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Betriebsrat ZW-Werk Ahrweiler: Rainer Stenz (li.) und  Markus Eulenbach (re.) Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Mit Leidenschaft den Neustart erzielt

Ausgabe 06/2023

Die Flut im Ahrtal hat das dortige ZF-Werk zerstört. Notdürftig baute die Belegschaft den Betrieb wieder auf, dann wollte der Arbeitgeber den Standort ganz aufgeben. Der Betriebsrat kämpfte lange, nun soll es doch weitergehen – an einem neuen Standort, ebenfalls im Kreis Ahrweiler. Von Kevin Gallant und Carmen Molitor

Das ZF-Werk in Ahrweiler hatte sich gerade neu aufgestellt und sah sich für die Zukunft gerüstet, da kam die Flut. Mitgerissene Wohnwagen, Autos und sonstiges Treibgut schossen mit den Wassermassen durch das Rolltor in die Produktionshalle und zerstörten die Automatenstraße des Autozulieferers. Die Mitarbeiter der Spätschicht retteten sich in die höher gelegenen Stockwerke. „Das Wasser stand bei über zweieinhalb Metern“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rainer Stenz. Als es hell wurde, zeigte sich ihnen ein groteskes Trümmerfeld, eine zähe, übelriechende Schlammschicht bedeckte die Produktionshalle. Das Betriebsratsbüro war zerstört.

Viele der 270 Stammbeschäftigten verloren im Juli 2021 den Boden unter den Füßen. „Materielle Schäden erlitten etwa 100, 40 davon waren schwer betroffen“, erzählt Stenz. „Aber betroffen ist hier eigentlich jeder – weil jeder einen kennt, der Schäden erlitten hat oder gestorben ist, ob nun Eltern, Verwandte, Nachbarn oder Freunde“. Der Betriebsrat musste die Beschäftigten überzeugen, für eine gewissen Zeit zum Standort Schweinfurt zu wechseln, um die Produktion halbwegs aufrechtzuerhalten. Manche seien nur mit einer Plastiktüte voller Unterwäsche auf die Reise gegangen, weil sie sonst nichts mehr besaßen. „Viele haben alles hinten angestellt, um die Firma wieder aufzubauen“, sagt Stenz. Laut ihm habe ZF in dieser Zeit keinen Kunden zum Stillstand gebracht. Gemeinsam schafft es die Belegschaft, bereits im Oktober wieder in Ahrweiler zu fertigen – mit neugebauten Maschinen für die übergangsweise Fertigung per Hand, bis die automatische Produktion wieder möglich war.

Dann sickerte allmählich durch, dass das Management von ZF den Standort in Ahrweiler aufgeben will, trotz der Bemühungen der Belegschaft. Die Unternehmensführung befürchtete, die Gebäude nicht mehr adäquat versichern zu können. Ohnehin würden erneute Hochwasser drohen. Die Belegschaft sollte künftig in bislang leerstehenden Hallen am Standort in Koblenz produzieren. Was darauf passieren könnte, malte sich Rainer Stenz so aus: Erst hat man keinen eigenen Standort mehr, dann verlagert man vielleicht das Produkt nach Osten, dann gehen die Arbeitsplätze verloren. Die Ankündigung sei ein Schlag ins Gesicht für alle gewesen. 

Belegschaft setzte schon einmal alles daran, den Standort zu retten 

Aber es war keine neue Situation für den Betriebsrat und die IG Metall in Neuwied. Denn Kämpfe um den Standort gab es schon öfter. Die Geschichte begann 1964 unter dem Namen Boge mit der Produktion von Federbeinen und Dämpferaggregaten, hauptsächlich für den Ford Taunus. Als Boges Stern sank, begann ein Reigen von Inhaberwechseln: Boge verkaufte das Werk an Mannesmann; es ging über zu Sachs und wurde zuletzt Teil der ZF Friedrichshafen AG. Die goldenen Zeiten für konventionelle Stoßdämpfer in Ahrweiler war in den Nullerjahren vorbei, der Preisverfall am Markt enorm. Den Beschäftigten war klar: So hat der Standort keine Zukunft. 2014 entschied sich der Betriebsrat für die Flucht nach vorn und forderte vom Arbeitgeber ein neues, zukunftsfähiges Produkt. Das stieß auf wenig Gegenliebe.

Markus Eulenbach, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Neuwied, erinnert sich noch gut daran: „Der Betriebsrat und die Belegschaft forderten eine Transformation, als diesen Begriff noch keiner kannte“. Sie organisierten einen Protestmarsch durch die Kreisstadt und informierten die Öffentlichkeit über die drohende Schließung des Werks. „ZF ist ein stiftungsgeführtes Unternehmen, das auf Öffentlichkeit reagiert“, sagt Eulenbach. Und mit einem Organisationsgrad von 80 Prozent ließen sich öffentlichkeitswirksame Aktionen gut organisieren.

Die schlechte Presse zeigte Wirkung. Das Management sagte zu, neue Produkte in Ahrweiler zu fertigen, die zuvor im Werk in Schweinfurt beheimatet waren: eine im Dämpfer innenliegende und eine außenliegende elektronische Steuereinheit, sehr begehrt für E-Autos.

Letztendlich begann in Ahrweiler zwar bisher nur die Produktion der außenliegenden Einheit, die innenliegende wird weiter in Schweinfurt hergestellt. „Aber das war der Start in die Zukunft in Ahrweiler“, sagt Eulenbach. „Ein Großteil der Belegschaft musste ein Jahr lang in Schweinfurt qualifiziert werden. Da muss man schon dran glauben, dass man seinen Arbeitsplatz damit sichern kann. Und die Kollegen in Schweinfurt müssen bereit sein, ihr Wissen an die Kollegen aus Ahrweiler weiterzugeben. Das sind keine trivialen Prozesse und es ist aus meiner Sicht gut gelaufen“.

Die Mühen rund um die Transformation hatten Erfolg: Zum neuen Kundenstamm gehörten bald Porsche, BMW, Honda und der Autobauer NIO, der als „Tesla aus China“ gilt. Als Anfang 2021 die Zielbildprozesse von ZF begannen, bei denen alle Standorte auf ihre Rentabilität geprüft wurden, machte man sich wenig Sorgen, dass das Werk an der Ahr keine Zukunft haben könnte.

Betriebsrat steht nach Tiefschlag wieder auf 

Als die Pläne für eine mögliche Verlagerung nach Koblenz öffentlich wurde, setzten Gewerkschaft und Betriebsrat auf die Hilfe von Öffentlichkeit sowie Kommunal- und Landespolitik, um das Werk in der Region zu halten. Sie informierten die Presse, drehten ein Protestvideo und luden unter anderem den rheinland-pfälzischen Arbeitsminister Alexander Schweitzer zu einer Betriebsversammlung ein, die wie ein Showdown wirkte. Der Konzern sah sich einem Sturm der öffentlichen Entrüstung ausgesetzt und zeigte sich verhandlungsbereit. „Das Management hat völlig unterschätzt, dass die Flutkatastrophe so emotionalisierbar ist – nicht nur bei den Beschäftigten, auch in der Region und der Landespolitik“, sagt Markus Eulenbach.

Der Arbeitgeber schloss mit dem Betriebsrat eine Verfahrensvereinbarung. An der Suche nach einem alternativen Standort war die Arbeitnehmervertretung nun beteiligt. IG Metall und die TBS aus Mainz standen dem Betriebsrat bei den Verhandlungen zur Seite. Plötzlich sollte es dann ganz schnell gehen: Innerhalb eines Jahres wollte man über die Alternative entscheiden und bereits 2024 dahin umziehen.

Stattdessen setzte es für die Belegschaft den nächsten Tiefschlag. ZF legte die Umzugspläne auf Eis, aus finanziellen Gründen. Coronapandemie, Energiekrise und Zinserhöhungen hätten auch hier an der Unternehmensliquidität genagt. „Wir können die Misere nachvollziehen, hätten aber gerne an einem Tisch eine gemeinsame Lösung gefunden nicht erst aus der Presse davon erfahren“, sagt Stenz. Dabei hatte man zuvor bei der Auswahl des neuen Standortes eine zufriedenstellende Lösung gefunden. „Brohltal-Ost ist direkt an der A61, Anbindung und Infrastruktur sind also vom Feinsten – und außerdem nur 30 Kilometer vom alten Standort entfernt“, sagt Stenz. „Das ist zwar auch ein gutes Stück, aber noch im Kreis Ahrweiler, das war uns sehr wichtig“.

Den alten Standort hatte die Belegschaft zwar wieder hergerichtet, jedoch nur notdürftig. „Man kann dort produzieren, aber die Büros haben teilweise keine Fenster“, sagt Stenz. „Vieles läuft über Sondergenehmigungen und ein Brandschutzkonzept haben wir auch noch nicht“. Bieten lassen wollte sich das keiner, der Betriebsrat ging also wieder in harte Verhandlungen. Das brachte der Interessenvertretung um Rainer Stenz nicht nur die Nominierung zum diesjährigen Betriebsrätepreis ein, sondern schließlich auch einen finalen Abschluss, der bald auch als Betriebsvereinbarung festgehalten werden soll. ZF halte nun sein Wort und werde das Grundstück in Brohltal kaufen und den neuen Standort errichten. Umgezogen werden müsse laut des Papiers bis spätestens Mitte 2026. „Bei dem Umzugstermin wollte sich der Arbeitgeber nicht so recht festnageln lassen, aber wir haben nochmal Druck gemacht und auch die Politik eingeschaltet“, sagt Stenz. Neben der Unterstützung durch Ministerpräsidentin Malu Dreyer besuchte auch rheinland-pfälzische Arbeitsminister Alexander Schweitzer noch einmal das Werk und drängte ZF dazu, sein Wort zu halten. Geschützt sind nun auch die Arbeitsplätze der Belegschaft – mindestens bis der Umzug komplett abgeschlossen ist. „Bis alle Maschinen laufen, die Infrastruktur aufgebaut und die letzte Lampe angeklemmt ist“, sagt Rainer Stenz. 

Mehr zum Betriebsräte-Preis 2023:

Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird am 9. November im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags in Bonn verliehen. Von 76 Bewerbungen wurden zwölf ­Projekte nominiert, einer der Nominierten ist der Betriebsrat des ZF-Werks in Ahrweiler, der in diesem Jahr die Auszeichnung in Silber erhält.

Mehr über die nominierten Projekte auf der Seite des I.M.U. zum Deutschen Betriebsrätetag 2023 

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.

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