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Arbeiterinnen in einer Gelsenkirchener Textilfabrik (1974) Magazin Mitbestimmung

Rezension: No longer made in Germany

Ausgabe 04/2021

Ein Buch, dass die Geschichte der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB) nacherzählt – einer Gewerkschaft, die mehr Frauen als Männer für sich gewinnen konnte. Von Kay Meiners

Wenn heute Kleidungsstücke über die Ladentheke gehen, ist die Wette, dass es aus Asien kommt, meist ein gutes Geschäft. Rund 90 Prozent unserer Kleidung werden importiert. Früher war das anders – die heimische Textil- und Bekleidungsindustrie war noch in der Nachkriegszeit die beschäftigungsstärkste Konsumgüterbranche. Um 1960 kratzte die Beschäftigtenzahl an der Millionengrenze. Heute ist davon kaum etwas übrig.  

Kein Wunder – litt doch die Branche bereits im Wirtschaftswunder unter der Konkurrenz der Billiglohnländer. Ein Buch erinnert jetzt an sie - über den Umweg der Organisationsgeschichte. Denn die Menschen, die Kleidung und Stoff produzierten, hatten ihre Gewerkschaft. Die 1949 gegründete Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB) ging erst 1998 in der IG Metall auf. Frauen stellten stets mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder.

Peter Donath und Annette Szegfü erzählen jetzt die Geschichte der untergegangenen Gewerkschaft. Donath war von 1975 bis 1998 selbst für die GTB tätig, zuletzt als Vorstandssekretär für die Tarifpolitik. Nach der Integration in die IG Metall leitete er das tarifpolitische Team für die Branchen Textil und Bekleidung. Szegfü war Pressesprecherin der IG Metall und ist jetzt für Tarifpolitik zuständig.

Der stetig steigende Wettbewerbsdruck zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Die Arbeitsplätze, die die GTB organisiert, sind lohnintensiv, was sie anfällig für Verlagerungen macht. Länder, die nur Rohstofflieferanten gewesen sind, bauen eigene Textilindustrien auf. Die Folge ist ein stilles Sterben: „Im Gegensatz zum Bergbau oder der Stahlindustrie, die bei ihren Strukturkrisen vielfältige staatliche Unterstützungen erhielten, ging die Textil- und Bekleidungsindustrie im Großen und Ganzen leer aus“, schreiben die Autoren.

Das Buch ist kenntnis- und detailreich, aber hier und da vermisst man den Blick des unbeteiligten Historikers. Mit einem fokussierten Forschungsdesign gäbe es Anknüpfungspunkte an aktuelle Diskurse: veränderte die Dekolonisierung das Verhältnis zwischen den Beschäftigten in den Rohstoffländern und denen in Deutschland? Erhöhte der hohen Frauenanteil in der Branche die Bereitschaft der Politik, den Verlust von Arbeitsplätzen zu akzeptieren?

Über die Frauen in der GTB, die einen erheblichen Teil der menschlichen Substanz ausmachten, findet sich ein Exkurs in der Mitte des Buches. Er soll Fragen der Beteiligung und Repräsentanz klären und untersuchen, wie weit die GTB „Politik für Frauen“ machte.  In gewisser Weise setzt sich in der Struktur des Buches, das sonst anhand der Amtszeiten der Vorsitzenden strukturiert ist, eine Marginalisierungsgeschichte fort.

„An der Basis unverzichtbar, entbehrlich auf der Entscheidungsebene“ – so überschreiben die Autoren ein Kapitel im Frauen-Exkurs über den Gründungskongress 1949.   Zugleich waren die Frauen immer viel mehr als Zaungäste: „Von Anfang an haben Frauen die Bedingungen ihrer Arbeit durch ihre Mitarbeit in der GTB mitgestaltet, anstatt ihr Los als erwerbstätige Frau nur zu erdulden. Dieser emanzipatorische Beitrag erfolgte zu einer Zeit, als selbst viele Frauen die Frauenerwerbstätigkeit als Ausnahme und ‚hoffentlich‘ nur vorübergehende Lebensphase sahen.“

Die Bilanz der eher kleinen Gewerkschaft kann sich sehen lassen:  Lobbyarbeit für Importquoten, eine erfolgreiche Bildungsarbeit, die Organisation von Frauen und ihre Mobilisierung für Betriebsräte, die Erschließung von Mittel- und Kleinbetrieben, Ansätze für eine soziale Gestaltung der Rationalisierung – bis heute alles andere als leichte Aufgaben.

Eine Egalisierung der Löhne von Männern und Frauen, die jahrzehntelang bei rund 20 Prozent verharrte erreichte die GTB nicht – auch, weil lange kaum Frauen in den Tarifkommissionen saßen. Die Autoren mutmaßen, die Unzufriedenheit der Frauen habe sich womöglich in Grenzen gehalten – schließlich seien ihre Löhne „bis in die 1970er Jahre hinein auf der Höhe des gesamtindustriellen Durchschnitts oder leicht darüber (…), während die Männer schlechter entlohnt wurden als in der Gesamtindustrie.“  

Das Buch von Donath und Szegfü beschreibt die Gewerkschaft als eine emanzipatorische Kraft in einem langwierigen Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Es setzt allen ein Denkmal, die über Jahrzehnte Textilien made in Germany produzierten.

  • Cover 'Wir machen Stoff'

Peter Donath / Annette Szegfü: Wir machen Stoff. Die Gewerkschaft Textil-Bekleidung 1949-1998. Bielefeld, transcript Verlag 2021, 344 Seiten. Kostenlos zum Download, gedruckt 38 Euro

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