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Seit Jahrzehnten kämpfen Frauen für gleiche Chancen im Beruf, gleiche Bezahlung und Vereinbarkeit. Noch immer klafft eine große Lohnlücke, und bis zur Gleichstellung ist noch viel zu tun. Aber es gibt Fortschritte, vor allem weil Gewerkschafterinnen und Betriebsrätinnen nicht lockerlassen. Magazin Mitbestimmung

Chancengleichheit: Nicht lockerlassen und dicke Bretter bohren

Ausgabe 01/2020

Seit Jahrzehnten kämpfen Frauen für gleiche Chancen im Beruf, gleiche Bezahlung und Vereinbarkeit. Noch immer klafft eine große Lohnlücke, und bis zur Gleichstellung ist noch viel zu tun. Aber es gibt Fortschritte, vor allem weil Gewerkschafterinnen und Betriebsrätinnen nicht lockerlassen. Von Fabienne Melzer

Doch, es hat sich einiges bewegt. Bei der Erwerbstätigkeit haben Frauen den Abstand zum männlichen Geschlecht auf sieben Prozentpunkte verkürzt, in Sachen Bildung haben sie die Männer teilweise überholt, und in mitbestimmten Unternehmen hat sich der Anteil der Frauen im Aufsichtsrat zwischen 2009 und 2018 verdreifacht. Karin Schwendler, Bereichsleiterin Frauen- und Gleichstellungspolitik beim Verdi-Bundesvorstand, kann auch auf politischer Ebene eine Reihe von Fortschritten aufzählen: „Die befristete Teilzeit, der Mindestlohn, das Entgelttransparenzgesetz – das haben Gewerkschafterinnen vorangebracht.“ 

Aber es gibt auch Stillstand. Wenn Karin Schwendler an Schlecker denkt, wird sie heute noch wütend. 2012 verloren mit der Pleite des Drogeriemarkts rund 25 000 Frauen ihre Arbeitsplätze. „Es gab keine Auffanggesellschaft wie bei Industriebetrieben“, sagt Karin Schwendler. „Den Politikern fiel nur ein, die Verkäuferinnen auf andere Frauenberufe umzuschulen. Das zeigt, wie wenig wertschätzend mit den Kolleginnen umgegangen wurde.“

Auch beim Geld bewegt sich nicht viel. Weisen Frauen auf die Lohnlücke hin, die sich um die 20 Prozent bewegt, hält man ihnen gerne Fehler bei der Berufswahl entgegen. Doch entscheiden Frauen sich tatsächlich für schlechter bezahlte Jobs, oder wird Frauenarbeit schlechter bezahlt? Um diese Frage zu beantworten, verglich Ute Klammer von der Universität Duisburg-Essen gemeinsam mit Christina Klenner und Sarah Lillemeier, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, die Anforderungen an typische Männer- und Frauenberufe. Dazu entwickelten sie mit dem Comparable-Worth-Index (CW-Index) eine Methode, die das Anforderungsniveau in unterschiedlichen Berufen vergleichbar macht. Der Index vergibt Punkte für Wissen und Können, psychische und körperliche Belastungen sowie Verantwortung. Während ein Punkt mehr auf dem CW-Index Männern einen Lohnzuwachs von 6,4 Prozent bringt, sind es bei Frauen nur 4,7 Prozent. Rund zehn Prozent des Gender-Pay-Gap gehen nach Ansicht der Forscherinnen auf das Konto der schlechteren Bewertung von Frauenberufen. „Von den Anforderungen leistet eine Pflegekraft so viel wie ein Elektroingenieur“, sagt Ute Klammer.

Erzieherin ist so ein typischer Frauenberuf und Alexander Wegner, bei Verdi für die Sozial- und Erziehungsberufe zuständig, hält ihn für unter Wert bezahlt. „Die Anforderungen sind vergleichbar mit denen in der Schule. Erzieherinnen sollen Kinder anleiten, sich selbst zu bilden, sie nach ihren Interessen fördern. Trotzdem werden sie schlechter bezahlt als Lehrer.“ Seit Ende der 1980er Jahre kämpfen Gewerkschafterinnen darum, den Beruf aufzuwerten. Mehr Geld brachte die Tarifrunde 2015, nachdem mehr als 50 000 Erzieherinnen wochenlang gestreikt hatten. Eine von ihnen ist Ellen Engstfeld. Sie kämpft seit über 40 Jahren um mehr Anerkennung für ihren Beruf. Die Leiterin einer Kita in Köln sieht Fortschritte, auch sie hat von der Lohnrunde 2015 profitiert. und die praxisintegrierte Ausbildung wird nun nach Tarif bezahlt. Aber sie sieht auch, wie sich die Arbeit verändert hat. 

Nach dem PISA-Schock erhob die Politik Kitas in den Kreis der Bildungseinrichtungen. Bildung sollte früher ansetzen. Ellen Engstfeld findet den Bildungsanspruch gut. Sie sah in ihrem Beruf schon immer mehr als Aufbewahren und Beaufsichtigen. „Viele Eltern unterschätzen, wie viel Kinder beim Spielen lernen.“ Aber mit dem Anspruch einer Bildungseinrichtung nahmen die Aufgaben zu. Ellen Engstfeld zieht ein Dokumentationsheft dick wie zwei Schulhefte aus einem Ordner. Darin wird unter anderem die sprachliche, die emotionale und die soziale Entwicklung der Kinder erhoben. Fragen, die sich nicht wie ein Multiple-Choice-Test beantworten lassen. Für jedes Kind müssen die Erzieherinnen ihn einmal pro Jahr ausfüllen und zu jedem ein Elterngespräch führen. „Ja, es gibt Fortschritte“, sagt Ellen Engstfeld, „aber im Vergleich zu den gestiegenen Anforderungen sind sie zu gering.“

Im März startet die nächste Tarifrunde, in der Verdi weiter für die Aufwertung des Berufs kämpfen will. Die Wertschätzung des Berufs ist für Alexander Wegner vom Verdi-Bundesvorstand auch eine gesellschaftspolitische Frage. „Es geht darum, was uns die Bildung unserer Kinder wert ist.“ In die Hände spielen dürfte den Erzieherinnen der Fachkräftemangel. „Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt“, sagt Wegner. „Das Arbeitgeberargument ‚Wenn es euch nicht passt, macht wer anders den Job‘ funktioniert jedenfalls nicht mehr.“

Interesse an Technik wachhalten

Frauenberufe aufwerten ist der eine Weg, Frauen für besser bezahlte Männerberufe gewinnen und sie in diesen Berufen halten ein anderer. Die Hans-Böckler-Stiftung ist Mitglied im Nationalen MINT-Forum, und Olga Timochin aus der Studienförderung arbeitet dort an Ideen, das Interesse für Technik und Naturwissenschaften bei jungen Frauen wachzuhalten und die Rahmenbedingungen für Frauen in MINT-Berufen zu verbessern. Schließlich kommen Frauen nicht technikfeindlich zur Welt. „Das Interesse für Mathematik und Naturwissenschaften nimmt bei Mädchen in Deutschland etwa um das 16. Lebensjahr ab, weil es in diesem Alter nicht leichtfällt, sich gegen Stereotype und den Mainstream zu entscheiden“, sagt Olga Timochin. Um das aufzuhalten, müsse man bereits im Kindergarten gegensteuern. Denn die Erziehung nach Geschlechtern setzt früh an.

Wenn Monika Rubbert vom Ford-Team Frauen in technischen Berufen (FiT) sich die Werbung anschaut, hat sie manchmal das Gefühl, sie kämpft gegen Windmühlen. Seit mehr als 20 Jahren versucht das Team, Rollenklischees in den Köpfen junger Menschen zu durchbrechen. Wer aber nach Spielzeug für Mädchen sucht, findet überwiegend Puppen und Ponyhof – alles in rosa. 

Trotz der nach wie vor gängigen gesellschaftlichen Stereotype können sie und ihr Team Fortschritte verbuchen. 2002 betrug der Anteil junger Frauen in technischen Ausbildungsberufen bei Ford 9 Prozent, heute liegt er bei rund 20 Prozent. Geschafft hat das FiT-Team das über Einblicke in technische Berufe, etwa am Girls’ Day, und über Praktika speziell für Mädchen. Angehende Facharbeiterinnen oder Ingenieurinnen sind Vorbilder dafür, dass Mädchen Technik können.

Über ein solches Praktikum kam auch Selin Yüksel zu Ford, wo sie seit zwei Jahren eine Ausbildung zur Industriemechanikerin macht. In dem Praktikum baute sie einen Schmuckständer. „Es hat Spaß gemacht, aus den Metallteilen etwas Neues zu schaffen“, sagt Selin Yüksel. Am Anfang der Ausbildung hatte sie schon Muffensausen. Sie fragte sich, ob sie mit den Jungs mithalten kann, sie haben schließlich mehr Kraft. Doch dann merkte sie, dass es weniger auf Kraft und vielmehr auf Genauigkeit ankommt. „Man sollte nicht einfach sagen, das ist ein Männerberuf, das ist nichts für mich. Man sollte es erstmal ausprobieren.“

Bei Zeiss in Oberkochem arbeiten Betriebsrat und Arbeitgeber zusammen, um mehr Frauen für Technik zu begeistern. Über ein Mentoringprogramm bekommen Studentinnen über zehn Monate Berufseinblicke im Betrieb. Frauen in Führungspositionen übernehmen die Mentorenrolle. Eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Vereinbarkeit ermöglicht es, Arbeitszeiten der eigenen Lebensphase anzupassen. Konzernbetriebsratsvorsitzende Angelika Franzke und ihr Betriebsratsteam setzen sich in der Berufsausbildung und im dualen Studium dafür ein, dass Frauen bei technischen Berufen berücksichtigt werden. Nachholbedarf sieht sie noch bei Führungspositionen. „Frauen müssen da mehr motiviert werden, und ihnen ist Teilzeit oft wichtig“, sagt Angelika Franzke und spricht auch aus eigener Erfahrung. Sie selbst hatte sich nie in der Position als Konzern-, Gesamt- und Betriebsratsvorsitzende gesehen. Erst der Zuspruch von Kolleginnen und Kollegen ermutigte sie zu dem Schritt. 

Teilzeit – eine andere gängige Erklärung für die Lohnlücke. Es stimmt ja: 2018 arbeiteten elf Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen Teilzeit. Für die Duisburger Wissenschaftlerin Ute Klammer heißt das aber nicht, dass dahinter keine Diskriminierung steckt: „Wir dürfen Erklärungen für die Lohnlücke nicht mit ihrer Rechtfertigung verwechseln.“ Für Vereinbarkeit sind noch immer Frauen zuständig. In Familien mit Kleinkindern, in denen beide Eltern Vollzeit arbeiten, verwenden Mütter 55 Prozent ihrer Zeit auf Kinder und Haushalt, Männer dagegen nur 34 Prozent. Frauen haben sich zwar ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt erkämpft, aber zu Hause lebt die alte Arbeitsteilung weiter. 

Kein Wunder, dass viele Frauen mit dem ersten Kind lieber ihre Arbeitszeit reduzieren, als zwei Vollzeitjobs zu übernehmen. Mit der Teilzeit verlieren sie aber oft mehr als nur den prozentualen Teil ihres Einkommens. Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung verglich die Einkommen von Frauen vor und nach der Elternzeit. Das Ergebnis: Nach einer Elternzeit von bis zu einem Jahr verdienen sie im Schnitt 6,5 Prozent weniger pro Stunde. Wer mehr als ein Jahr pausiert, bekommt pro Stunde fast zehn Prozent weniger. Zwar garantiert das Gesetz Eltern die Rückkehr ins Unternehmen nach der Erziehungspause bis zu drei Jahre. Ein Recht auf ihren alten Arbeitsplatz haben sie aber nicht. Viele steigen nach der Kinderpause auch beruflich ab, gerade wenn sie Teilzeit arbeiten wollen. 

Das wollten die Frauen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft ändern und machten sich bei der Deutschen Bahn für eine Konzernbetriebsvereinbarung stark. Erika Albers war als Vertreterin der Bundesfrauenleitung bei den Verhandlungen 2007 und der Aktualisierung 2013 dabei. Die Vereinbarung garantiert den Beschäftigten unter anderem für drei Jahre die Rückkehr auf ihren alten Arbeitsplatz. Nadja Houy ist Betriebsrätin bei der Deutschen Bahn und sitzt in der Clearingstelle. Sie sagt:. „Das ist eine echte Verbesserung. Wer will, bleibt beruflich am Ball und behält seinen Arbeitsplatz.“ Anfangs war es schon ein dickes Brett, das sich die Frauen vorgenommen hatten. Bei einigen Männern musste erst einmal Verständnis dafür geschaffen werden, dass ein Arbeitsplatz drei Jahre lang freigehalten werden sollte. „Da muss man als Betriebsrat stur sein und sagen: Ich weiß, das war schon immer so, aber ich weiß, dass es auch anders geht.“ Seit einigen Jahren läuft die Vereinbarung und inzwischen nutzen sie auch mehr und mehr Männer. Nadja Houys Fazit: „Wenn keiner anfängt, dicke Bretter zu bohren, wird sich nie etwas ändern.“ 

Ute Klammer/Christina Klenner/Sarah Lillemeier: „Comparable Worth“: Arbeitsbewertungen als blinder Fleck in der Ursachenanalyse des Gender-Pay-Gaps? WSI-Study Nr. 14, Juni 2018

Yvonne Lott: Weniger Arbeit, mehr Freizeit? Wofür Mütter und Väter flexible Arbeitsarrangements nutzen. WSI Report Nr. 47. Düsseldorf 2019

Yvonne Lott/Lorena Eulgem: Lohnnachteile durch Mutterschaft. Helfen flexible Arbeitszeiten? WSI Report Nr. 49. Düsseldorf 2019

  • Seit Jahrzehnten kämpfen Frauen für gleiche Chancen im Beruf, gleiche Bezahlung und Vereinbarkeit. Noch immer klafft eine große Lohnlücke, und bis zur Gleichstellung ist noch viel zu tun. Aber es gibt Fortschritte, vor allem weil Gewerkschafterinnen und Betriebsrätinnen nicht lockerlassen.
    Mit Praktika und Schulbesuchen verdoppelte der Autohersteller Ford in Köln die Zahl der Frauen in technischen Ausbildungsberufen. (Foto: Ford)

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