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Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Axel Mrosek (links) und der Leiter der Technologieabteilung, Jens Becker, vor dem Werk von Lyondell-Basell. Magazin Mitbestimmung

Recycling: Plastik geht auch nachhaltig

Ausgabe 02/2023

Kunststoffprodukte aus wiederverwertetem Plastik sind meist schlechter als neue. Viele Unternehmen forschen daher an chemischen Recyclingverfahren. Lyondell-Basell möchte dafür eine Anlage in Wesseling bauen. Von Sophie Deistler

Wo Betriebsrat Axel Mrosek vor 20 Jahren als Auszubildender einmal angefangen hat, soll heute die Zukunft entstehen. Auf dem Gelände der ehemaligen Styrol-Anlage von Lyondell-Basell in Wesseling wird eine Anlage geplant, die jährlich bis zu 50 000 Tonnen Plastikmüll recyceln kann.

Plastikmüll wird bisher vor allem mechanisch wiederverwertet. Dazu wird er gereinigt, nach Kunststoff und Farbe sortiert und geschreddert. In der Vergangenheit wurden mechanisch recycelte Produkte vorwiegend in qualitativ anspruchslosen Anwendungen eingesetzt. Dies hat sich in den vergangenen Jahren geändert. So vertreibt Lyondell-Basell heute mechanisch recycelte Kunststoffe für Markenartikel und hochqualitative
Anwendungen in der Kosmetikbranche. Nicht mechanisch recycelt werden dagegen flexible Verpackungen oder Produkte, die aus mehreren Kunststoffen bestehen.

Mechanisch recycelte Produkte sind in der Lebensmitteindustrie oder in Medizinanwendungen gesetzlich nicht zugelassen. Um auch diese Kunststoffabfälle zu verwerten und recycelte Produkte auch für gesetzlich kontrollierte Anwendungen einzusetzen, geht Lyondell-Basell deshalb einen alternativen Weg. Geplant ist eine neue Anlage, die geschredderte Plastikabfälle in einem thermisch-chemischen Prozess zersetzt, wobei ein Pyrolyseöl entsteht. Die gelblich bis braune Flüssigkeit hat ähnliche Eigenschaften wie raffiniertes Erdöl, der Rohstoff für die meisten Kunststoffe. Pyrolyseöl kann deshalb im sogenannten Steamcracker – eine Anlage, die lange Kohlenwasserstoffketten mit Hilfe von heißem Wasserdampf spaltet – zu Gasen verarbeitet werden, aus denen sich verschiedene Kunststoffarten herstellen lassen. Lyondell-Basell hat eine eigene Technologie entwickelt und in den letzten Jahren in einer Pilotanlage im italienischen Ferrara erfolgreich getestet und das Verfahren weiter optimiert.

Derzeit laufen auf dem Gelände des größten europäischen Produktionsstandorts des Chemiekonzerns in Wesseling die ersten Vorbereitungen. Das Unternehmen baut die Rohre der alten Styrol-Anlage zurück. Ob hier künftig die Recyclinganlage stehen wird, entscheidet das Unternehmen jedoch erst im November endgültig. Jens Becker, einer der Technologen am Standort und für die Recyclinganlage mit zuständig, blickt zuversichtlich Richtung Herbst: „Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie und die Kostenschätzung zeigen, dass es ein gutes Projekt ist.“

Davon ist auch der Betriebsrat überzeugt. Er war von Anfang an in die Planungen für die chemische Recyclinganlage einbezogen. „Bei unseren Zielen zur Steigerung der Nachhaltigkeit am Standort sind wir und die Geschäftsführung auf einer Linie“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Axel Mrosek. Auch die Belegschaft stehe hinter dem Projekt. Das Interesse an der Recyclinganlage ist groß. Wichtig war dem Betriebsrat, dass für die neue Anlage keine bestehende stillgelegt wird. Diese Zusage ließ er sich von der Geschäftsführung geben. Die neue Anlage steht nicht in Konkurrenz zu anderen Teilen des Werkes, sondern liefert Einsatzstoffe für diese und ersetzt damit fossile Materialien.

Die Kreislaufwirtschaft nimmt Fahrt auf

Neben dem mechanischen und chemischen Recycling setzt Lyondell-Basell am Standort Wesseling auch nachwachsende Rohstoffe zur Kunststoffproduktion ein. Das Unternehmen will in sieben Jahren zwei Millionen Tonnen Kunststoff aus recycelten und nachwachsenden Rohstoffen herstellen und vermarkten. Der Bedarf ist da: Viele Konsumgüterhersteller haben sich selbst hohe Ziele für den Einsatz solcher Kunststoffe gesetzt. Einzig das Angebot ist zurzeit begrenzt. Damit sich dies ändert, plant der Kunststoffhersteller Investitionen in fortschrittliche Sortieranlagen, um auch zu verhindern, dass Kunststoffe in Müllverbrennungsanlagen landen.

Zurzeit arbeiten rund 1600 Beschäftigte am Standort. Wenn die neue Recyclinganlage gebaut wird, kommen 75 weitere Fachkräfte hinzu. Jedoch geht auch der Fachkräftemangel nicht am Unternehmen vorbei, deshalb bildet das Unternehmen in Wesseling jedes Jahr mehr als 60 junge Menschen aus.

700 000 neue Arbeitsplätze winken

Neben Lyondell-Basell arbeiten auch andere Unternehmen an Recyclinglösungen, denn die ganze Kunststoffindustrie steht vor großen Veränderungen. Mit ihrem Green Deal will die Europäische Union eine Kreislaufwirtschaft in Europa etablieren. Produkte sollen länger benutzt werden, einfacher zu reparieren sein und nach ihrer Nutzung recycelt werden. Sollte Europa das erreichen, könnte dieser Wirtschaftszweig viele Menschen beschäftigen. Auf rund 700 000 neue Arbeitsplätze schätzt die Europäische Kommission das Potenzial einer europäischen Kreislaufwirtschaft. Henning Wilts, Alumnus der Hans-Böckler-Stiftung, leitet die
Abteilung Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal Institut und weist daraufhin, wie wichtig es ist, dass Europa seinen derzeitigen Vorsprung nutzt: „Wenn wir zu langsam sind, entstehen die neuen Arbeitsplätze in China.“

Verschenktes Potenzial

Dafür müsse auch die Politik Anreize für die Industrie setzen. So wären Steuervergünstigungen für Unternehmen, die sich zu Recycling verpflichten, oder die Vorgabe einer Mindestrecyclat-Quote denkbar. Einen Ansatz bietet das deutsche Verpackungsgesetz. Es regelt schon heute, dass eine Verpackung, die nicht mehr recycelt werden kann, mehr kosten muss. „Jedoch steht dort nicht, wie viel höher der Preis für nicht recycelbare
Verpackungen sein soll“, sagt Wilts. „Deshalb setzt das Gesetz in der Praxis noch unzureichende Anreize.“

Zurzeit verschenkt Deutschland Potenzial. Deutsche Mülltrennung ist nach Ansicht von Henning Wilts ineffizient für Recycling: „Es macht keinen Sinn, dass eine Gummiente in die Restmülltonne geworfen und verbrannt wird, eine Käseverpackung dagegen im gelben Sack landet“, sagt er. Die Gummiente ließe sich nämlich gut recyceln. Eine Käseverpackung dagegen bestehe aus mehreren Folien, die verschiedene Funktionen erfüllen. Sie machen Käse länger haltbar und erhöhen die UV-Beständigkeit. Aus Sicht des Produktdesigners ist das sinnvoll. Im Recycling jedoch lassen sich die Folien kaum voneinander trennen und verschlechtern am Ende die Qualität der recycelten Produkte.

Alle Beteiligten an einen Tisch

In einer Kreislaufwirtschaft müssen sich daher alle Beteiligten an einen Tisch setzen. „Der Produktdesigner muss mit dem Recycler darüber sprechen, welche Stoffe er verwenden sollte, damit das Produkt besser recycelt werden kann“, sagt Henning Wilts. Bisher kennen die meisten Unternehmen jedoch nur ihre Lieferanten und ihre Abnehmer. Wenn der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft klappen soll, ist es aber wichtig, die ganze Lieferkette zu kennen und genau zu wissen, wo die eigenen Produkte gerade sind.

Das fordert auch die Europäische Union: Unternehmen sollen ihr Geschäftsmodell ändern und statt einem Produkt einen Service anbieten. Zum Beispiel, indem sie Elektrogeräte wie Waschmaschinen an Kunden leasen, sie bei Bedarf reparieren und nach der Nutzung abholen und wiederverwerten. „Bisher haben Unternehmen kein Interesse daran, dass ein Produkt lange hält, weil es wirtschaftlich sinnvoller ist, wenn der Kunde nach zwei Jahren zurückkommt und ein neues Gerät kauft“, sagt Wilts. Durch Leasingmodelle könnte sich das ändern.

Auch Pfandsysteme ähnlich denen bei Plastikflaschen sind denkbar, zum Beispiel bei Matratzen. Die Kunden zahlen beim Kauf im Möbelhaus ein Pfand auf die Matratze. Wenn sie das gute Stück nach ein paar Jahren zum Wertstoffhof bringen, erhalten sie dort das Pfand erstattet, und die Matratze geht wieder an den Hersteller, der sie recycelt. Der Wertstoffhof holt sich am Ende das Pfand von dem Möbelhaus oder dem Hersteller zurück.

Bis der Industrie der Übergang zur Kreislaufwirtschaft gelingt, wird noch etwas Zeit vergehen. Für Lyondell-Basell ist die geplante Recyclinganlage nur der erste Schritt. „Unser Ziel ist, eine Kreislaufwirtschaft im eigenen Werk zu schaffen“, sagt Mrosek.

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