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ERNESTO KLENGEL ist Referent für Arbeitsrecht am HSI der Hans-Böckler-Stiftung. Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: "Nun sollen die EU-Mitgliedstaaten es richten."

Ausgabe 03/2022

Ernesto Klengel, Arbeitsrechtler am Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht der Hans-Böckler-Stiftung, kommentiert eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur zeitlichen Begrenzung von Leiharbeit.

An Leiharbeit scheiden sich seit vielen Jahren die Geister. Vor allem die Frage, wann ein vorübergehender Einsatz endet und eine Dauerbeschäftigung beginnt, lässt sich trotz gesetzlicher und tarifvertraglicher Vorgaben oft nicht eindeutig beantworten. Darüber entschied nun auch der Europäische Gerichtshof (EuGH). In seinem Urteil erkannte er zwar an, dass überlange Einsätze ein Rechtsmissbrauch sein können, einen konkreten Rahmen nannte er jedoch nicht. Wie Beschäftigte eingesetzt werden dürfen und wie gegen Verstöße vorgegangen werden kann, müssen Gesetzgeber und Gerichte in den Mitgliedstaaten entscheiden.

Im vorliegenden Fall hatte ein Leiharbeitnehmer über vier Jahre im Berliner Mercedes-­Werk gearbeitet. Aus seiner Sicht war dies eine unzulässige Dauerüberlassung. Er klagte mithilfe des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes auf eine Festanstellung bei Daimler.

Der EuGH hatte anhand der 2010 in Kraft getretenen EU-Richtlinie über Leiharbeit zu entscheiden, ob das deutsche Arbeitsrecht den Bestimmungen des EU-Rechts entspricht. Die Richtlinie charakterisiert Leiharbeit als „vorübergehend“. In Deutschland gilt seit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) 2017 eine Grenze von 18 Monaten je Einsatz.

Allerdings können Leiharbeitsbeschäftigte unter bestimmten Bedingungen auch legal über längere Zeit bei einem Entleiher arbeiten. Dies wurde sogar in Tarifverträgen geregelt. Ein Argument lautet: Wenn Leiharbeitnehmer ständig den Einsatzbetrieb wechseln, kommen sie nicht in den Genuss der tariflichen oder gesetzlichen Gleichstellung mit Festangestellten, denn sie greift oft erst nach einer gewissen Beschäftigungszeit beim Entleiher. Daher können sie sich mit einem längeren Einsatz unter gewissen Umständen besserstellen. Ganz unumstritten sind solche Regeln nicht, denn lange Einsätze verfestigen Leiharbeit, die nicht mehr nur für Auftragsspitzen oder Vertretungen eingesetzt wird.

Überlassungsketten von wechselnden Leihbeschäftigten könnten jedoch recht einfach verhindert werden. Die Begrenzung der Einsatzzeit dürfte nicht mehr an den Einsätzen einzelner Leiharbeitnehmer anknüpfen, sondern an der Nutzung von Leiharbeit auf einem bestimmten Arbeitsplatz. Eine Leih­arbeitnehmerin dürfte dann nach Ende ihres Einsatzes nicht mehr durch eine andere ersetzt werden; der Arbeitgeber müsste regu­läre Beschäftigungsverhältnisse schaffen.

In seinem Urteil zum Daimler-Verfahren schloss sich der Europäische Gerichtshof diesen Argumenten nicht an, sondern betonte die Autonomie der Mitgliedstaaten. All jene, die im Sinne eines sozialen Europas auf stabile, EU-weite soziale Standards zur Eindämmung prekärer Beschäftigung setzen, dürften damit enttäuscht sein, zumal dem Gerichtshof in der Vergangenheit im Bereich der wirtschaftlichen Freiheiten weitaus detailreichere Entscheidungen gelungen sind. Doch genau besehen, könnte das Urteil langfristig dennoch Positives bewirken. Denn immerhin hat der Gerichtshof dem Bundesarbeitsgericht für die abschließende Entscheidung ein Werkzeug gegeben, überlange Überlassungszeiten zu begrenzen, ähnlich wie dies im Bereich von Kettenbefristungen bereits geschehen ist.

Darüber hinaus wird die EU noch in diesem Jahr über den sogenannten Gleichstellungsgrundsatz entscheiden. Dieser besagt eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Leiharbeitnehmer sind mit der Stammbelegschaft im Einsatzbetrieb gleich zu behandeln. Dieser Grundsatz hat jedoch mehrere Ausnahmen. Wie weitreichend von ihnen Gebrauch gemacht werden kann, wird demnächst auf der Tagesordnung des Gerichtshofs stehen.

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