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Magazin Mitbestimmung

Von SUSANNE KAILITZ: Pegida, AfD und Co: Eine Vertrauenskrise

Ausgabe 09/2016

Thema Gewerkschafter sind nicht immun gegen Rechtspopulismus. In Betrieben und Gewerkschaftshäusern ringt man um den richtigen Umgang mit Freunden und Kollegen.

Von SUSANNE KAILITZ

Es ist eine Erfahrung, die viele Dresdner in den vergangenen Monaten gemacht haben: „Seit Pegida bin ich mit einigen Bekannten ein bisschen weniger bekannt“, sagt Martin Turm (Name geändert), Betriebsrat beim Dresdner Chiphersteller Infineon. „Das  gilt auch für einige Kollegen, mit denen der Umgang deutlich abgekühlt ist.“ Turm hat sich lange bemüht, mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen, die seit Monaten jeden Montag beim Bündnis der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ mitlaufen.

„Manchmal geht es um konkrete Ängste: Als über die Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung neben dem Werk diskutiert wurde, da haben viele Frauen gesagt, sie hätten Angst, wenn sie zur Schicht kommen müssten. Und die Männer haben sich um ihre Frauen gesorgt.“ Da habe man noch argumentieren können, erinnert sich Turm, „aber wenn einer einfach gegen die Asylbewerber ist, weil er die hier nicht haben will, wird es schwer.“

Inzwischen sucht der Betriebsrat diese Diskussionen nicht mehr. „Mir wird klar gesagt, dass man darüber mit mir nicht reden will, meine Haltung ja bekannt ist.“ Die IG Metall, sagt er, habe zwar nach außen Flagge gezeigt. „Aber zumindest bei uns habe ich keine aktive Rolle gespürt, das mit den Mitgliedern auszudiskutieren“, sagt Turm. Und auf eigene Faust könne er gegen Vorurteile und diffuse Ängste nicht angehen, sagt er. „Da fehlen mir die Kommunikationsstrategien“.

Kampf um Social Media

So wie Turm geht es vielen Gewerkschaftern – im Osten wie im Westen. Zwar gibt es eine deutliche offizielle Linie. Aber das, was auch Mitglieder in sozialen Netzwerken verbreiten, liest sich zuweilen ganz anders. „Wer hetzt, der fliegt“, hieß es im Oktober 2015 in einem Interview, das IG-Metall-Chef Jörg Hofmann dem Deutschlandfunk gab. Wer mit „rassistischen Pöbeleien oder mit Fremdenfeindlichkeit“ für Unfrieden sorgt, soll auch seinen Job verlieren.

Aber was ist Meinungsfreiheit, was Hetze? Zuletzt beschäftigten sich immer wieder Arbeitsgerichte mit der Frage, welche Äußerungen auch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Wenn abhängig Beschäftigte auf Facebook oder Twitter  rassistisch pöbeln oder im Netz zur Revolution aufrufen, können sie, so das Bundesarbeitsgericht, ihren Job verlieren. In mehreren Betrieben kam es zu Kündigungen für Mitarbeiter oder Auszubildende wegen Äußerungen in sozialen Netzwerken.

Doch Hofmanns klare Ansage hatte auch andere Folgen: Bis zu 300 Austritte aus der Gewerkschaft habe es nach Hofmanns Interview geben, heißt es in dem gerade erschienenen Buch „PEGIDA – Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und ‘Wende’-Enttäuschung?“, das der Dresdner Soziologe Karl-Siegbert Rehberg herausgegeben hat. Nicht jedes Gewerkschaftsmitglied ist damit einverstanden, dass das deutsche Asylrecht bislang keine Obergrenze kennt oder dass Probleme, die mit der Zuwanderung verbunden sind, kleingeredet werden. Manche fühlen sich berufen, ganze Religionen oder Staatsangehörigkeiten herabzuwürdigen.

Das große Schweigen

Rechtspopulismus und Rechtsextremismus unter den Mitgliedern sind für die Gewerkschaften kein neues Problem. Schon vor mehr als zehn Jahren kam der Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss zu dem Befund, dass eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft keine Immunität gegenüber Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments bedeutet.

Der Anteil rechtsextremer Einstellungen ist diversen Studien zufolge genauso hoch wie in der übrigen Bevölkerung. Keine wirkliche Überraschung, aber dennoch ein Schock war daher die Erkenntnis, dass bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im März dieses Jahres Gewerkschaftsmitglieder sogar überproportional häufig AfD gewählt haben.

Und das, obwohl die DGB-Gewerkschaften vor den „arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlichen Positionen“ der Partei gewarnt hatten. Nicht Abgehängte machen hier ihr Kreuz, sondern Arbeiter und Angestellte, denen gesellschaftliche Veränderungen Angst machen und die den Volksparteien nicht mehr zutrauen, ihre Interessen zu vertreten.

Über das Phänomen reden mag man in den Betrieben und Gewerkschaftszentralen eher ungern. Auch die, die unter der Hand erzählen, es rumore in den meisten Unternehmen heftig in Sachen Flüchtlingspolitik und AfD, werden schnell schweigsam, wenn es um zitierfähige Äußerungen geht. Da, wo Mitarbeiter einräumen, es krache in der Mittagspause schonmal heftig, schaltet sich die Unternehmenskommunikation ein und lässt wissen, man pflege eine Willkommenskultur im Werk und habe keinerlei Probleme mit Fremdenfeindlichkeit.

Was bleibt sind die Wahlanalysen. Sie zeigen: Auch Gewerkschaftsmitglieder sind davon überzeugt, dass die Partei um Frauke Petry, Jörg Meuthen und Björn Höcke, dessen plumpe Rhetorik an historische Reden aus dem Nationalsozialismus erinnert, ihre Ängste ernst nimmt. So erklärte es nach den Wahlen auch Hermann Binkert, Chef des Wahlforschungsinstituts INSA: Strukturkonservative Wähler hätten bisher häufig für SPD und Linke gestimmt, nun aber werde die AfD von ihnen als interessantes politisches Angebot wahrgenommen.

Die viel zitierten einfachen Leute, Arbeiter und Arbeitslose, waren lange das Stammklientel der linken Parteien – heute wandert es auf die rechte Seite, weil die etablierten Parteien als konturlos und opportunistisch wahrgenommen werden. Wissen die Wähler der AfD, wen sie wirklich wählen? Wissen Sie, dass große Teile der Partei ebenso europa- wie fremdenfeindlich sind? Dass die Partei zentrale Säulen der Sozialversicherung privatisieren will und in ihrer Haltung zum Mindestlohn völlig zerstritten ist?

Coup in NRW

Längst hat die AfD die  Arbeiternehmer als potenzielle Wähler entdeckt – und lässt keine Gelegenheit aus, gegen die Gewerkschaften zu sticheln. Im Juli fuhr der Berliner Landesverband der Partei mit einem großen Plakat vor der Berliner IG-Metall-Zentrale vor. Darauf war zu lesen: „He Gewerkschafter, wann kommt ihr endlich zur AfD? Eure Arbeiter sind schon da!“ Zwei Flügel, die die AfD in den Betrieben und an den Werkbänken attraktiv machen sollen, haben sich in den vergangenen Monaten gegründet: die Arbeitnehmer in der AfD (AidA) und die Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer (AVA).

Für letztere hat die AfD gerade einen Coup gelandet: Mit dem Bergmann und Betriebsrat Guido Reil will die AfD in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen – und sich so für viele Gewerkschafter attraktiv machen. Reil war langjähriges  SPD-Mitglied, er ist bestens vernetzt und gilt in seiner Essener Heimat als Kümmerer.  Seinen Richtungswechsel habe er sich nicht leicht gemacht, sagt IG-BCE-Mitglied Reil, aber ihm sei schließlich nichts anderes übrig geblieben. Jahrelang, so Reil, habe er als Ratsherr  Mangel und Kürzungen verkündet. Zum Bruch mit seiner alten Partei führte dann die Flüchtlingskrise. Als ausgerechnet im armen Norden Essens noch Flüchtlingsheime gebaut werden sollten, während für die Viertel der Besserverdiener keine Migranten vorgesehen worden seien, da sei für ihn Schluss gewesen. Reil hat sich jetzt viel vorgenommen: Mit der AfD will er für eine bessere Absicherung von Leiharbeitern sorgen, für längeres Arbeitslosengeld für langjährig Versicherte und mehr Arbeitnehmerrechte.

In Sachen Zuwanderung positioniert Reil sich deutlich: Asyl für wirklich Verfolgte ja, aber kein Einlass für jene, „die in unsere Sozialsysteme zuwandern wollen“. Nur, wer gilt bei der AfD als verfolgt? Reil erklärt, wahre Flüchtlinge seien in diesem und im letzten Jahr ja kaum gekommen: Die seien in Syrien, wo ja „nicht überall geschossen“ werde oder in Lagern in Nachbarländern geblieben.

Bei Kollegen und Freunden stoße er mit diesen Vorhaben auf Zustimmung, behauptet Reil. „Das ist seine Privatsache“, kommentiert Kurt Hay, der Vorsitzende des IG-BCE-Landesbezirk Westfalen Reils Übertritt. Er sehe nicht, dass Gewerkschaftsmitglieder der AfD zuströmten. „Jedenfalls nicht mehr als in anderen Bevölkerungsgruppen.“ Zudem habe sich die IG BCE deutlich gegen die AfD positioniert, unterstreicht Hay und verweist auf ein internes Schreiben des IG-BCE-Vorsitzenden vom April dieses Jahres. „Die AfD ist unser Gegner“, hatte Michael Vassiliadis dort allen IG-BCE-Beschäftigten mitgeteilt.

Gefragt sind gute Argumente

Der Jenaer Gewerkschaftsforscher Klaus Dörre würde da vermutlich zu mehr Engagement und zu mehr Diskussionen raten. Denn er sieht Bestrebungen innerhalb der AfD, eine eigenständige Gewerkschaft zu gründen, die dann Arbeiter mit dem Angebot ködern könnte, sich für ihre ureigensten Interessen einzusetzen – ohne die Prinzipien von Solidarität, Toleranz und Weltoffenheit, die die DGB-Gewerkschaften verfolgen.

Dörre rät den Gewerkschaften, weiterhin „klare Kante“ zu zeigen – gleichzeitig aber die Bedenken derjenigen offen zu diskutieren, die Angst hätten, angesichts einer ungezähmten Globalisierung unter die Räder zu kommen. „Die Gewerkschaften sind inzwischen fast die einzigen Organisationen der demokratischen Zivilgesellschaft, die diese sozialen Gruppen mit Argumenten noch erreichen können.“

Dass sie es könnten, liege auch an der Sprache guter Interessenvertreter: „Die ist klar und wird in den Betrieben verstanden – anders als der häufig abgehobene Duktus vieler Politiker.“ Angesichts immer größerer Stimmengewinne der AfD setzen die Gewerkschaften auf Aufklärung. Der Kumpelverein des DGB „Die gelbe Hand“ geht in Broschüren der Frage auf den Grund, ob die AfD wirklich die Interessen „des kleinen Mannes vertritt“, ver.di setzt auf Argumentationskarten, auf denen AfD-Parolen hinterfragt und widerlegt werden.

Unter dem Motto „Fakten statt Populismus“ finden Gewerkschafts-Workshops in Unternehmen statt. Als Pilotprojekt haben bei der enviaM-Gruppe, einem ostdeutschen Energieversorger mit Sitz in Chemnitz, alle Auszubildenden an solch einem Projekttag teilgenommen. Dabei seien einige der Jugendlichen, die vorher lautstark die Meinung vertraten, alle Asylsuchenden hätten teure Smartphones und würden zu großzügig unterstützt werden, ins Nachdenken gekommen, erzählt Jugendauszubildenden-Vertreter Michael Hermsdorf.

Er erklärt: „Die meisten haben ja gar keine direkten Erfahrungen, sondern bekommen ihre Infos aus den sozialen Netzwerken. Wenn man mit denen einfach mal darüber nachdenkt,  unter welchen Umständen man selbst aus seiner Heimat fliehen würde, ändert das einiges.“

Fotos: picture alliance, Wikimedia Commons/Paulae

WEITERE INFORMATIONEN

Wahlerfolge

Bei den letzten Landtagswahlen ist die AfD jeweils zweistellig in die Parlament eingezogen. Am höchsten schnitt sie mit 24,2 Prozent im März bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ab, bei der letzten Wahl im September in Berlin holte sie 14,2 Prozent.

Wie Gewerkschafter wählen

Der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter den AfD-Wählern ist etwa genauso groß wie unter der übrigen Bevölkerung. Nachzulesen im DGB-Infoservice einblick.

Argumente der Gewerkschaften

Der DGB sieht in der AfD einen politischen Gegner, dem es Paroli zu bieten gilt. Argumente gegen die Rechtspopulisten sammelt die Gewerkschaft ver.di hier. Lesenwert sind auch die Analyse des DGB zur Wirtschaftspolitik der AfD sowie eine Analyse des AfD-Wahlprogrammes von ver.di.

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