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Magazin Mitbestimmung

Von CORNELIA GIRNDT: Mitbestimmung gehört ins Regierungsprogramm

Ausgabe 07/2017

Aufsichtsrat Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte 2017: Wahlforscher Korte sagt: Sicherheit ist im Wahlkampf das Gewinnerthema, daran kann die Mitbestimmung andocken. Arbeitsministerin Nahles sieht Chancen, Arbeitnehmerrechte in der EU neu zu verhandeln. Die nächste Regierung muss die Erosion der Aufsichtsratsmitbestimmung stoppen, sagt DGB-Vorsitzender Hoffmann.

Von CORNELIA GIRNDT

„Wir erleben eine langsame, aber stetige Erosion der Mitbestimmung, die Gegner der Mitbestimmung können die Situation einfach nur aussitzen.“ DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann beschönigt nichts, als er Daten und Fakten zur Erosion der Unternehmensmitbestimmung vor 380 Teilnehmern der Aufsichtsrätekonferenz vorstellt.

Vermeidungsstrategien würden mittlerweile von zahlreichen Unternehmen genutzt, sagt Hoffmann. Sie spalten Unternehmen auf und nutzen Lücken im Drittelbeteiligungsgesetz hinsichtlich der Konzernzurechnung – wie der Milchproduzent, die Ehrmann AG. Sie missbrauchen die SE, weil die ein Einfrieren eines mitbestimmungsfreien Zustandes erlaubt, auch wenn die Beschäftigung wächst – wie der Wohnungskonzern Vonovia SE mit 8000 Beschäftigten. Sie lassen sich Gesellschaftskonstruktionen konfigurieren unter Nutzung von Auslandsgesellschaften, um sich der Mitbestimmung zu entziehen. Wie die C & A Mode GmbH und Ko. KG, die 16 000 Beschäftigte hat, die aber keinen einzigen Sitz und Stimme im Aufsichtsrat haben.

Faktisch könne sich ein Unternehmer heute „allzu oft aussuchen, ob er die Mitbestimmungsgesetze anwendet oder nicht“, kritisiert der DGB-Vorsitzende „diesen unhaltbaren Zustand“. Unhaltbar auch, weil dadurch die Unternehmensmitbestimmung der Arbeitnehmer optional wird – statt obligatorisch, wie es der Gesetzgeber vorsieht. Und dann kommen noch einzelne Arbeitgebervertreter daher (wie kürzlich in einem Bundestagsausschuss) und erklären den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit und damit die Mitbestimmung für erledigt.

Dagegen warb der DGB-Vorsitzende dafür, dass es gemeinsames Interesse sein muss, die Mitbestimmung wetterfest zu machen, als Gegenmodell zum finanzgetriebenen Kapitalismus, der Unternehmen zur globalen Handelsware macht. Die gute Nachricht des DGB-Vorsitzenden: Die Politik kann einige Gesetzeslücken schließen, man werde sich nach Kräften dafür einsetzen, dass „Sicherung und Ausbau der Mitbestimmung nach der Wahl in jedes Regierungsprogramm gehört“.

Nationale Fortschritte ja, aber sie reichen nicht.

Aber will sie das, die Politik? Ja, zumindest Andrea Nahles, SPD, will es. Dass „ganze Anwaltskanzleien unterwegs sind, um die Unternehmensmitbestimmung zu verhindern, das ist eine Entwicklung, die bei mir zumindest Alarmstufe eins auslöst“, sagt die amtierende Bundesarbeitsministerin. Daraus folge: So wie es beim Zukunftsthema Digitalisierung gelungen sei „neben die Technik die Arbeit zu platzieren, so müsse auch Mitbestimmung dazugepackt werden“ – müsse eingebettet sein in die gesellschaftlichen Veränderungen.

Was ist gelungen, was ist nicht so gelungen in ihrer Amtszeit, spielen die Arbeitnehmervertreter auf der Böckler-Konferenz mit der Bundesministerin durch. „In Sachen Mitbestimmung sind wir in dieser Koalition nicht wirklich weit gekommen“, räumt Nahles ein. Auch in der Stärkung der Tarifautonomie, ein roter Faden ihrer Amtszeit, „ist kaum etwas gelungen“, verweist die Ministerin auf die schwierigen Umfeldbedingungen.

Was kann man machen? Klar, Konzernzurechnung ändern ginge, Schwellenwerte absenken, sagt Andrea Nahles. Sie sagt aber auch: „Uns reichen nationale Fortschritte nicht mehr.“ Das Vorgehen müsse europäisch sein. Und hier sieht Nahles ein Fenster der Möglichkeiten. Ja, sie wolle den Brexit als Chance nutzen, „dass wir europäisch die Mitbestimmungsflucht stoppen“. Und wolle außerdem die EU-Kommission nicht eine soziale Säule? Und müsse man nicht etwas tun gegen den Rechtsruck? Warum soll das nicht gehen, wenn Deutschland und Frankreich sich zusammentun würden, fragt Nahles. Da könne und müsse man doch andocken und Arbeitnehmervertretungsrechte in der EU neu verhandeln.

Mitbestimmung als Abstiegsbremse

Als Mutmacher betätigte sich auch der bekannte Wahlforscher und Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Als Fazit seiner Wahlanalyse, wonach in Deutschland Werte wie Sicherheit und Identität weit vorne rangieren, rief er den Teilnehmern und Förderern der Böckler-Stiftung zu: „Ich beglückwünsche Sie als Aufsichtsräte, Sie verkörpern das Sicherheitsversprechen, Sie sichern die Qualität der Arbeit in den Unternehmen“. Mehr noch: Mitbestimmung der Arbeitnehmer passe in die neue Beteiligungskultur, daran könne man genauso anknüpfen wie an Ungleichheitsdiskurse.

„Wie anders ist doch alles in Deutschland“, wundert sich auch Korte, „wir mögen das bekannte Personal während überall um uns herum in Europa neue Gesichter und Bewegungen gewählt werden“. Korte zeichnet für 2017 einen politischen Wahlkampf, bei dem weniger über Stil- als über Armutsfragen gesprochen wird. Doch laut Umfragen sind für knapp die Hälfte der Deutschen (46 Prozent) die wichtigsten Themen: Flüchtlinge, Ausländer, Integration, Kriminalität. Nur für 16 Prozent sei es soziale Gerechtigkeit. Sicherheit ist das Gewinnerthema, nicht Verteilung, sagt Korte. Und: Wer den Status Quo schützt, wird gewählt, nicht wer am meisten verspricht. In diesem Rahmen sei Mitbestimmung als Stabilisierungsthema eigentlich ideal. Wirke sie doch als Sicherheitsgarant und als Abstiegsbremse.

Auch das diskutierten auf einem Podium vier parteipolitisch engagierte Arbeitnehmer-Aufsichtsräte. Wobei sich die beiden Vertreter von Schwarz und Grün ebenso kämpferisch zeigten. Ob die Mitbestimmung sexy sei oder nicht, das sei ihm egal, sagte Günter Back, CDU, der im Aufsichtsrat über die Geschäfte der thyssenkrupp Steel Europe AG wacht: „Wenn wir uns scheuen, die Mitbestimmung als Machtfrage anzuerkennen, gewinnen wir nichts“.

 

WEITERE INFORMATIONEN

Treffen der Arbeitnehmer-Aufsichtsräte

380 Teilnehmer tankten neues Wissen und diskutierten Fragen der Unternehmensmitbestimmung bei der diesjährigen Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte Ende Juni in Berlin. Großes Format: Das Eingangsportal des Hotels am Potsdamer Platz war komplett verpackt in Böckler-Logos, da stellt sich doch rasch ein Wir-Gefühl ein. Das war umso wichtiger, als die Hälfte der Teilnehmer zum ersten Mal zu dieser jährlichen Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte gekommen war. Ganz offensichtlich ist der Generationswechsel, der derzeit die Betriebsräte verjüngt, auch in den Aufsichtsräten angekommen – man sah zunehmend junge und weibliche Aufsichtsratsvertreter/innen. Wie etwa Lisa Trompa von der Postbank AG, die für eine Mitbestimmung 4.0. warb. Zwei Drittel der Teilnehmer waren vor allem an aktuellen Mitbestimmungsfragen interessiert, jeder fünfte war gekommen, um mit Kollegen Erfahrungen auszutauschen, wie das Publikum in einer TED-Umfrage bekundeten.

Als „hochprofessionell“ lobte im Pausengespräch die Geschäftsführerin des Director‘s Channel, einer Infoplattform für Aufsichtsräte, die Tagungsregie der Böckler-Stiftung. Der erste Tag war prominent besetzt und politisch aufgeladen – mit Daten und Debatten zur Gefährdung, Sicherung und Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung. Am zweiten Tag hatten Abteilungsleiter Norbert Kluge und die Mitbestimmungs-Experten der Böckler-Stiftung Themen auf die Agenda gesetzt, die speziell die Arbeitnehmeraufsichtsräte ansprechen und aufgreifen (sollten). Zum Beispiel: Wie kann die Vorstandsvergütung gerechter werden? Wie können Arbeitnehmervertreter für mehr Aufmerksamkeit sorgen, dass Unternehmen sich nicht ihren Steuerpflichten entziehen (Tax-Compliance).

Michael Guggemos, Sprecher der Geschäftsführung der Stiftung, dankte den Förderern der Böckler-Stiftung, die mit den Tantiemen aus ihrer Aufsichtsratstätigkeit die Stiftung finanzieren. Experten aus Stiftung und DGB haben intensiv daran gearbeitet, den Angriff gegen die Unternehmensmitbestimmung abzuwehren, den ein Kleinaktionär des TUI-Konzerns meint bis vor den EuGH führen zu müssen, sagte Guggemos in seiner Bilanz. Unterstützt habe die Stiftung auch die Debatte um Maß und Mitte bei der Vorstandsvergütung. Ganz im Zentrum stehen die verstärkten Aktivitäten für die Sicherung und Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung – dafür sei es nicht unerheblich, wer im nächsten Bundestag welches Gewicht habe.

Dokumentation der Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte 2017 (Mit Fotos, Videos und Audios)

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