschaft. Muss der Betriebsrat die Kröte dennoch schlucken, um so die Stellen zu sichern? Für sie ist das eine Zerreißprobe: "Eigentlich sollen wir doch dafür sorgen, dass die Beschäftigten gern in den Laden kommen!"


"Manchmal denke ich, ein Betriebsrat als Diskussionforum wäre nicht schlecht."
Jonas Schmailzl, 22, Mediengestalter

"Während der Schulzeit", erzählt Jonas, "dachte ich beim Aufstehen oft: Ich habe keinen Bock auf diesen Tag. Seit ich in die Arbeit gehe, ist das anders." Seit zwei Jahren macht er bei der Firma Video Mobil Filmproduktion in München eine Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton. Am Schneidecomputer stellt er Demo-Bänder für Schauspieler zusammen; er trägt dem Kameramann beim Dreh die Kabel hinterher, steuert den Ton aus, kümmert sich um Kopien oder Besorgungen. Die Lehrstelle bekam der Azubi nach einem Jahr Praktikum in der Firma - der Test, ob er für den Job geeignet war und in die Crew passte.

Er fühlt sich wohl, weil das Betriebsklima stimmt und er jederzeit das Produkt seiner Arbeit sehen kann: "Das ist ganz wichtig." Drei Dinge stören ihn aber: Das karge Azubigehalt, die Qualität so mancher Werbefilme, die er mitdreht, und die Mär von den angeblich unkalkulierbaren Arbeitszeiten und Abläufen in der Medienbranche, hinter denen oft nur der fehlende Wille zur Planung steckt. Der Chef der Elf-Mann-Agentur lässt zwar gut mit sich reden, wenn einer mal später kommen, frei haben oder das Firmenauto privat nutzen will. Bei grundsätzlichen Fragen der Arbeitsorganisation erlebt Jonas ihn als eher zugeknöpft: "Manchmal denke ich, ein Betriebsrat wäre nicht schlecht, als Forum für solche Diskussionen."


Der junge Bild- und Tongestalter träumt davon, später, wenn er sein Handwerk beherrscht, "mit guten Leuten eine eigene Firma aufzumachen, coole Kurzfilme und intelligente Unterhaltung zu drehen und Schrottaufträge einfach abzulehnen." Derzeit aber trübt die Medien- und Werbeflaute die Jobaussichten nach der Ausbildung. Von den bayerischen Absolventen des letzten Azubi-Jahrgangs, berichtet Jonas, sei nur jeder zweite in der Branche untergekommen. Eigentlich hat er ja vor, nach der Prüfung in einen anderen Betrieb zu wechseln, Neues dazuzulernen und mehr Berufserfahrung zu sammeln.

Vielleicht aber, meint er, werde er sich schneller, als ihm lieb sei, als freier Mitarbeiter durchschlagen müssen: "Es wäre gut, jetzt schon ein paar Grundlagen der Betriebswirtschaft zu lernen." Ein überbetriebliches Seminar wäre der rechte Ort dafür, meint Schmailzl. Denn in der Berufsschule bleibe keine Zeit für Fragen junger Existenzgründer: Der Lehrplan sei randvoll mit technischem Stoff.  Wie sich Familie und Job verbinden ließen, kann er sich einerseits gut vorstellen: "Dann baue ich den Schneidecomputer eben zu Hause auf." Andererseits aber fragt er sich, wie das gehen soll, wo doch im Filmgeschäft selbst bei sorgfältiger Planung oft etwas dazwischenkommt und sich dann private Abmachungen nicht einhalten lassen: "Wer weiß, vielleicht nehme ich Vaterschaftsurlaub!"

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